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Anschläge in Paris
"Man versteht eigentlich diese Welt nicht mehr"

Die Anschläge jetzt seien noch schlimmer als das, was Frankreich im Januar mit dem Angriff auf die Zeitschrift "Charlie Hebdo" erlebt habe, sagte der Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents", Gérard Foussier, im DLF. "Es ist unfassbar." Noch sei völlig unklar, was etwa aus der Klimakonferenz werde, zu der 20.000 Menschen nach Paris kommen wollten.

Gérard Foussier im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Nach den Anschlägen von Paris stehen Menschen in Notdecken gehüllt auf der Straße.
    Nach den Anschlägen von Paris stehen Menschen in Notdecken gehüllt auf der Straße. (picture alliance / dpa / Arnaud Journois)
    Martin Zagatta: Mehr als 100 Tote, wahrscheinlich mehr als 140 Tote bei Anschlägen gestern Abend in Frankreich. Wir sind jetzt mit Gérard Foussier verbunden, er ist Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents". Herr Foussier, guten Morgen!
    Gérard Foussier: Morgen!
    Zagatta: Frankreich ist ja ein Land, das schon lernen musste, das schon gelernt hat, mit Terroranschlägen zu leben. So einen schlimmen Anschlag hat es jetzt aber in den letzten Jahrzehnten doch nicht mehr gegeben. Wie sehr ist Ihr Land, weil sehr ist Frankreich heute Morgen unter Schock?
    Foussier: Es ist noch viel zu früh jetzt, um eine richtige Analyse zu liefern. Man versteht eigentlich diese Welt nicht mehr. Es war schon schlimm im Januar, wo Terroristen direkt in der Redaktion von "Charlie Hebdo" die Karikaturisten erschossen haben und zwei Tage später auch noch in einem Geschäft die Leute bedroht haben und auch einige getötet haben. Diesmal, die Zahl 120, 140, die Zahlen sind auch noch unsicher, das fasst doch kein Mensch mehr. Es sollte ein schöner Abend sein mit Fußball, es wurde auch viel spekuliert über die Chancen der beiden Mannschaften, und mitten im Spiel hörte man eine Detonation. Es gab einen kleinen Hinweis im Fernsehen, ach, dass schon wieder diese Leute, die mit Granaten kommen in die Stadien,...
    Zagatta: Mit Böllern, ja.
    Es wollten 20.000 Menschen zur Klimakonferenz kommen
    Foussier: ... mit Böllern und so, aber kein Mensch hat auch wahrgenommen, wie schwierig, wie dramatisch das werden könnte. Und es wurde - ich habe es gestern Abend noch verfolgt auch im französischen Fernsehen -, es war von Minute zu Minute immer dramatischer. Als ich ins Bett ging, ich sage, ich müsste eigentlich die ganze Nacht da stehen, wenn ich alles wissen will. Und selbst heute Morgen weiß ich auch nicht selber, ob wir alles wissen. Man spricht von sechs Anschlägen, quasi simultan, und noch schlimmer, 300 Meter. Ich weiß nicht, ob irgendwas heute noch schlimmer ist, aber 300 Meter von "Charlie Hebdo" entfernt. Das heißt, die Terroristen wollten zeigen, wir haben keine Angst vor der Polizei, da, wo auch die Polizei besonders aufmerksam sein sollte, dann wird so ein Anschlag, eine Anschlagsserie. Es ist unfassbar! Und Frankreich. Es ist viel zu früh, um jetzt zu spekulieren, wie es jetzt weitergeht. Aber Frankreich steht im Wahlkampf, es gibt Anfang Dezember Regionalwahlen. Frankreich steht vor einer wichtigen Klimakonferenz, wo 20.000 Leute aus der ganzen Welt kommen wollen, wo Präsident Hollande gesagt hat, das ist die Chance für den ganzen Planeten, für die ganze Erde, wir müssen auch diese Klimabedingungen ändern, Obama kommt und Putin kommt und, und, und. Die ganze Welt sollte kommen! Heute ist es viel zu früh zu sagen, inwiefern auch ein amerikanischer Präsident bereit ist, nach Paris zu fliegen, 20.000 Leute.
    Zagatta: Herr Foussier, ist es für die französischen Medien klipp und klar, dass es sich um einen islamistischen Terroranschlag handelt, also um diese Serie, dass das Islamisten sind? Oder gibt es da noch irgendwelche Zweifel?
    Foussier: Gut, ich habe nicht die ganze Presse gelesen und auch nicht alles gehört, was dazu gesagt wird. Aber alles spricht dafür, das ganze Prozedere und auch dass die Terroristen selber aus der Geschichte von Januar 2015 sogar gelernt haben. Das heißt, ein Anschlag zunächst weit weg vom Zentrum von Paris, damit die ganze Polizei da hinfährt, da war auch nicht nur Staatspräsident Hollande im Stadion, da war auch Bundesaußenminister Steinmeier dabei. Das heißt, die ganze Polizei fährt erst mal ins Stadion. Und ein paar Minuten später dann ein erster Anschlag, dann ein paar Minuten wieder ein zweiter Anschlag, aber mitten in Paris, da muss also die ganze Polizei zurück nach Paris. Man muss sich also vorstellen, was das bedeutet in einer Großstadt wie Paris! Und man spricht von – ich weiß nicht, ob die Zahl jetzt noch richtig ist – sechs Anschlägen und wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich haben auch diese Terroristen unter sich da kommuniziert. Das ist genau das Szenario von Januar, nur in einem Ausmaß, was man sich auch gar nicht darunter vorstellen kann!
    Man wird schnell sehen, das waren Franzosen
    Zagatta: Eine Frage habe ich doch noch, Sie sagten uns, man kann jetzt noch schlecht absehen, wie es weitergehen wird. Aber wir alle haben noch dieses Attentat auf "Charlie Hebdo" in der Erinnerung und waren beeindruckt, wie sehr die französische Gesellschaft da zusammengestanden ist, wie sie sich nicht hat spalten lassen. Erwarten Sie zumindest, dass das diesmal auch so sein wird, oder sehen Sie da jetzt Gefahren?
    Foussier: Das wird sicherlich so sein, keiner wird auch versuchen wollen, Kapital zu schlagen aus diesem. Ich meine jetzt politisch. Und auch die Bevölkerung. Jetzt wird man wahrscheinlich noch mehr zeigen entweder, dass man auch mit den muslimischen Mitbürgern solidarisch ist oder eben, dass man solche Mitbürger nicht haben will. Also, das wird die Sprache auch kurz vor dem Wahlkampf, müssen wir so viele Flüchtlinge haben, die aus diesen Ländern kommen? Denn, nur, sehr schnell wird man feststellen, dass die Terroristen nicht aus diesen Ländern kommen, das sind Franzosen!
    Zagatta: Davon gehen Sie aus? Das haben wir gestern Abend von Sicherheitsexperten auch schon gehört. Herr Foussier, auf uns warten gleich die Nachrichten. Ich bedanke mich aber, es war hoch interessant, Ihnen da zuzuhören. Ich bedanke mich, dass Sie so schnell hier bei uns zur Verfügung standen, auch wenn der Anlass hier so traurig ist. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch! Gérard Foussier war das, der Chefredakteur der deutsch-französischen Zeitschrift "Documents".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.