Archiv

Anschläge in New York, Stockholm, Istanbul und St. Petersburg
Zentralasien-Experte: Täter wurden im Ausland radikalisiert

Gleich vier Attentäter der jüngsten Zeit stammen aus Usbekistan. Das sei durchaus auffällig, sagte der Zentralasien-Experte Sebastian Schieck im Dlf. Denn eigentlich habe Usbekistan kein Interesse an Radikalisierung und Terror, und es sei falsch, das zentralasiatische Land als "eine Art Pulverfass" zu sehen.

Sebastian Schieck im Gespräch mit Ute Meyer |
    Ute Meyer: Der New Yorker Attentäter stammt aus Usbekistan, einer ehemaligen Sowjetrepublik in Zentralasien, die muslimisch geprägt ist. Und er ist nicht der einzige Attentäter, der aus diesem Land stammt. Der Mann, der den Anschlag auf den Istanbuler Nachtklub Reina in der Silvesternacht verübte, war ein Usbeke. Das Selbstmordattentat auf die Metro von St. Petersburg Anfang April hat ebenfalls ein Usbeke begangen. Und auch der Attentäter von Stockholm, der einen Lkw durch die Fußgängerzone steuerte, war ein Usbeke. Grund genug, dieses Land näher zu betrachten, und das will ich tun mithilfe von Sebastian Schieck. Er ist Zentralasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Herr Schieck, viermal in diesem Jahr waren Usbeken die Attentäter. Ist das ein Zufall, oder gibt es eine Erklärung dafür?
    Sebastian Schieck: Ja, das ist in der Tat schon auffällig, dass das vier Täter waren, die alle aus Usbekistan kommen. Daraus kann man jetzt aber nicht automatisch schließen, dass Usbekistan oder auch die ganze Region Zentralasien, dass man die als eine Art Pulverfass bezeichnen kann.
    Erst mal muss man sehen: Es gibt in der Region den Islam als die dominante Religion. Das ist aber in der Regel eher ein gemäßigter Islam, der vor allem in der Sowjetzeit auch sehr säkular geprägt wurde. Radikalisierung – dieses Phänomen gibt es zwar; es ist aber jetzt kein Massenphänomen.
    Was ja auffallend ist bei diesen vier Tätern, nach allem, was wir wissen, auch jetzt bei dem aktuellen Täter in New York ist, dass die Radikalisierung im Ausland stattgefunden hat, also nicht in der Region oder in Usbekistan selber. Das heißt, dass offensichtlich diese Täter erst mal weg sein müssen aus diesen sozialen Zusammenhängen, in denen sie sonst in ihren Heimatländern leben, um dann anfällig zu sein für radikalisierendes Gedankengut.
    "Die Terroranschläge in der Region Zentralasien sind sehr gering"
    Meyer: Aber es ist ja schon kurios, dass es ausgerechnet immer Usbeken waren. Hätten es auch Turkmenen sein können, oder Pakistani?
    Schieck: Das Phänomen der Radikalisierung gibt es schon auch in den Nachbarstaaten wie zum Beispiel in Kasachstan oder in Kirgistan. In Kirgistan gab es zum Beispiel dieses Jahr auch einen Anschlag in Bishkek selber. Das war ein Kirgise. Jetzt ist es so, dass die, die sich radikalisieren, in der Regel dann (und zwar gar nicht in geringer Zahl) auswandern oder ausgewandert sind zum Islamischen Staat nach Syrien. Der IS hat hier teilweise auch gezielt versucht, Zentralasiaten anzuwerben. Die Terroranschläge in der Region Zentralasien sind sehr gering, und das liegt auch daran, dass die autoritären Staaten – und vier von fünf Staaten sind autoritär – die Gesellschaften doch sehr stark unter Kontrolle haben, dass auch die islamischen Institutionen sehr stark kontrolliert sind, und dass deswegen das in der Region selber nicht so eine große Rolle spielt.
    Warum das jetzt genau Usbeken sind, das ist noch so ein Rätsel, was diskutiert wird. Usbekistan spielt schon eine besondere Rolle. Es gab hier tatsächlich Anfang der 1990er-Jahre, als das Land unabhängig wurde von der Sowjetunion, islamische Bewegungen. Das war etwas Neues, so etwas gab es zur Sowjetzeit nicht. Und das Besondere ist auch, dass der Staat, das Regime in Usbekistan hier sehr, sehr repressiv darauf reagiert hat, und hat den Islam sehr stark unterdrückt, anders als die Nachbarstaaten, die da ein bisschen offener waren. Das ist so eine Besonderheit, die vielleicht ein bisschen in so eine Richtung weisen könnte, warum es jetzt gerade Usbeken waren.
    Meyer: Sprich: Die Unterdrückung der Religion fördert dann ein radikales Ausleben, wenn man aus diesem Staat ausgewandert ist?
