Christoph Heinemann: Die französische Regierung geht davon aus, dass die Anschläge in Syrien vorbereitet worden sind. Dort flogen französische Maschinen Angriffe auf Stellungen des IS. Wenn Frankreich verletzt ist, besinnt es sich auf seine Geschichte, auch räumlich. Am Nachmittag treffen sich die beiden Kammern des französischen Parlaments in Versailles. Dort tagt der Kongress. Die Einberufung dieser sehr großen Parlamentarierversammlung ereignet sich höchst selten in der fünften Republik.
Paris ändere alles! Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen. - Dieser Tweet des bayerischen Finanzministers Markus Söder hat für eine lebhafte Diskussion gesorgt. Selbst CSU-Parteifreunde kritisieren diese Äußerung. Auf Twitter kommentierte ein User: "Halt's Maul, Söder!" Am Telefon ist jetzt Henning Otte (CDU), der Obmann der Unions-Fraktion im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag.
Henning Otte: Guten Tag, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Otte, ich möchte die Äußerung von Markus Söder aufnehmen. Ändert Paris alles?
Otte: Die Anschläge in Paris sind verheerend. Sie treffen nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa. Wir alle müssen fest zusammenstehen. Wir sehen aber auch deutlich, wovor die vielen Flüchtlinge fliehen, nämlich genau vor diesem IS-Terror.
Zuwanderung: "Ich sehe hier keinen Zusammenhang"
Heinemann: Kann man die Anschläge und die Ankunft der vielen Menschen in Deutschland voneinander trennen, oder muss man es sogar?
Otte: Es stellt sich mehr und mehr heraus, dass die Anschläge in Paris verübt worden sind von Menschen, die in Frankreich leben oder in Belgien leben. Das sind genau diese Gefährderstrukturen, die aus der Mitte unserer Gesellschaft kommen, und deswegen halte ich es für zwingend geboten, die Ursachenbekämpfung durchzuführen, klar festzustellen, wer sind die Täter, aber auch zu sagen, wir sehen, warum diese vielen Menschen vor diesem furchtbaren IS-Terror in Syrien flüchten.
Heinemann: Sehen Sie einen direkten Zusammenhang zwischen der Forderung von Söder, keine weitere illegale unkontrollierte Zuwanderung, und den Anschlägen?
Otte: Ich sehe hier keinen Zusammenhang. Ich sage aber auch: Ziel muss es in Deutschland sein, dass die Behörden wissen und damit der Staat weiß, wer sich in unserem Land aufhält. Das heißt, wir müssen zwingend eine Registrierung feststellen, um zu sagen, wir wissen, wer sich in unserem Land aufhält.
Heinemann: Hat Söder wieder geschmutzelt?
Otte: Ich weiß nicht, wie man das bezeichnet. Ich würde sagen, wir müssen in aller Besonnenheit, aber auch aller Klarheit und auch mit dem Mut agieren zu sagen, wir müssen die Realität betrachten. Es ist so, dass der Weltfrieden ins Wanken gerät, dass der IS-Terror bekämpft werden muss, dass wir den vielen Menschen, die flüchten, einen Schutz bieten, aber auch genau sagen, wer ist schutzbedürftig und wer ist nicht schutzbedürftig.
Heinemann: Herr Otte, ist der Begriff Krieg angemessen?
Otte: Präsident Hollande hat diesen Begriff genutzt...
Heinemann: Der Bundespräsident auch.
Otte: ...ich kann das aus voller Kraft verstehen, diese emotionale Betroffenheit, die wir alle haben. Das sind Anschläge im Inneren Europas. Wichtig ist nur, welche Konsequenzen erwachsen daraus.
"Deutschland leistet bereits einen wesentlichen Beitrag"
Heinemann: Rechnen Sie mit dem NATO-Bündnisfall, apropos Konsequenzen?
Otte: Für einen NATO-Bündnisfall braucht es eine Kaskade von verschiedenen Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Und dennoch: Der IS-Terror kann nicht durch Verhandlungen zu einem Guten geführt werden, sondern es ist meine feste Überzeugung, dass dieser IS-Terror bekämpft werden muss.
Heinemann: Sollte Deutschland Frankreich militärisch helfen, auch in Syrien?
Otte: Deutschland leistet bereits einen wesentlichen Beitrag an der Seite unserer Partner zur Bekämpfung dieses IS-Terrors. Wir sind engagiert im Norden Iraks, wir haben die Peschmerga-Kämpfer ausgestattet mit notwendiger Ausrüstung, damit sie deren Heimat verteidigen können und gegen den IS kämpfen können, wir bilden dort aus, also wir stehen nicht abseits.
