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Anschlag auf Berliner Museumsinsel
"Das ist eine neue Bedrohungslage"

Die Angriffe auf Kunstwerke auf der Berliner Museumsinsel bezeichnet der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, als unglaublichen, schockierenden Vandalismus. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Kulturschätze zu schützen, sagte er im Dlf.

Hermann Parzinger im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, steht an der Treppe der Villa von der Heydt.
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sieht nach den Angriffen auf der Museumsinsel die gesamte Gesellschaft gefordert (dpa / Christoph Soeder)
Auf der Berliner Museumsinsel haben Unbekannte Anschläge auf mehrere Museen verübt und rund 70 Kulturgüter und Kunstwerke beschädigt. Die Stücke wurden dort mit einer ölhaltigen Flüssigkeit bespritzt – die Schäden sind bis heute zu sehen. Es war der größte Angriff auf die Kultur in Deutschland nach dem Krieg. Von dem Täter oder den Täterinnen fehlt nach wie vor jede Spur. Jetzt wird über die Sicherheit von Kunstwerken nicht nur in Deutschland gesprochen.
Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Professor Hermann Parzinger, ist verantwortlich für die Museumsinsel und besorgt, nicht nur wegen der Vorfälle in Berlin. "Ich frage mich schon auch, was in unserer Gesellschaft eigentlich derzeit vorgeht. Wenn man sieht, wie vermüllt die Museumsinsel ist, nachts werden Partys gefeiert, seit der Coronakrise nimmt das inzwischen Züge an, die schlimm sind. Oder Attila Hildmann, der auf der Treppe des Alten Museums seine Reden hält, das sind Entwicklungen, wo man keinen Respekt mehr vor so einem wirklichen Weltkulturerbe wie der Museumsinsel hat." Das Bewusstsein sei verloren gegangen, welchen Wert kulturelles Erbe, Kulturschätze, Museumssammlungen wirklich haben.
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Berliner Museumsinsel - Anschlag auf die Weltkultur
Ägyptische Statuen und griechische Götterbildnisse, Sarkophage und europäische Gemälde: Am 3. Oktober wurde auf der Berliner Museumsinsel einer der umfangreichsten Angriffe auf Kunstwerke und Antiken in der Geschichte Nachkriegsdeutschlands verübt. Täter und Motiv: unbekannt.
Stefan Koldehoff: Haben die Berliner Museen ein Sicherheitsproblem?
Hermann Parzinger: Ich glaube, Museen haben ein Sicherheitsproblem, wenn sie auf extreme kriminelle Energie stoßen. Man kann hundertprozentige Sicherheit nicht gewährleisten, man muss es anstreben, das ist vollkommen klar, aber was ich schlimm finde, das war ja immer Kerngedanke der Museen, dass sozusagen Schwellen zwischen den Besucherinnen und Besuchern und den Objekten (Unverständlich; Anm. d. Red.), wo die Entfernung möglich ist, dass sie da auch nicht vorhanden sind, also dass nicht Reliefs durch Plexiglasscheiben oder Panzerglas abgedeckt werden können. Und das war im Grunde auch bei den Museen auf der Museumsinsel, gerade bei archäologischen Großobjekten eigentlich der Standard. Das ist auch ein Vertrauen in den Besucher, denn Videoanlagen, Aufsichten, wir haben ja derzeit mehr Aufsichten als sonst, die auf Corona-Abstände achten. Wenn man eine bestimmte Absicht hat, zu schädigen, dann ist es ganz, ganz schwierig. Also es hängt ein Stück weit auch von der kriminellen Energie auch ab.
"Wir haben eine gesellschaftliche Gesamtverantwortung"
Koldehoff: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist wahrscheinlich noch besser, gerade im Museum. Es gibt noch keine Spur zu dem Täter oder den Tätern, sind ausreichend Sicherheitsvorkehrungen vorhanden, Kameras beispielsweise, auf der Museumsinsel?
Parzinger: Das kann man sicher noch verbessern, das ist ganz klar, die Sicherheit ist immer verbesserbar. Wir haben da auch Anträge gestellt jetzt über neue Videoanlagen und so weiter, also das wird immer wieder geupdatet. Grundsätzlich gelten, das sagen die Fachleute von den staatlichen Museen, die Museen auf der Museumsinsel jetzt nicht als schlecht gesichert. Aber ich glaube einfach, dass wir hier einem neuen Bedrohungsszenario gegenüberstehen, was ja einerseits der Raub der Goldmünze, der Raub in Dresden, zeigt, wo es um den materiellen Wert von Objekten geht, die gestohlen werden. Und umgekehrt jetzt diese Art von unglaublichem Vandalismus, der einfach nur schockierend ist. Das ist eine neue Bedrohungslage. Und ich glaube, man muss wirklich mehr investieren, aber man muss eben auch sich überlegen, kann man Großobjekte wirklich noch so frei dem Besucher anbieten.
