Steinberg sagte, die Tat am Atatürk-Flughafen weise deutliche Parallelen zu den Anschlägen in Paris und Brüssel auf: Junge Menschen seien zu Selbstmordattentätern geworden und hätten vorher noch um sich geschossen. "Da ist die Vermutung, dass es sich um den IS handelt, naheliegend", sagte er. Das Motiv sei klar: "Es geht darum, die Weltöffentlichkeit an die Attentate in Paris und Brüssel zu erinnern."
Zwar habe auch die Unterorganisation der verbotenen kurdischen PKK schon Selbstmordanschläge verübt, aber sie sei zurückhaltender, denn sie wolle noch öffentliche Unterstützung gewinnen. Steinberg mahnte, man müsse sensible Orte wie Flughäfen besser schützen, insbesondere in der Türkei. In Frankreich, Belgien und Deutschland sei die Sicherheitslage aber nicht so angespannt.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Mindestens drei Attentäter waren es wohl gestern. Schüsse aus Kalaschnikows, Sprengstoff, Selbstmordattentäter haben gestern Abend den Flughafen Atatürk in Istanbul angegriffen. Die Regierung spricht von 36 Toten und mehr als 140 Verletzten.
Guido Steinberg ist Fachmann für die Türkei, für Sicherheitsfragen, arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, eine Stiftung, die unter anderem die Bundesregierung berät. Herr Steinberg, guten Morgen.
Guido Steinberg: Guten Morgen, Herr Grieß.
Grieß: Wie wir hören, sind die Attentäter mit dem Taxi zum Flughafen gefahren. Taxi, Flughafen, Anschlag. Ist die Blaupause für diesen Anschlag in Istanbul der Anschlag oder die Anschläge in Brüssel gewesen?
Steinberg: Ja das kann man zumindest vermuten. Es erinnert doch sehr an Brüssel und es erinnert sehr an Paris. Die Tatsache, dass da junge Menschen als Selbstmordattentäter mit den entsprechenden Bomben gekommen sind, vorher noch einmal um sich geschossen haben, das ist ziemlich genau der Modus Operandi der Paris-Brüsseler Zelle, die ja zusammengehört hat. Deswegen ist die Vermutung, dass es sich da um den IS gehandelt hat, naheliegend.
"Etwas unwahrscheinlicher, dass die PKK verantwortlich ist"
Grieß: Und das ist das, was für den IS spricht, oder gibt es weitere Indizien Ihrer Ansicht nach?
Steinberg: Ich denke, das ist das wichtigste Indiz. Wir müssen das ja immer im Vergleich mit der zweiten Organisation sehen, die verantwortlich sein könnte. Das ist die PKK beziehungsweise ihre Unterorganisation, die kurdischen Freiheitsfalken. Und auch die haben in den letzten Monaten Selbstmordattentate verübt. Auch die haben Attentate auf Zivilisten verübt. Aber die sind da dann doch insgesamt etwas zurückhaltender. Die wollen ja noch öffentliche Unterstützung gewinnen. Und wenn man in der Türkei an einem Flughafen 36 Türken umbringt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass da viele Kurden darunter sind, auch groß. Deswegen ist es etwas unwahrscheinlicher, dass die PKK hier verantwortlich ist.
Grieß: Flughäfen anzugreifen, ist vermutlich immer ein Symbol. Was für ein Symbol ist es diesmal in der Türkei?
Steinberg: Nun, ich denke, dass es hier zunächst einmal darum geht, die Weltöffentlichkeit an die Attentate von Brüssel und Paris zu erinnern. Das ist gelungen. In der Türkei ist der Angriff auf den Flughafen noch einmal ganz besonders Aufmerksamkeit heischend, weil die türkische Regierung ja seit Jahren Anstrengungen unternimmt zur Förderung des Luftverkehrs in Istanbul, auch durch den Bau eines vollkommen neuen Flughafens, die Türkei so zu einem weltweiten Transportzentrum auszubauen. Dass es gerade einen solchen Flughafen, den größten Flughafen des Landes trifft, trifft natürlich auch den türkischen Staat bis ins Mark. Und dazu kommt natürlich auch die Bedeutung des Flughafens für die Tourismusindustrie. Der Anschlag wird ganz sicherlich dazu führen, dass dieses Jahr die Besucherzahlen noch einmal zurückgehen.
"Zufahrtswege schon mit einem Checkpoint versehen"
Grieß: Gehört zur Einsicht von Paris, Brüssel und jetzt auch Istanbul, dass solche Anschläge am Flughafen, im Eingangsbereich, bevor man noch ins Innere des Flughafens tatsächlich eigentlich kommt, gar nicht zu verhindern sind?
Steinberg: Die sind natürlich zu verhindern. Nur sind die Maßnahmen, die man ergreifen muss, sehr einschneidend. Es scheint ja so zu sein, als seien hier zumindest zwei der drei Attentäter aufgehalten worden, bevor sie im eigentlichen Flughafen dann ihre Bomben zünden konnten. Man kann durchaus den äußeren Perimeter dieser Flughäfen besser schützen. Man kann beispielsweise die Zufahrtswege schon mit einem Checkpoint versehen. Das sieht man immer mal wieder im Nahen Osten, in Israel, aber auch in ganz vielen anderen Staaten, dass das getan wird. Man kann das Gepäck schon im Eingangsbereich einmal durchsuchen lassen, was zumindest dazu führt, dass der Anschlag dann etwas weiter aus dem Flughafen heraus verlagert wird. Aber das sind natürlich Maßnahmen, die bei so großen Flughäfen einen ungeheuren logistischen und auch finanziellen Aufwand verlangen. Ich denke aber, dass zumindest die sehr gefährdeten Staaten wie die Türkei sich über solche Maßnahmen Gedanken machen müssen. Ich denke, dass in Belgien, Frankreich und Deutschland da die Faktengrundlage, die Bedrohungslage noch nicht gegeben ist, aber wir müssen zumindest einmal darüber nachdenken, ob man solche Orte nicht vielleicht doch etwas besser schützen muss, als das bisher der Fall ist.
Grieß: Selbst in Belgien nicht?
Steinberg: Nein. Ich denke, wir hatten in Belgien ja nun diesen einen Anschlag, und man muss immer im Hinterkopf haben, wenn man den einen Flughafen, beispielsweise den in Brüssel nun besser sichert, indem man die Zugänge insgesamt vermehrt kontrolliert, dass das dann dazu führen kann, dass der Anschlag vielleicht am Hauptbahnhof stattfindet. Insofern muss man da sehr vorsichtig sein und ich denke, dass der eine Anschlag noch nicht dafür genügt, solche Maßnahmen, wirklich einschneidende Maßnahmen an den Flughäfen zu rechtfertigen. Ich würde auch in Belgien darüber nachdenken, in Deutschland, Frankreich noch nicht. In der Türkei, denke ich, ist das absolut geboten, schon allein deshalb, weil die Terrorszene da ja noch sehr viel diverser und sehr viel größer und stärker ist.
Grieß: Einschätzungen von Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik um 8:25 Uhr im Deutschlandfunk. Danke nach Berlin.
Steinberg: Ich danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.