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Anschlag von Berlin
"Die Stellschraube ist eine bessere Ausstattung der Polizei"

Eine Komplettüberwachung von Gefährdern stoße an personelle und finanzielle Grenzen, sagte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Vielmehr sei eine der Lehren aus dem Berliner Anschlag, dass das Vereinsverbot im Kampf gegen islamistische Gefährder konsequenter angewandt werden müsse.

Markus Kaim im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Zwei Polizisten in schwarzen Uniformen und mit Maschinengewehren stehen vor einem mit Lichterketten geschmückten Baum vor dem Eingang des Weihnachtsmarktes.
    Polizeibeamte mit Schutzwesten und Maschinenpistolen stehen am 20.12.2016 an einem Eingang zum Weihnachtsmarkt in der Innenstadt von Schwerin (Jens Büttner / dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir sind jetzt telefonisch verbunden mit Markus Kaim, Terrorexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Kaim.
    Markus Kaim: Guten Tag! Ich grüße Sie.
    Heckmann: Anis Amri ist im Großraum Mailand erschossen worden? Ein Erfolg der Sicherheitsbehörden?
    Kaim: Ja, es sieht so aus, wobei die Meldungen, wenn ich sie richtig interpretiere, beginnen ja mit dem Verweis, es habe sich um eine Routinekontrolle gehandelt. Von daher, glaube ich, kann man hier nicht in Stellung bringen ein Argument, das da lauten würde, die Kooperation der europäischen Sicherheits- und Polizeibehörden sei so perfekt geworden, dass der europäische Haftbefehl zwingend dazu geführt habe, dass er jetzt in Mailand verhaftet werden sollte. Sondern es scheint hier ein Zufallstreffer gewesen zu sein, der sich dann so entwickelt hat.
    Heckmann: Es hat eine Schießerei gegeben und da ist die Polizei offenbar hinzugezogen worden, infolgedessen dann dieser Schusswechsel gefallen ist, Markus Kaim. Darüber haben wir gerade berichtet. Aber um doch mal auf die Ermittlungsbehörden zu sprechen zu kommen: Nach dem Anschlag in Berlin am Montag war ja zunächst ein Pakistaner festgenommen worden und erst am Tag nach dem Anschlag sind diese Duldungspapiere Anis Amris im Führerhaus des Lastkraftwagens gefunden worden. Kann man, muss man davon sprechen, dass es sich dabei um eine Ermittlungspanne handelt?
    Kaim: Soweit würde ich nicht gehen. Aber ich glaube tatsächlich, es ist einiges falsch gemacht worden in den letzten Wochen. Die Frage ist nur, wer hat es falsch gemacht. Sie verweisen ja zurecht darauf, diese durchgestochene Verhaftung des jungen pakistanischen Flüchtlings, die ja von den Polizeibehörden an die Nachrichtenagenturen gegangen ist. Das sind ja keine unabhängigen Erfindungen gewesen, sondern die Polizeibehörden haben das durchgestochen. Da ist über das Ziel hinausgeschossen worden, offensichtlich angesichts der Tatsache, dass es einen hohen Erfolgsdruck bei den Ermittlungen gab. Und man ist da zu sehr voreiligen Schlüssen gekommen. Und 24 Stunden später musste man sich revidieren. Die genauen Geschehnisse - das ist ja auch in Ihrem Vorbericht angedeutet gewesen -, unter welchen Umständen dieses Portemonnaie jetzt gefunden worden ist, von wem und wann und ob es hätte gegebenenfalls früher gefunden werden können, das kann ich von außen naturgemäß nicht beurteilen.
    Wenn wir das ganze Ermittlungsgeschehen der letzten Wochen Revue passieren lassen, dann drängt sich doch der Eindruck auf, dass hier etwas schiefgegangen ist. Man kann verantwortlich machen die mangelnde Kooperation der Ausländer- und Asylbehörden mit den Sicherheitsbehörden. Man kann verantwortlich machen naturgemäß auch Tunesien selber oder andere Staaten, die sich de facto weigern, abschiebebereite Flüchtlinge in Empfang zu nehmen. Oder man kann tatsächlich nach wie vor auch die falsche Einschätzung der Berliner Behörden verantwortlich machen, die Sie ja auch angesprochen haben, wo ja die Gefährdungslage, Stichwort Bereitschaft zum Selbstmordattentat oder Interesse an Waffenkäufen, bekannt gewesen sein muss. Und dennoch ist im September die Beschattung eingestellt worden. Was jetzt genau dafür verantwortlich gewesen ist, dass es dann zu dieser Kulmination der Ermittlungsfehler gekommen ist, das wird sicher die nächsten Wochen bringen. Und ich würde nicht ausschließen, dass aus politischen Gründen die eine oder andere personelle Konsequenz auch erfolgen würde.
