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Anschläge in Paris
Frankreichs Botschafter dankt Deutschland für die Anteilnahme

Trauerbekundungen und Unterstützungszusagen seien wichtige Singale, sagte der französische Botschafter in Deutschland, Philippe Etienne, im DLF. Er forderte allerdings auch "neue Maßnahmen" in der europäischen Sicherheitspolitik im Kampf gegen die Terroristen. Auch auf die Frage nach dem NATO-Bündnisfall ging er ein.

Philippe Etienne im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der französische Botschafter in Deutschland, Philippe Etienne.
    Der französische Botschafter in Deutschland, Philippe Etienne. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Die Anschläge in Paris vom Freitag bezeichnete Etienne als einen Angriff auf die "gesamte französische Bevölkerung", vor allem aber auf die jungen Franzosen. Der Schmerz sitze sehr tief. Die Folgen seien noch nicht alle absehbar, klar sei aber: "Diese terroristischen Angriffe haben eine tiefgreifende Bedeutung." Wahrscheinlich nicht nur für Frankreich. Die Angriffe würden nicht ohne Gegenreaktion bleiben, so Etienne.
    Er forderte "Maßnahmen in der europäischen Innen- und Sicherheitspolitik" im Kampf gegen die Angreifer. Auch die weltweite Staatengemeinschaft sei gefragt. Auf die Frage, ob nun der NATO-Bündnisfall eintrete, sagte Etienne: "Diese Frage wurde in Frankreich nicht gestellt." Auf alle Fälle sei man aber den Verbündeten für ihre Unterstützung sehr dankbar. Ausdrücklich lobte der Botschafter auch die Reaktionen auf die Anschläge aus Deutschland. Trauer- und Unterstützungbekunden seien "wichtige Signale".

