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Anschlag von Lockerbie
Die Leichen lagen auf der Straße

Vor 25 Jahren starben 270 Menschen beim Absturz eines Pan-Am-Jumbos über dem schottischen Lockerbie. Das war die größte Katastrophe der britischen Luftfahrtgeschichte und der verlustreichste Anschlag auf amerikanische Zivilisten vor dem 11. September 2001.

Von Winfried Dolderer |
    "Dann haben wir die ganze Nacht halt diese Nummern gewählt, die da immer wieder eingeblendet wurden, und kamen dann halt am Morgen so gegen sieben Uhr durch, und da sagte man uns halt: Ja, ein Pan-Am-Mitarbeiter ruft zurück, und da wussten wir eigentlich auch schon, dass Maria mit auf der Passagierliste stand."
    Maria Lürbke, so erzählte ihre Schwester Ursula Funke später, hatte Weihnachten 1988 in Argentinien verbringen und über New York nach Buenos Aires fliegen wollen. Erst kurz vor Abflug war es ihr gelungen, einen Platz in der Maschine der US-Gesellschaft Pan Am zu ergattern. Am 21. Dezember um 18.25 Uhr startete Flug 103 mit 243 Passagieren und 16 Besatzungsmitgliedern von London in Richtung New York. Genau 38 Minuten später, kurz nach 19 Uhr, zerriss in 9400 Metern Höhe eine Explosion den Jumbojet. Über Lockerbie, eine 3000-Seelen-Gemeinde im äußersten Süden Schottlands, brach das Inferno herein.
    Inferno über Lockerbie
    "Das Flugzeug kam etwa 360 Meter von meinem Haus entfernt herunter. Da war ein Feuerball vielleicht hundert Meter über mir in der Luft, und Trümmerteile fielen vom Himmel. Als der Qualm sich ein wenig verzog, konnte ich Leichen auf der Straße liegen sehen. Mindestens ein Dutzend Häuser waren zerstört."
    So schilderte der pensionierte Polizist Bob Glaster den Augenblick der Katastrophe. Brennende Wrackteile stürzten auf eine Siedlung am Ortsrand und setzten elf Häuser in Flammen; in einem fanden Suchtrupps später nicht einmal mehr Leichenreste der Bewohner. Auch einige Fahrzeuge auf der nahen Autobahn nach Glasgow fingen Feuer. Flugzeugtrümmer und Gepäckstücke waren im Umkreis von 130 Kilometern verstreut. Leichen lagen auf Dächern, in Vorgärten, auf Wiesen, hingen in Bäumen. Beim bislang schlimmsten Luftfahrtdesaster Großbritanniens starben 270 Menschen, alle Insassen der Maschine und elf Einwohner von Lockerbie.
    Es dauerte fünf Tage, bis die Unglücksursache eindeutig feststand:
    "The explosive residues recovered from the debris have been positively identified and are consistent with the use of a high performance plastic explosive."
    Auf Trümmerteilen waren Sprengstoffrückstände sichergestellt worden, die auf den Einsatz einer hoch leistungsfähigen Plastikbombe schließen ließen, so ein Polizeisprecher. Der Sprengsatz war, in einem Radiorekorder versteckt, in einem Reisekoffer an Bord gelangt. Aber durch wen? Palästinensische Terroristen? Iraner, die den Abschuss einer iranischen Verkehrsmaschine durch ein US-Kriegsschiff über dem Persischen Golf im Juli 1988 rächen wollten? Libyer, um die US-Angriffe vom April 1986 zu vergelten? Die Spekulationen blühten. Zumal, als ruchbar wurde, dass 16 Tage vor der Katastrophe ein anonymer Anrufer die US-Botschaft in Helsinki vor einem bevorstehenden Anschlag auf eine Pan-Am-Maschine gewarnt hatte. Ursula Funke:
    "Es waren immerhin nur – in Anführungszeichen – 243 Passagiere in einer Maschine, die normalerweise 400 transportieren kann. Und wenn es vorher hieß, die sei voll ausgebucht, und dann werden plötzlich doch so viele Plätze frei, dann macht das natürlich sehr nachdenklich.
    Weitreichende Folgen für Libyen
    Nach dreijährigen Ermittlungen und der Vernehmung von 15.000 Zeugen erging Haftbefehl gegen zwei Libyer, die den Koffer mit dem Sprengsatz in Malta aufgegeben haben sollen. Amerikaner und Briten verlangten ihre Auslieferung. Libyen weigerte sich. Erstmals verhängte der UN-Sicherheitsrat Sanktionen, um ein Land zur Auslieferung eigener Staatsbürger zu zwingen. Libyen, dessen Staatschef Gaddafi als "Terrorpate" ohnehin am Pranger stand, blieb sieben Jahre lang vom Luftverkehr abgeschnitten. Schließlich fand man einen Kompromiss: Ein schottisches Gericht sollte den Prozess gegen die Verdächtigen auf neutralem Boden in den Niederlanden führen. Im Mai 2000 begann das Verfahren, Anfang 2001 erging das Urteil: Lebenslang für einen der Angeklagten, Freispruch für den anderen. Zweifel blieben:
    "Die Bombe ist nicht in Malta aufgegeben worden, sondern in Frankfurt, und ich weiß, wer es gemacht hat", behauptete der US-Publizist Pierre Salinger. Gewichtiger waren die Einwände des österreichischen Philosophen Hans Köchler, der als UN-Beobachter das Verfahren als politisch und das Urteil als willkürlich kritisierte. Libyen erklärte sich 2002 offiziell verantwortlich für den Anschlag. Im September 2003 hob der Sicherheitsrat die Sanktionen auf.