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Anschlag auf Shakespeares Klassiker

Die Wooster Group experimentiert: Während Hamlet hinten auf einer Leinwand in einer alten Inszenierung schattengleich in Schwarz-Weiß herumgeistert, klagt auf der Bühne Scott Shepard als unglücklicher Dänenprinz über seinen fauligen Staat. Ein lohnendes Unterfangen.

Von Ulrich Fischer |
    Die Wooster Group hat eine ganz eigene Art, sich "Hamlet" zu nähern; sie erläutert Scott Shepard gleich zu Anfang des Spiels:

    "I don’t know exactly, how the process is, I’m no scientist … was supposed never to be shown again."

    Die Wooster Group hat eine Inszenierung von 1964 ausgegraben, Richard Burton spielte am Broadway Hamlet. Die Aufführung wurde aufgezeichnet und in den Vereinigten Staaten in etwa 2000 Kinos gleichzeitig gespielt. Die Aufnahmen hat die Wooster Group gesichtet, bearbeitet und zur Grundlage der Aufführung unter der Leitung ihrer Regisseurin Elizabeth LeCompte gemacht. Wenn hinten, schwarz-weiß, wie ein Schatten, Richard Burton als Hamlet zweidimensional auf einer Leinwand umhergeistert, spielt vorn dreidimensional der souveräne Scott Shepard den unglücklichen Dänenprinzen.

    Das ist zunächst einmal wahnsinnig komisch, weil 1964 das ganze Ensemble am Broadway noch den alten hohen Staatstheaterton und ein vom Expressionismus geprägtes Gestenvokabular pflegte. Das ist nicht nur verstaubt, es klingt gekünstelt und sieht unwahr aus.

    Aber das Ensemble der Wooster-Group ist nicht ungerecht, Regisseurin LeCompte entdeckt auch Ansätze zu richtigeren, wahrhaftigeren Tönen. Aus der Kritik des Alten entwickeln die Schauspieler das Neue. Als Hamlet seinen berühmten Monolog spricht, lässt ihn Scott Shepard in seiner ganzen Schönheit und Tiefgründigkeit leuchten: "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage."

    "To be or not to be … sea of troubles."

    Eine Inszenierung für Theaterhistoriker – ja, das ist ein berechtigter Einwand. Aber das Spiel hat durch seinen Humor und seine kritische Haltung auch Hinweise für Alle auf unser gesellschaftliches und politisches Leben heute: wie Reden gehalten, Lügen als Wahrheit verkauft werden. Das ganze Spitzelwesen am Hof von Helsingör, das in der finalen Katastrophe endet, erinnert fatal an unsere Spioniererei heute, die bekannt, bestritten, heruntergespielt, dementiert und doch wieder enthüllt wird. Es ist was faul im Staate Dänemark.

    Einige Zuschauer waren wohl enttäuscht, weil dieser Hamlet sich so weit von einer klassischen Inszenierung entfernt hatte, nach der Pause blieben Plätze leer, die anderen waren begeistert. Die Edinburgher sind bei Beifall zurückhaltend, hier gab es laute Bravos – verdient.

    Neben dem "Hamlet" steht eine andere Schauspielproduktion am Anfang des Festivals, "Leaving Planet Earth" – auf Deutsch vielleicht: "Den Planeten Erde verlassen" – eine Antiutopie, in der die Zuschauer mitspielen. Aufführungsort ist an Edinburghs Peripherie ein kommunales Kletterzentrum – eine Schnapsidee, dort zu agieren, wie sich rasch herausstellte. Das Publikum wurde von Station zu Station geführt und kletterte Treppen hinauf und hinab – sodass jeder Zusammenhang des Spiels zerrissen wurde. Für das Bühnenbild ergaben sich unlösbare Aufgaben, Pappmaschee blieb als vorherrschender Gesamteindruck – dem Projekt lag zudem ein naiver Text zugrunde, es scheiterte desaströs. "Leaving Planet Earth" hat die Bühnenreife nicht erlangt.

    So war der Auftakt zumindest im Schauspiel uneinheitlich – das Edinburgh International Festival 2013 hat im künstlerischen Niveau noch Raum nach oben.