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Anschlag auf Synagoge in Halle
Zentralratspräsident Schuster: "Ich hoffe, dass man jetzt auch in Sachsen-Anhalt verstanden hat"

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat fehlende Schutzmaßnahmen für Synagogen in Sachsen-Anhalt kritisiert. Wäre an der Synagoge in Halle zum Zeitpunkt des Gottesdienstes ein Polizeiposten gewesen, hätte der Attentäter früher unschädlich gemacht werden können, sagte er im Dlf.

Josef Schuster im Gespräch mit Japer Barenberg |
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland äußert sich in der Würzburger Synagoge zu den Vorfällen in Halle
Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland (picture alliance/ dpa/ Karl-Josef Hildenbrand)
Jasper Barenberg: Um ein Haar hätte es in Halle an der Saale wohl ein noch größeres Blutbad gegeben. Trotzdem tötete der mutmaßliche Täter zwei Menschen und verletzte zwei weitere - nach allem, was wir wissen, unbeteiligte Passanten. Der Verdächtige sitzt in Haft. Im Netz ist ein Video aufgetaucht und eine Art Manifest. Ob sie vom mutmaßlichen Täter stammen, haben die Behörden noch nicht bestätigt. Sie gehen aber von einer rechtsextremen und antisemitisch motivierten Tat aus. Am Telefon ist jetzt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Guten Morgen, Josef Schuster!
09.10.2019, Berlin: Ein Polizeibeamter läuft vor der Neuen Synagoge Berlin. 
Rechte Strukturen in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt gebe es verfestigte Neonazi-Strukturen, berichtet Dlf-Landeskorrespondent Christoph Richter. In Halle ist unter anderem der Sitz der rechten Identitären Bewegung, ein rechter Verlag und ein verurteilter NSU-Unterstützer sind im Süden Sachsen-Anhalts zu finden.
Josef Schuster: Guten Morgen.
Barenberg: Ein klar antisemitischer Terroranschlag – das ist die vorläufige Einschätzung der Ermittler und auch des Bundesinnenministers. Muss das in Ihren Augen ein Weckruf sein?
Schuster: Es ist eine erschreckende Tat. Weckruf – ich denke, ich hoffe eigentlich, dass man schon wach war, denn dass wir eine Entwicklung politisch haben, die auch rechtsextreme Dinge fördert, das ist keine Erkenntnis seit gestern Nachmittag. Und wenn wir uns kurz zurückbesinnen an den kaltblütigen Mord am Regierungspräsidenten von Kassel, Herrn Lübcke, dann muss man sagen, so ganz unerwartet ist eine rechtsextremistische Tat wohl nicht gewesen.
"Technische Schutzmaßnahmen scheinen gut gewesen zu sein"
Barenberg: Sie haben gesagt, Sie hoffen, dass man schon wach ist. Sie haben auf der anderen Seite aber gerade die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort, vor der Synagoge in Halle scharf kritisiert, haben kritisiert, dass da kein Streifenwagen postiert war. Ist das in Ihren Augen kein Hinweis darauf, dass man nicht wach genug war?
Schuster: Offensichtlich war man diesbezüglich in Sachsen-Anhalt – denn mein Kenntnisstand ist, dass das eine Situation ist, die nicht nur in Halle ist, sondern auch bei den anderen Synagogen in Sachsen-Anhalt -, offensichtlich hat man dort die Situation im Vorfeld verkannt und nicht richtig eingeschätzt. Denn – das muss man auf der anderen Seite sagen – bei sehr vielen, bei den meisten Synagogen, eigentlich bei allen, die ich kenne mit persönlichem Erleben, ist es Gang und Gebe und leider Usus, dass zu Gottesdienstzeiten Polizeiposten an der Synagoge sind.
