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Anschlag auf "Charlie Hebdo"
"Es wird das Land verändern"

Die stellvertretende Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe, Franziska Brantner (Grüne), fürchtet nach dem Anschlag in Paris eine Spaltung der französischen Gesellschaft. Es gebe viele Menschen in Frankreich, die ein Interesse daran hätten, die Debatte um Islamismus nicht differenziert zu führen, sagte sie im DLF.

Franziska Brantner im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) im Bundestag
    Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner (imago / Metodi Popow)
    Christiane Kaess: Frau Brantner, wir haben es gerade gehört: Die Angst grassiert in Frankreich. Das Land hat seine großen Satiriker verloren. Wie wird das das Land verändern?
    Brantner: Ja, es wird schwierig auf jeden Fall. Es wird das Land auf jeden Fall verändern, glaube ich. Sie haben gerade die Angst angesprochen, aber wir haben auch gerade gehört von den Demonstrationen, von diesem republikanischen Willen, für die Freiheit auch zu kämpfen und dafür auch auf die Straße zu gehen. Und ich glaube, zwischen diesen zwei Polen spielt sich das ja gerade ab, zwischen der Angst, die auch benutzt werden kann politisch - Marine Le Pen wird das sicherlich versuchen -, und andererseits dieser Résistance, wirklich diesem Willen, auch für die Freiheit dann doch zu kämpfen. Und ich hoffe sehr, dass es bei einer differenzierten Debatte bleiben wird. Es gibt viele, die Interesse daran haben, das bestimmt nicht differenziert zu führen, und ich glaube, das hängt auch stark davon ab, wie sich die Islam-Verbände in Frankreich positionieren werden.
    "Es wird sehr viel Anstrengung in Frankreich brauchen"
    Kaess: Präsident François Hollande hat ja die Franzosen aufgefordert, zusammenzustehen. Glauben Sie, das wird tatsächlich gelingen? Wird das die Nation tatsächlich zusammenschweißen, oder wird sie es eher weiter spalten?
    Brantner: Gestern hatte ich nach den Aussagen von Marine Le Pen die Hoffnung, dass sie wirklich auch respektvoll damit umgehen kann. Heute mit ihrer Ankündigung für das Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Frankreich zweifele ich da etwas daran, und deswegen mache ich mir durchaus Sorgen, dass es da wirklich eher einen Keil reintreibt und diese Polarisierung eher noch bestärkt. Die bedingen sich ja, diese beiden Seiten, die radikalen Islamisten und jene, die an sich den Islam verteufeln und hassen, und ich glaube, das wird sehr viel Anstrengung in Frankreich brauchen, um diese Einheit hinzubekommen.
    Kaess: Dieser Keil, den Sie jetzt gerade beschrieben haben, wie sehr, glauben Sie, wird der Front National davon profitieren?
    Brantner: Ich glaube, zumindest aus dem Kreis, was ich mitbekommen habe, auch aus den Online-Medien heute Morgen, dass viele schlecht aufgenommen haben, dass Marine Le Pen schon vor der Trauerminute an dem nationalen Trauertag das jetzt schon politisch nutzt und schon wieder ankündigt, dass sie das für die Todesstrafe nutzen will. Ich glaube, das hat bei vielen diesen Reflex gegeben, das ist jetzt wirklich nicht der Moment. Von daher: Mal sehen, wie erfolgreich sie sein wird. Aber ich glaube, sie wird das auf jeden Fall versuchen, weil die Angst existiert ja und die ist ja auch nicht ganz grundlos, und ich glaube, je nachdem, wie man mit diesen Ängsten jetzt umgehen kann und wie das auch François Hollande schafft, wird sie damit Erfolg haben oder hoffentlich eben auch nicht.
    "Es wurden viele Fehler gemacht"
    Kaess: Jetzt stehen einmal wieder im Fokus - und zwar nicht zum ersten Mal - junge Männer, deren Familien aus dem Maghreb eingewandert sind, denen man eine hohe Gewaltbereitschaft nachsagt, die also nicht integriert sind. Unterm Strich: Wer hat da was versäumt?
    Brantner: Ja das ist die Debatte, die in Frankreich schon seit Jahren läuft, die Frage nach der Integration und wo die Fehler sind und ob es auch damit zusammenhängt, dass natürlich die Französische Republik sehr säkular aufgestellt ist, anders als Deutschland zum Beispiel, und inwieweit das Verbot von Schleiern et cetera solche Debatten eher angeheizt haben. Ich glaube eigentlich, dass in Frankreich das auch wirklich stark eine soziale Frage ist und dort wirklich viele Fehler gemacht wurden, auch immer noch gemacht werden, und zum Beispiel die Frage der Prävention von radikaler Islamisierung, die hat François Hollande erst jetzt, letztes Jahr im Frühjahr, als erstes Mal auf die Tagesordnung gebracht. Bis dato war das immer eine rein repressive Antwort und ich glaube, da wird sich jetzt die Debatte abspielen, ob diese reine Repression noch weitergeführt wird, oder ob man endlich, glaube ich, auch erkennt, dass man vielleicht auch vorher ansetzen muss, dass man es nicht schaffen wird, alles, jedes Individuum da auch zu finden durch die Sicherheitsdienste, und man deswegen auch andere Strategien braucht. Das ist, glaube ich, noch eine Debatte, die in Frankreich noch wesentlich stärker kommen wird.
    Kaess: Müssen aber auch, Frau Brantner, auf der anderen Seite die Linken in Frankreich das Thema Islamismus stärker in den Fokus nehmen, und zwar ohne Angst, als Rassisten zu gelten?
    Brantner: Ja. Ich glaube, die Differenzierung ist von allen Seiten gefordert, und auch, dass die Linken, auch die Grünen in Frankreich, die ja auch für eine offene Gesellschaft und eine Immigrationsgesellschaft kämpfen, natürlich bekennen, dass Gefahr ausgeht von Islamisten und Radikal-Islamisten, wenn man die natürlich klar differenziert von der großen, großen Mehrheit der Muslime, aber natürlich auch sagt, es gibt da ein Problem - in Frankreich haben die Grünen das auch nie geleugnet -, und natürlich sagt, man kann nicht nur auf Prävention setzen. Aber ich glaube, dass es schon wichtig ist, darauf hinzuweisen, ohne irgendetwas, sage ich mal, zu beschönigen, oder die berechtigten Ängste nicht wahrzunehmen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.