    Schieck: Nein. Das ist jetzt erst mal noch eine offene Debatte. Zu forschen, ist leider in diesen sehr autoritären Staaten sehr schwierig. Das heißt, wir können hier jetzt keine genauen kausalen Zusammenhänge herstellen. Was wir allerdings wissen ist, dass es als zweite Besonderheit in Usbekistan tatsächlich auch eine terroristische Bewegung gab, die Islamische Bewegung Usbekistans, die dann allerdings nach Afghanistan ausgewandert ist und jetzt heute eigentlich nur noch in Afghanistan aktiv ist. Das ist eine weitere Besonderheit, die auf Usbekistan zusammentrifft. Warum jetzt genau diese vier Einzeltäter, die jetzt in den Medien sind, sich radikalisiert haben, das muss auch individuell und kriminologisch beantwortet werden. Da kann man jetzt keine großen Zusammenhänge darstellen.
    "Usbekistan hat natürlich überhaupt kein Interesse an Radikalisierung oder Terror"
    Meyer: Wie groß ist denn diese islamistische Bewegung in Usbekistan? Auf der anderen Seite ist Usbekistan ja auch auf Regierungsebene ein Partner im Kampf gegen den Terror, ein Partner des Westens.
    Schieck: Genau. Usbekistan ist wie auch die Nachbarstaaten ein säkularer Staat und hat natürlich überhaupt kein Interesse an Radikalisierung oder an Terrorismus, sondern es hat als autoritärer Staat Interesse vor allem an Stabilität und hat insofern auch hier sehr stark repressiv regiert und reagiert. Wie man aber natürlich weiß – und Sie hatten das schon angedeutet -, kann ein zu starkes repressives Handeln auch dann unintendierte oder nicht gewünschte Nebenwirkungen haben und gerade vielleicht auch die Radikalisierung befeuern. Insofern scheint jetzt Usbekistan auch seit einem Jahr von dieser sehr harten und sehr repressiven Politik abzurücken in Richtung eines mehr weichen und auf soziale Integration basierenden Ansatzes.
    "Usbekistan war ein isoliertes, abgeschottetes Land"
    Meyer: Wie muss ich mir das Leben in diesem Land, in Usbekistan vorstellen?
    Schieck: Usbekistan war die letzten 25 Jahre und die ersten 25 Jahre seiner Unabhängigkeit ein sehr abgeschottetes Land. Das war diese Entscheidung des ersten Präsidenten des Landes, Karimow. Er hat das Land isoliert. Das heißt, der Außenhandel war sehr gering, es gab kaum ausländische Direktinvestitionen. Man konnte die Währung nicht in ausländische Währung umtauschen und die eigenen Bürger benötigten sogar ein Ausreisevisum, um das Land zu verlassen. Insofern war das ein isoliertes abgeschottetes Land.
    Das hat erst mal funktioniert die ersten 15, 20 Jahre. Da konnte das Land ganz hohe oder zufriedenstellende Wachstumsraten erzielen. Jetzt aber in den letzten Jahren ist dieses Wachstumsmodell sehr stark unter Druck geraten. Das hat man auch schon in den letzten Jahren von Präsident Karimow gemerkt. Der ist jetzt letztes Jahr verstorben. Seit einem Jahr gibt es einen neuen Präsidenten und der versucht, jetzt so eine kontrollierte Öffnung durchzuführen, indem er zum Beispiel Investoren in das Land holt, indem er auch angibt, das Ausreisevisum abzuschaffen. Das heißt, hier findet jetzt gerade so ein Öffnungsprozess statt.
    Meyer: Wie wird es denn eigentlich in Usbekistan selbst aufgenommen, dass gleich mehrere Attentäter in diesem Jahr, die im Westen ihre Anschläge begangen haben, von dort stammen?
    Schieck: Da muss man natürlich klar sehen: Die große Mehrheit der Usbeken, die in Usbekistan leben, und auch die große Mehrheit der usbekischen Migranten, die zum Beispiel in Russland arbeiten, sind natürlich weder islamistisch, noch sind sie radikalisiert. Insofern wird auch hier ganz sicher eine große Bestürzung und auch eine große Ratlosigkeit herrschen. Ich denke, dass deswegen auch in der Bevölkerung des neuen Präsidenten sehr begrüßt wird, dass er hier einen offeneren Ansatz hat, einen Ansatz der Reintegration von eventuell bereits radikalisierten Tätern. Darüber hinaus hat Präsident Mirsijojew schon heute sich an die USA gewandt und hat die Zusammenarbeit angeboten bei der Aufklärung dieses Verbrechens.
    Meyer: Sebastian Schieck war das, Zentralasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.