Barenberg: Wir alle wissen um die besonderen Sicherheitsmaßnahmen, die es immer für jüdische Einrichtungen in Deutschland gegeben hat und, Sie haben das gesagt, geben muss. Das heißt aus Ihrer Sicht, für Sie wäre es selbstverständlich und unbedingt nötig gewesen und wäre auch üblich gewesen, dass dort mehr Polizei vor Ort gewesen wäre, gerade an diesem Feiertag?
Schuster: Definitiv ja. Die technischen Schutzmaßnahmen scheinen wirklich gut gewesen zu sein, denn der Täter konnte ja oder es ist ihm zumindest in der Eile nicht gelungen, die Tür aufzuschießen. Aber auf der anderen Seite – und darum geht es mir auch: Wäre hier ein Polizeiposten gewesen, hätte dieser Mann, diese Person zu einem Zeitpunkt unschädlich gemacht werden können, so dass es nicht noch zu einem zweiten Anschlag in dem Döner-Imbiss beziehungsweise den Vorgängen in Landsberg gekommen wäre.
"Es verändert das Gefühl jüdischer Menschen in Deutschland"
Barenberg: Warum geschieht das in unserem Land? Das fragt Außenminister Heiko Maas in seiner Stellungnahme. Haben Sie eine Antwort?
Schuster: Da müssen wir doch ganz ehrlich sagen, dass es Gott sei Dank oder leider, eher leider kein allein deutsches Phänomen ist. Dass Rechtsextremisten Attentate verüben, ist eine Erkenntnis, die wir länger haben – Stichwort Pittsburgh in den USA im vergangenen Jahr, Stichwort Christchurch. Denken wir ein bisschen zurück an Norwegen, dass schreckliche Attentat auf der Insel in dem Jugendlager. Dass von rechtsextremistischen Seiten Attentate geplant und auch durchgeführt werden, ist kein deutsches Phänomen. In Deutschland allerdings in der Form und das zweite Mal in diesem Jahr, da ist es schon eine neue Qualität.
Barenberg: Es hat auch in der Vergangenheit auch in Deutschland durchaus Gewalt gegen jüdische Einrichtungen gegeben. Es gab einen Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck 1994 beispielsweise, oder einen in Erfurt im Jahr 2000. Jetzt aber sind bei einem solchen Angriff zwei Menschen getötet worden und der Angreifer hatte ganz offenbar ja vor, noch viele Menschen zu töten. Verändert das etwas?
Schuster: Es verändert das Gefühl jüdischer Menschen in Deutschland. Dass sich Sorge breit macht, können wir nicht leugnen. Ich denke, es geht ganz entscheidend darum, dass jetzt auch von Behördenseite her sichergestellt wird, dass ein jüdischer Mensch, der in eine Synagoge geht, sicher sein kann, dass er dort auch wieder unbeschadet herauskommt. Hier muss alles im Vorfeld einer Gefahrenabwehr getan werden.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ergänzen. Es gibt einen zweiten Punkt, der mir wichtig ist. Das ist der Punkt Justiz. Wenn ich sehe, dass am Freitag ein Messerangriff auf Schutzbeamte vor der Synagoge in Berlin in der Oranienburger Straße erfolgte und für den Täter danach kein Haftbefehl erlassen wurde, nicht einmal beantragt wurde von der Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis, dass das kein erfolgversprechender Mordversuch sei, wenn jemand mit einem Messer auf einen bewaffneten Polizeibeamten zugeht, dann muss ich sagen, dann fange ich ein bisschen das Zweifeln an der Justiz an. Unserer Gesetzgebung unterstehen Staatsanwaltschaften an.
"Klares Signal an alle Bundesländer"
Barenberg: Sie werden heute Gelegenheit haben, mit dem Bundesinnenminister, mit Horst Seehofer zu sprechen. Sie werden ihn treffen bei Ihrem Besuch vor Ort in Halle. Was werden Sie ihm sagen, außer dem, was Sie uns gerade gesagt haben?
Schuster: Ich kann Ihnen sagen – und das ist auch kein Staatsgeheimnis -, dass der Bundesinnenminister und ich mich gestern auch am frühen Abend ausgetauscht haben. Wir werden über dieses Thema der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen noch einmal ausführlich sprechen und auch überlegen, wo es hier einen dringenden Verbesserungsbedarf gibt.