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: 132* Menschen sterben am Wochenende bei und nach den Anschlägen von Paris: bei einer Terrorserie, die weltweit für Entsetzen gesorgt hat. Drei Terrorkommandos an sechs Orten schlagen koordiniert zu, schießen auf Menschen in Restaurants und Cafés und in der Konzerthalle Bataclan. Selbstmordattentäter sprengen sich in der Nähe der Fußballarena Stade de France in die Luft. Sehr wahrscheinlich hatten sie eigentlich vor, das im Stadion während des Spiels Frankreich-Deutschland zu tun und unzählige Fans mit in den Tod zu reißen. Jetzt antwortet Frankreich militärisch mit Luftanschlägen gegen den IS.
    Mitgehört hat der französische Botschafter in Berlin, Philippe Etienne. Guten Morgen und ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben und uns heute zugesagt haben.
    Philippe Etienne: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Die Anschläge auf Charlie Hebdo, die liegen noch nicht mal ein Jahr zurück. Jetzt ein neuer Anschlag, eine neue Anschlagsserie mit noch mehr Toten. Wie tief sitzt der Schmerz?
    Etienne: Der Schmerz ist sicher sehr tief und deswegen brauchen wir auch sehr die Anteilnahme, diese Beziehung zu unseren deutschen Freunden. Aber die Anschläge vom letzten Mal waren gezielte Anschläge. Diesmal galt der Angriff vom letzten Freitag der gesamten französischen Bevölkerung und insbesondere der Jugend und deren Lebensstil, wie Ihre Korrespondenten es gut geschildert haben. Trotzdem: In beiden Fällen müssen wir diese terroristischen Bedrohungen angehen, und das ist sehr, sehr ernst.
    "Diese Angriffe haben natürlich eine tiefgreifende Bedeutung"
    Schulz: Herr Etienne, ich weiß, die Frage kommt früh. Aber können Sie uns schon sagen, was diese Anschläge für Frankreich bedeuten?
    Etienne: Ja, die Frage kommt ein wenig früh, wenn Sie von mir alle Folgen hören möchten. Aber diese terroristischen Angriffe haben natürlich eine tiefgreifende Bedeutung, vielleicht auch nicht nur für Frankreich, und unser Staatspräsident wird heute vor der Versammlung beider Kammern des französischen Parlaments - das ist ein relativ seltenes Verfahren - eine Rede halten. Er hat gestern mit allen Parteien gesprochen und wir haben schon diesen Ausnahmezustand beschlossen. Wir werden erstens natürlich - das ist die erste Priorität -, wir müssen die Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sichern und den Kampf gegen die Terroristen noch entwickeln.
    Schulz: Und da ist natürlich interessant und da fragen sich viele, wie dieser Kampf aus französischer Sicht aussehen soll. Sieht Frankreich den Bündnisfall, den NATO-Bündnisfall als gegeben?
    Etienne: Ja! Erstens haben Sie schon gesehen und Ihre Korrespondentin hat das auch bezeichnet, dass wir schon Vieles intern gemacht haben. Aber auch - und das ist die Bedeutung dieses Ausnahmezustands - werden wir mehr zu tun haben, um die Unterstützungspunkte der terroristischen Bewegung zu identifizieren und zu bekämpfen. Zweitens: Natürlich brauchen wir auch europaweit neue Maßnahmen in dem Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik. In diesem Sinne wird am kommenden Freitag eine außerordentliche Tagung des Rates Justiz und Inneres stattfinden und wir brauchen die rasche Umsetzung insbesondere aller Entscheidungen, die schon seit Januar im Prinzip getroffen wurden, zum Beispiel die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, und natürlich auch eine wirksame Kontrolle von Feuerwaffen, aber das sind nur einige Beispiele. Und drittens: Natürlich international müssen wir in der internationalen Gemeinschaft alles tun, um diesen Kampf wirksamer zu machen. In diesem Sinne gibt es schon sehr, sehr wichtige Beratungen. Zum Beispiel war in Antalya die Rede über die Finanzierung des Terrorismus und darüber, wie man diese Finanzierung stoppen kann, also viele, viele Baustellen.
    "Die Frage nach dem Bündnisfall wurde in Frankreich nicht gestellt"
    Schulz: Herr Etienne, an der Stelle muss ich einhaken, einfach weil es viele so brennend interessiert und weil die Diskussion ja schon im Gange ist darüber. Sie sprechen über die internationale Unterstützung, die Sie sich erhoffen und die Sie natürlich auch erwarten. Welche Erwartungen haben Sie an die NATO?
    Etienne: Ja! Bei der NATO gibt es natürlich auch Sitzungen und ich verweise auf die nächsten Zeichen der Solidarität, die wir dort haben. Die Frage, die sie erstens gestellt haben, wurde nicht in Frankreich gestellt.
    Schulz: Die Frage nach dem Bündnisfall?
    Etienne: Ja. Wenn Sie die Frage des Artikels fünf meinen, wurde diese Frage nicht gestellt. Aber auf alle Fälle sind wir natürlich unseren Verbündeten für ihre Unterstützung sehr dankbar, und wir brauchen diese Unterstützung. Wir brauchen diese Solidarität. Ihre Korrespondentin und Sie haben auch die Reaktionen der französischen Armee in den letzten Stunden in Syrien auf Rakka bezeichnet. Wir werden natürlich nicht ohne Aktionen bleiben.
    "Anteilnahme der deutschen Bevölkerung sehr stark und sehr bewegend"
    Schulz: Was konkret erwarten sie von Deutschland?
    Etienne: Erstens war und ist die Anteilnahme der deutschen Bevölkerung sehr, sehr stark, sehr bewegend. Ich habe auch mit vielen, vielen Menschen gesprochen, aber auch, was wir in der Presse gelesen haben, Titel wie "wir trauern mit Frankreich", "wir leiden mit Frankreich", wir kämpfen mit Frankreich". Das sind wichtige Zeichen. Die Deutschen haben es von ganz nahem erleben können am Freitagabend, natürlich mit dem deutsch-französischen Fußball-Freundschaftsspiel. Und wir sehen natürlich die Zeichen, was der Bundespräsident gesagt hat, was die Bundesregierung auch gesagt hat, die Besucher in der Botschaft. Alles das war sehr, sehr wichtig. Was wir natürlich auch erwarten ist die Beratung mit Deutschland und dann die Unterstützung Deutschlands bei den nächsten Tagungen. Ich habe zum Beispiel die Tagung der Minister, der Innenminister erwähnt, die in den kommenden Tagen stattfinden soll. Und ich habe keinen Zweifel daran übrigens, weil die Koordinierung bis jetzt - und so wird es auch bleiben - zwischen unseren Innenministern zum Beispiel oder insgesamt zwischen den beiden Regierungen sehr, sehr gut immer geblieben ist.
    Schulz: Der französische Botschafter Philippe Etienne heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk nach den Anschlägen auf Paris. Haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Etienne: Dankeschön!
    *Die Moderatorin spricht von 132 Menschen, Frankreichs Präsident Hollande hat am Nachmittag (16.11.) erklärt, dass es 129 Todesopfer bei den Terrorangriffen in Paris gegeben hat, Anm. der Red.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.