    Heckmann: Das bleibt abzuwarten, werden wir sehen. Da bleibt jedenfalls einiges auch aufzuklären. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg, RBB, der hat Zahlen veröffentlicht, wonach die Berliner Polizei gerade einmal über acht mobile Einheiten verfüge, die die Aufgabe haben, 150 Gefährder zu beobachten rund um die Uhr. Und diese Anzahl von mobilen Einheiten, die reicht gerade einmal für eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung von zweieinhalb Terrorverdächtigen. Ist das ein Versagen der Politik, das da festzustellen ist?
    "Das stößt an personelle und finanzielle Grenzen"
    Kaim: In der Tat. Das ist noch eine weitere Baustelle, wenn ich das so sagen darf. Die Sicherheitsbehörden nennen ja immer die Zahl von 550 Gefährdern in der Bundesrepublik, die zu beobachten seien, und laut Angaben des Bundesverfassungsschutzes braucht es 30 Beamte, um 24 Stunden lang, also rund um die Uhr einen dieser Gefährder zu beobachten, das heißt, zu überwachen. Jetzt kann man die Mathematik machen: Da kommt man auf über 16.000 Beamte, die nichts anderes zu tun haben sollten, als 550 Gefährder zu überwachen. Und damit ist relativ eindeutig: Das stößt an personelle und auch nicht zuletzt an finanzielle Grenzen. Ich glaube, es wäre illusorisch, zu glauben, dass diese personellen Fähigkeiten in kürzester Zeit von Bund und Ländern bereitgestellt werden könnten. Nur ich glaube, eine der Stellschrauben ist in der Tat auch eine bessere personelle beziehungsweise finanzielle Ausstattung der Polizei. Und das entlastet insofern etwas, weil wir ja dazu neigen, in der Nachfolge von solchen Terroranschlägen immer uns die Frage zu stellen, brauchen wir neue Gesetze oder müssen die gesetzlichen Spielräume nur besser ausgenutzt werden. Ich glaube, hier haben wir eine der Teilantworten darauf, weshalb dieser doch für uns so rätselhafte Befund entstanden ist, dass ein Gefährder auf dem Radar der Sicherheitsbehörden gewesen ist, was ja als Qualitätsnachweis der Sicherheitsbehörden erst einmal gelesen werden muss, und er dann auch vom Radar wieder verschwindet.
    Heckmann: Anis Amri ist vor der Kami-Moschee in Berlin-Moabit fotografiert worden, und zwar Tage vor dem Anschlag, aber auch Stunden nach dem Anschlag. Und das ist eine Moschee, die von Insidern als Moschee der ISIS-Leute genannt wird. Ist es auch da wieder ein Versäumnis, dass diese Moschee nicht schon längst geschlossen wurde?
    Kaim: In der Tat. Diese Moschee ist in den letzten Jahren häufiger bereits thematisiert worden im Kontext von islamistischen Gefährdern beziehungsweise entsprechenden Zellen oder Netzwerken. Der scheidende oder gerade geschiedene Berliner Innensenator ist häufig dafür auch kritisiert worden, dass er ein entsprechendes Verbot dieses Moscheevereins nicht in die Wege gebracht hat. Das ist sicher auch eine der Lehren, dass entsprechende Moscheen, Moscheevereine erstens in größerer Bringschuld sind, tatsächlich auch Gefährder gegenüber den Sicherheitsbehörden anzuzeigen beziehungsweise auf Radikalisierungsprozesse hinzuweisen, die im Gange sind, hinzuweisen. Aber zum zweiten auch, dass das Instrument des Vereinsverbots auch im Kampf gegen islamistische Gefährder stärker herangezogen werden muss.
    Heckmann: Der Terrorexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Markus Kaim, heute Mittag live im Deutschlandfunk. Herr Kaim, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Kaim: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.