Ich glaube aber, das kann man nicht alles an die Museen nur delegieren. Ich glaube, wer im Museum Kunst-Großobjekte – und darum geht es ja vor allen Dingen –, die man nicht in Vitrinen stellen kann, wer das erleben will, hat ein Stück Mitverantwortung, weil ich glaube, Museumsbesucherinnen und -besucher müssen auch sehen, wenn da irgendwie Leute sich komisch verhalten, wenn gerade mal die Aufsicht sich umdreht. Ich glaube, wir haben eine gesellschaftliche Gesamtverantwortung. Und ich frage mich schon auch, was in unserer Gesellschaft eigentlich derzeit vorgeht. Wenn man sieht, wie vermüllt die Museumsinsel ist, nachts werden Partys gefeiert, seit der Coronakrise nimmt das inzwischen Züge an, die schlimm sind. Oder Attila Hildmann, der auf der Treppe des Alten Museums seine Reden hält, das sind Entwicklungen, wo man keinen Respekt mehr vor so einem wirklichen Weltkulturerbe wie der Museumsinsel hat, das macht uns sehr besorgt.
Koldehoff: Gemeinsam auf unsere Kulturschätze aufpassen, so lautet Ihre Forderung, wenn ich das richtig verstanden habe. Gibt es denn schon Rückmeldungen, nachdem Sie gestern aufgerufen haben, etwaige Beobachtungen zu melden?
Parzinger: Das weiß ich nicht, wenn es die gibt, wüsste ich es wahrscheinlich nicht, denn es ist klar, dass die Ermittlungsbehörden dort ganz, ganz sensibel auf solche Informationen achten. Das war auch bei den anderen Vorfällen so, etwa beim Raub der Goldmünze. Da werden wir nicht immer direkt ins Bild gesetzt, wie gerade der Stand der Ermittlungen ist, das gehört einfach zum Handwerk der Ermittlungsbehörden dazu, das respektieren wir auch.
"Die Freiheit des Gedankens und des Denkens beschädigt"
Koldehoff: Von einer neuen Bedrohungslage haben Sie gerade gesprochen, Herr Parzinger. Andere Museumsdirektoren und -direktorinnen haben in den letzten Tagen davon berichtet, dass sie immer wieder auch für politische oder gesellschaftlich relevante Ausstellung angefeindet worden sind von politischer Seite, aber auch von Privatpersonen. Ist das die neue Bedrohungslage, die Sie meinen, dass nicht nur Objekte im Ziel von übelwollenden Menschen stehen, sondern auch Ideen und Themen, die in Museen verhandelt werden?
Parzinger: Das ist eine ganz wichtige Frage, das kommt nämlich noch hinzu. Hier lässt sich ja jetzt kein System entdecken, man hat offenbar willkürlich mit dieser Flüssigkeit Objekte bespritzt, aber jetzt nicht irgendwie nur nackte Darstellungen oder bestimme Themata oder so, aber das hört man ja auch immer wieder, dass Ausstellungen angefeindet werden – ob von extrem rechten Gruppen oder von anderen, anti-islamisch oder so. Oder Ausstellungen, die sozusagen, wenn sie Themen des Islam aufgreifen … Dass sozusagen die Museen ihre Freiheit, Themen aufzunehmen, auch kritisch, ein bisschen provozierend zu präsentieren, dass das eingeschränkt wird. Ich glaube, da ist eine ganz klare Tendenz in dieser Richtung, und da müssen wir aufpassen. Das ist mindestens genauso schlimm wie die Beschädigung von Objekten, weil es sozusagen die Freiheit des Gedankens und des Denkens beschädigt. Und wenn ich das alles so mal zusammenzähle, Raub, Diebstahl, Grünes Gewölbe, Goldmünze, dann der Vandalismus, den wir gerade hier in Berlin leider erleben mussten, und die Einschränkungen in der Arbeit, in der Freiheit der Museen, was also wirklich kritische Themen betrifft, dann muss ich sagen, ist das wirklich bedenklich und es spiegelt irgendwie auch ein Stück weit unsere Gesellschaft wider. Man fragt sich schon, was ist eigentlich hier los. Und wir müssen uns da, denke ich, schon Sorgen machen.
"Mit Geld alleine ist es auch nicht getan"
Koldehoff: Der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Eckart Köhne, hat in diesem Programm die Träger aufgefordert, mehr Geld zur Verfügung zu stellen für die Sicherheit, denn Sicherheit kostet Geld. Stimmen Sie der Forderung zu?
