Archiv

Anschuldigungen gegen den IAAF-Präsidenten
Coe unter Korruptionsverdacht

Neue Enthüllungen legen den Verdacht nahe, dass Sebastian Coe mit Hilfe von inzwischen geschmähten Helfershelfern zum IAAF-Präsidenten aufstieg. Und dass er bei einer Anhörung im britischen Parlament nicht die Wahrheit darüber gesagt hat, was er über die Vertuschung von Doping in Russland wusste.

Von Jürgen Kalwa |
    Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen des Councils in Wien.
    Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen des Councils in Wien. (EPA)
    Die Ehrenerklärung steht seit Mitte Januar im Raum. Und sie wirkte schon damals mehr als eigenwillig.
    "I can't think of anyone better than Lord Coe to lead that. All our fingers are crossed in that respect."
    So die Worte von Richard Pound. Der Chef-Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur im russischen Dopingskandal. Der befand, um die internationale Leichtathletik aus der selbst geschaffenen Krise und einer Kultur aus Korruption und Doping herauszuführen, könne er sich "niemand besseren vorstellen als Lord Coe”.
    Coes Glaubwürdigkeit seit Monaten angeschlagen
    Bis heute ist nicht klar, warum einer der respektabelsten Männer im internationalen Sport, der schon bei der Aufarbeitung so manchen Skandals im Sport eine wichtige Rolle gespielt hat, Sebastian Coe das Vertrauen aussprach. Denn die Glaubwürdigkeit des ehemaligen Mittelstrecklers und zweifachen Olympiasiegers, der im August zum neuen Präsidenten der IAAF gewählt wurde, war schon damals mehr als angeschlagen.
    "Either you were asleep on the job, or people can say, there were only two choices here, asleep on the job or corrupt."
    Es gäbe doch nur zwei Möglichkeiten, hatte Jon Snow, Journalist beim britischen "Channel 4”, Coe im Interview geradeaus ins Gesicht gesagt: Der habe als langjähriger Jahre Vize-Präsident der IAAF entweder auf seinem Posten geschlafen oder er sei selbst korrupt.
    Souveränes Auftreten bei Sperre des russischen Verbandes
    Wer seitdem einen Eindruck von Coes Leistungsfähigkeit gewinnen wollte, konnte einen Mann erleben, der zumindest so wirkt als sei er hellwach. Und meistens ziemlich souverän. So wie am Donnerstag in Wien, als die Entscheidung der IAAF bekanntgab:
    "Although good progress has been made the IAAF Council was unanimous that RUSAD hat not met the reinstatement conditions and that Russian athletes could not credibly return to international competition without undermining the confidence of their competitors and the public."
    In der Formulierung sensibel, aber in der Sache hart – denn die Faktenlage ließ keine anderes Votum zu: Eine Aufhebung der Sperre des russischen Leichtathletikverbandes zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde, so sagte Coe, das Vertrauen der anderen Sportler und der Öffentlichkeit untergraben.
    Helfershelfer Diack?
    Um das Vertrauen in Coe ist es deshalb allerdings keinen Deut besser bestellt. Das belegen Recherchen der BBC, die in ihr Dokumentarfilmserie "Panorama” am Donnerstag – einen Tag vor der der IAAF-Sitzung in Wien – unter anderem folgendes enthüllte: Der Brite scheint auf dem Weg an die Verbandsspitze keine Skrupel entwickelt zu haben. So soll er sich vor seiner Wahl mit Hilfe einer schon damals desavouierten Figur dringend notwendige Stimmen aus Afrika gesichert haben. Einer der Helfershelfer: der Senegalese Papa Massata Diack. Der wird inzwischen von Interpol gesucht, aber gab "Panorama" in seiner Heimat ein Interview:
    "Wir haben unsere Ideen ausgetauscht. Ohne den Segen von Lamine Diack oder meine Unterstützung wäre er niemals gewählt worden.”
    Diacks Vater Lamine, Coes Amtsvorgänger, wird sich übrigens demnächst in Frankreich wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit vor Gericht verantworten müssen.
    Was wusste Coe über Russland?
    Doch das ist noch nicht alles. Der Brite, der vor Jahren selbst eine Zeitlang für die Konservative Partei im Unterhaus saß, war im Dezember in London zu einer Anhörung im Parlamentsausschuss für Kultur, Medien und Sport erschienen. Er wies dabei jeden Verdacht von sich, von den korrupten Verhältnissen an der Verbandsspitze speziell beim Umgang mit russischen Athleten gewusst zu haben.
    "I was certainly not aware of the specific allegations being made around the corruption of anti-doping processes in Russia.”
    BBC-Reporter Mark Daly sah sich gezwungen, Coe auf einem Flughafen abzupassen, nachdem er mit seinen offiziellen Interviewanfragen gescheitert war.
    "Can I ask, did you mislead Parliament? Lord Coe? You told us to trust you...”
    Eine Antwort bekam er nicht. Die Angelegenheit ist für den Lord damit nicht vom Tisch. Wusste er mehr? Hat er die Abgeordneten bewusst getäuscht? Die Politiker dürften dieser Frage schon bald auf den Grund gehen. Denn sie hatten Coe für seinen Wahlkampf um den Posten an der Spitze des Welt-Leichtathletikverbandes gegen den Ukrainer Sergej Bubka mit rund 90.000 Euro aus Steuermitteln unterstützt.