Heinemann: Premierminister Valls hat ja gesagt, die Anschläge seien nach Erkenntnissen der Ermittler in Syrien geplant worden. Also noch mal konkret die Frage: Sollte Deutschland auch in Syrien aktiv werden?
Otte: Hier muss ebenso eine genaue Lageanalyse durchgeführt werden, in aller Besonnenheit jetzt ganz klar festgestellt werden, wo liegt das Zentrum dieses Terrors, um dann in Gemeinschaft zu sehen, wer kann welchen Beitrag leisten. Deutschland wird nicht beiseite stehen; Deutschland leistet aber bereits schon einen Beitrag, um diese Situation in den Griff zu kriegen.
Heinemann: Das heißt, Angela Merkels Zusage einer uneingeschränkten Unterstützung würden Sie einschränken?
Otte: Wir stehen ganz klar fest an der Seite Frankreichs als fester Bestandteil in Europa. Der IS-Terror hat einen Anschlag in Paris durchgeführt, aber es hat uns alle in Europa getroffen.
"Die ideologischen Reflexe der Opposition können wir uns nicht leisten"
Heinemann: Herr Otte, Ihr Parteifreund Andreas Jung von der CDU hat Aufklärungsflüge ins Spiel gebracht, die möglicherweise durchgeführt werden könnten. Wäre das eine Option?
Otte: Deutschland kann durch die Bundeswehr verschiedene Fähigkeiten abbilden. Das haben wir in der Vergangenheit bewiesen. Hier muss genau gesehen werden, welchen Beitrag können wir leisten. Ich sage aber auch deutlich: Die ideologischen Reflexe der Opposition, die können wir uns heutzutage nicht mehr leisten. Wir müssen ganz klar das Bild vor Augen haben: Es gab einen verheerenden Anschlag in Paris und damit in ganz Europa, und jetzt muss genau gesehen werden, wie kriegen wir diese Lage in den Griff.
Heinemann: Was genau meinen Sie mit ideologischen Reflexen?
Otte: Immer zu sagen, die Bundeswehr kann keinen Beitrag leisten zur Überwachung von Grenzen, oder die Bundeswehr sollte abseits stehen, wenn es um Lösungen von Problemen geht. Hier sind alle aufgefordert, der Realität fest ins Auge zu sehen.
Heinemann: Es gibt aber doch eine Verfassung, die das ganz klar regelt.
Otte: Wir müssen die Gesetze an die Realität anpassen und nicht die Realität unter unsere Gesetze schieben. Deswegen meine ich, dass mit aller Deutlichkeit und aller Klarheit wir die Realität betrachten müssen. Es muss sichergestellt sein, dass A jeder Mensch, der unser Land betritt, registriert ist, damit der Staat weiß, wer sich hier aufhält, und wir müssen auf der anderen Seite aber auch deutlich machen, bei der Ursachenbekämpfung wird Deutschland nicht beiseite stehen.
"Luftschläge machen Europa sicherer"
Heinemann: Schauen wir noch mal auf die Lage in Syrien. Wie führt man mit konventionellen militärischen Mitteln - Sie haben das ja eben schon mal angedeutet - einen asymmetrischen Krieg gegen eine Terrorbande?
Otte: Diese Terrorbande hat militärische Organisationsstrukturen. Diese Terrorbande ist militärisch ausgestattet und agiert wie eine Armee, auch wenn es asymmetrische Konsequenzen hat. Und es führt gar kein Weg daran vorbei, diese Armeestrukturen des IS-Terrors zurückzuschieben, sie im Kern auch zu bekämpfen.
Heinemann: Machen die Luftschläge in Syrien, wie sie zum Beispiel von Frankreich und von anderen Staaten geflogen werden, Europa sicherer?
Otte: Sie machen Europa sicherer, weil sie genau diese Strukturen zerschlagen, an den Kern ansetzen. Es kann nicht sein, dass aus den verheerenden Zuständen in Syrien ein Nährboden für Terrorismus sich entwickelt, der nicht nur den europäischen Frieden, sondern den Weltfrieden bedroht. Da muss die Völkergemeinschaft aufstehen und dagegenhalten.
Heinemann: Ist vor diesem Hintergrund Machthaber Präsident Baschar al-Assad zwischen allen Übeln in Syrien das kleinste?
Otte: Das Vorgehen von Assad gegen die eigenen Landsleute mit über 250.000 Toten ist mit nichts zu rechtfertigen, ist ein furchtbares Signal. Insofern haben wir mit zwei Problemen zu kämpfen. Jetzt geht es erst einmal darum, den IS-Terror zu bekämpfen.
Heinemann: Henning Otte, der Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Otte: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.