Barenberg: Der Innenminister hat da ja eine ganze Reihe von Maßnahmen angekündigt: mehr Personal, auch mehr Fähigkeiten für die Sicherheitsbehörden im Kampf gegen die größer werdende Gefahr des Rechtsextremismus. Wir haben gerade den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gehört, der sagt, wir müssen da jede mögliche Lücke schließen. Haben Sie Vertrauen in die Politik, dass das gelingen wird?
Schuster: Ich hoffe, dass man jetzt auch in Sachsen-Anhalt so wach geworden ist, dass man verstanden hat, und ich hoffe genauso, dass man über Sachsen-Anhalt hinaus nach diesem – und jetzt muss ich sagen: Einerseits ja, es ist nicht zum Massaker gekommen. Gott sei Dank, sage ich da einfach. Und zwei Opfer sind zwei Opfer zu viel. Da will ich auch nicht missverstanden werden. Jedes Opfer! Und mein Mitgefühl gilt den Angehörigen und natürlich auch den Menschen, die verletzt in Kliniken liegen. Aber ich hoffe, dass es ein klares Signal ist, dass in allen Bundesländern in Deutschland zum Nachdenken, zum wirklich intensiven Nachdenken und raschen Handeln führt.
Aufruf zu Zivilcourage
Barenberg: Ich habe noch ein Mitglied der jüdischen Gemeinde vor Ort in Halle im Ohr. Der Mann hat gesagt, es wird immer schlimmer. Welche Reaktionen wünschen Sie sich, mal jenseits von Politik und Sicherheitsbehörden? Welche Reaktionen wünschen und erwarten Sie sich von der deutschen Gesellschaft insgesamt?
Schuster: Eigentlich gar nichts Schwieriges, sondern einfach nur der Begriff Zivilcourage. Und was meine ich damit? – Wenn man sich vorstellt – und das kennen, glaube ich, die meisten aus dem Erleben -, was so am Stammtisch mitunter erzählt wird, was für "tolle" sogenannte Judenwitze gerissen werden, dann erwarte ich die Zivilcourage, dass da jemand aufsteht und sagt: Hallo! Weißt Du, was Du da eigentlich gesagt hast? – Dass man einfach hier ganz klar aufzeigt, wo die Grenzen sind, wenn wir das im Kleinen machen, dann, glaube ich, haben wir sehr viel gewonnen und können ein besseres Zusammenleben und Zusammenwirken in unserer Demokratie erreichen.
Barenberg: Und geschieht das im Moment nicht ausreichend? Immerhin gibt es ja viele öffentliche Bekundungen schon lange vor diesem Vorfall, die sich öffentlich gegen Antisemitismus, auch gegen die Verrohung der Sprache, gegen die Herabsetzung von anderen Religionsgruppen, von Minderheiten, von Flüchtlingen und so weiter aussprechen. Da gibt es ja in der Öffentlichkeit eine große Resonanz. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, reicht das noch nicht aus.
Schuster: Das reicht nicht aus, und vor allen Dingen: Jetzt geht es um die Wirkung dieser Worte. Dass die politisch Verantwortlichen hier eine ganz klare Denkweise haben und da Abscheu zeigen, ist meinerseits absolut unzweifelhaft. Mir geht es darum, im Kleinen. Und jeder von uns, wenn er sich einfach mal kurz zurückerinnert, einschließlich meiner Person, im Freundeskreis – und es geht da ja nicht nur um Antisemitismus, es geht um Rassismus, um Fremdenfeindlichkeit. Hat man wirklich immer den Mund aufgemacht, wenn im Freundes-, Bekanntenkreis plötzlich jemand Thesen von sich gegeben hat, die in keiner Weise akzeptabel sind? – Machen wir das! Ich glaube, dann sind wir ein Stück weiter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.