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Ansichten zum Brexit
"Wir Engländer gelten als verrückt"

Der Brite und Dlf-Hörer Richard Dawson lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Seit dem Brexit-Referendum schreibt er an London-Korrespondent Friedbert Meurer, wenn ihm etwas an der Berichterstattung nicht gefällt. Nun haben sich die beiden getroffen und Dawson erklärt, warum es so schwierig ist, sich mit Deutschen über sein Land zu unterhalten.

Von Friedbert Meurer |
    Die britische Flagge auf dem Victoria Tower des Westminster-Palasts in London
    Die britische Flagge auf dem Victoria Tower des Westminster-Palasts in London, in dem unter anderem das Parlament seinen Sitz hat (AFP/ Daniel Leal-Olivas)
    Wir treffen uns im altehrwürdigen Royal Air Force Club am Piccadilly. Gegenüber liegt der Green Park mit dem angrenzenden Buckingham Palast. Richard Dawson hat früher kurzzeitig für die britische Luftwaffe gearbeitet, bevor er dann Anwalt in der Versicherungsbranche wurde. Hier in diesem prächtigen Club mit Gemälden von Flugzeugen und Luftwaffengenerälen an den Wänden schaut er gerne vorbei, wenn er gerade in London ist.
    Richard Dawson lebt mit Unterbrechungen seit 1977 in Deutschland und ist mit einer Deutschen verheiratet. Ich frage ihn, was er denn alles so seit dem Brexit in seiner deutschen Heimat in Hamburg zu hören bekommt: "Die Engländer sind verrückt. Die verstehen nicht, was sie tun. Sie werden die Konsequenzen bitter bezahlen. Das ist die Reaktion von fast allen - und manchmal auch eine gewisse Häme."
    Die EU - eine reine Wirtschaftsgemeinschaft
    Dawson, 72 Jahre alt, ein freundlicher älterer Herr, hält seine Landsleute auf der Insel nicht für verrückt. Aus seinen Mails ging hervor, dass er für den Brexit Verständnis hat. Das versucht er auch manchmal den Deutschen zu sagen, aber mit ihnen als Engländer über die EU zu reden, das sei schwierig:
    "Für den Engländer war die EU immer eine Wirtschaftsgemeinschaft. Für die Deutschen - ich übertreibe etwas im Moment - hat die EU eine metaphysische und fast religiöse Bedeutung. Und vielleicht die Unfähigkeit zu glauben, dass es in anderen Nationen möglich ist, an die Nation als eine effiziente Einheit zu glauben, um zu regieren."
    Bisher hat Richard Dawson noch keinen Deutschen getroffen, der für den Brexit ist. Zuhause in Hamburg liest er deutsche und britische Zeitungen und hört die Programme des Deutschlandfunks. Nicht selten ärgert er sich darüber, was er in den deutschen Medien liest und hört. "Ehrlich gesagt, wenn ich Namen nennen darf. Es gibt den ‚Spiegel‘. Es ist nur Häme. Die sind natürlich empört, dass die Engländer ausscheiden wollen. Es gelingt den Leuten vor Ort eine etwas ausgeglichenere Berichterstattung zu geben als zum Beispiel die Leute in Brüssel."
    Friedbert Meurer
    Friedbert Meurer: Seit dem 1. August 2015 Korrespondent in London (Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré)
    Dawson findet, dass in Deutschland nur der linksliberale Guardian zitiert werde. Warum nicht auch die Times oder der Telegraph? Meiner Berichterstattung hält er zugute, dass ich die Engländer nicht für verrückt halte. Inhaltlich aber sind wir verschiedener Ansicht, zum Beispiel darüber, dass ich es für katastrophal halte, wenn die britische Regierung die EU am 29. März ohne einen Vertragsabschluss verlassen würde. Richard Dawson findet, ich übertreibe.
    "Ich hab meine Probleme mit der Definition von Wörtern wie ‚Katastrophe‘. Meine Meinung ist, dass das Land wahrscheinlich unter dieser Entscheidung die nächsten fünf Jahre leiden wird. Aber ich kann diese Frage, wie es England gehen wird in zehn Jahren, ob besser oder schlechter, nicht beantworten."
    Eine Stimme für die Jugend
    Der Brite Richard Dawson hat inzwischen auch den deutschen Pass angenommen, damit ging er auf Nummer sicher. 2016 beim Referendum durfte er nicht wählen, denn es gibt im britischen Wahlrecht eine Besonderheit: Wer länger als 15 Jahre im Ausland lebt, darf nicht mehr wählen, auch wenn er die britische Staatsbürgerschaft besitzt. Und dann sagt Dawson etwas Überraschendes, was man von Brexit-Befürwortern auf der Insel so gut wie nie hört.
    "Ich hätte für den Verbleib in der EU gestimmt. Ich habe gesagt, die Jungen wollen bleiben, also gebe ich meine Stimme an die Jugend."