Der sogenannte "Anschluss" veränderte vieles in der Alpenrepublik. "Der Geist dessen, was ich den Wiener Weg der Erkenntnis nenne, ist eigentlich ausgelöscht worden", sagte Manfred Flügge im Dlf. Das betraf die Alltagskultur und einen Wiener Weg der Erkenntnis, so der Schriftsstller. Psychologen, Philosophen, Künstler, Romanciers - alle seien mit einer umfassenden Wahrheitssuche befasst gewesen. Diese Sucher erstreckte sich auf die Frage nach der Wahrheit des Menschen und nach der Identität eines ganzen Landes.
Zwischen den beiden Weltkriegen habe Wien zwischen Rückwartsgewandtheit, Habsburger-Nostalgie und der neuen Demokratie geschwankt, dann aber den Weg in einen autoritären Ständestaat beschritten. Die Suche nach Identität spiegele sich auch in der Literatur, vor allem in Robert Musils unvollendetem Romanprojekt "Der Mann ohne Eigenschaften". Dieser Roman sei ein Symbol dieses Wiener Kulturbruchs, meint Manfred Flügge.
Weg in den Untergang
"Das Spezielle an Wien ist, dass die Republik ihren eigenen Weg in den Untergang gegangen ist - anders als die Weimarer Republik", so Flügge weiter. Die Parteien bekämpften sich gegenseitig, bis dann der Ständestaat kam, eine "katholische Gesellschaftsutopie". Deren letzter Kanzler Kurt Schuschnigg habe die Unabhängigkeit seines Landes immer betont und verteidigt, die dann aber seit dem 11. März der Vergangenheit angehörte. Die Gefahr, die für die jüdische Bevölkerung von einem Tag auf den anderen bedrohlich aufzog, sah der Nervenarzt und Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud voraus. Er konnte nach England emigrieren. Andere, wie der Kulturhistoriker Egon Friedell, der sich den Nazis durch Suizid entzog, schafften es nicht.