Parzinger: Natürlich braucht es mehr Geld, Sicherheit kostet, das ist klar, das ist eine Investition, die sich aber auszahlt. Wir haben kulturelle Werte überantwortet, für die wir sorgen müssen, die wir schützen müssen, dazu müssen wir auch in der Lage sein. Aber es braucht neben den Maßnahmen, die man treffen muss, die Geld kosten, also Geld und Personal, muss man aber auch versuchen, in der Gesellschaft das Thema stärker zu adressieren – ob in Schulen oder wo auch immer. Ein Stück weit fühle ich, dass das Bewusstsein verloren gegangen ist, welchen Wert kulturelles Erbe, Kulturschätze, Museumssammlungen wirklich haben und dass man so etwas nicht einfach willkürlich zerstört. Das ist jetzt ein Einzelfall, aber dennoch, in seiner Dimension war er ja enorm. Und mit Geld alleine ist es auch nicht getan, denn schauen Sie, wenn die kriminelle Energie groß genug ist, dann ist es auch ganz, ganz schwierig.
Und wenn ich mir gerade überlege, dass jetzt, was bei uns passiert ist, jemand mit so einer Klistierspritze, die kann man im Ärmel eigentlich verstecken, da kann die Aufsicht neben einem stehen, wenn die sich kurz umdreht, spritzen sie schnell hin. Es ist ja keine Farbe, das heißt zunächst transparent, die Wirkung kommt erst ein bisschen später, das heißt man sieht es in dem Moment gar nicht. Und mit den Videoanlagen ist auch so eine Sache, ich meine klar, die ganzen Besucherinnen in den Museen haben heute Masken auf. Wer also solche üblen Taten vollbringt, der wird natürlich dafür sorgen, dass die Maske ganz besonders große Teile des Gesichts abdeckt. Es ist schwierig, wir müssen da mehr tun, völlig klar, wir werden auch unsere Sicherheitsmaßnahmen überprüfen, den Auftrag haben die Museen bereits, auch zu bedenken, was sind die nächsten Schritte, entsprechend zu reagieren. Es gibt auch schon, höre ich, im Neuen Museum sind Bereiche bereits abgesperrt, wo Großobjekte zugänglich sind. Also, man hat da sofort drauf reagiert, man wird sich weiter Gedanken machen müssen, aber wie gesagt: Wir können nicht alles hinter Panzerglas verstecken.
Sicherheitsmaßnahmen auf dem Prüfstand
Koldehoff: Kolleginnen und Kollegen von Ihnen aus anderen Museen haben sich zu Wort gemeldet und gesagt, bei der Informationspolitik war auch Luft nach oben, wir hätten schon gerne gewusst, dass da noch jemand unterwegs ist, der das getan hat und möglicherweise morgen bei uns auf der Matte steht und in der Spritze dann nicht nur eine ölhaltige Substanz sondern möglicherweise eine Säure oder noch schlimmere Sachen hat. Warum hat die Information nicht stattgefunden?
Parzinger: Natürlich, das ist legitim. Allerdings ist es so, dass mit den Ermittlungsbehörden abgesprochen war, dass hier nicht weiter Täterwissen preisgegeben werden sollte. Das ist immer schwierig, Spuren sozusagen dann nachzuverfolgen. Und aus ermittlungstaktischen Gründen war das dann die Entscheidung, eben nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Allerdings sind dann, sobald es ging, von den Sicherheitsverantwortlichen der staatlichen Museen, haben die dann schon, da gibt es ja eine Arbeitsgruppe des Deutschen Museumsbundes, das dort dann auch preisgegeben und die Leihgeber wurden auch informiert. Aber das war sozusagen die Bitte und auch die gemeinsam dann getragene Entscheidung, das jetzt nicht sofort an die Öffentlichkeit zu geben. Aber, ja, das sind schwierige Momente und schwierige Entscheidungen.
Koldehoff: Sie haben die Konsequenzen, die Sie jetzt ziehen, beschrieben. Gehören dazu auch personelle Konsequenzen, wird darüber nachgedacht?
Parzinger: Das ist schwierig, jetzt zu sagen, wir werden auf jeden Fall sehen müssen, was im Einzelnen, welche Sicherheitsmaßnahmen in den Museen existieren, wie sie schon nach dem Raub der Goldmünze weiterentwickelt worden sind, welche Ansätze es gab, wenn sie nicht realisiert worden sind, warum sie nicht realisiert worden sind und natürlich, wie man jetzt weiterhin darauf reagiert, welche Konsequenzen man daraus zieht im Umgang damit. Das, denke ich, ist erst mal das Vordringlichste.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.