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Anspiel - 100 Jahre Piazzolla
Auftakt zum großen Tangojubiläum

Einen Monat bevor sich Piazzollas Geburtstag zum 100. Mal jährt, erscheinen die ersten Jubiläums-CDs. Mit dabei: eine des Piazzolla-Weggefährten und berühmten Tango-Pianisten Gustavo Beytelmann und seines Trios. Funktioniert Piazzolla auch ohne Bandoneon?

Von Ida Hermes |
    Ein alter Mann schaut auf einer Schwarzweißfotografie mit etwas traurigem Blick über sein Bandoneon hinweg. Er hat kurze Haare und trägt einen Schnauzbart.
    Wäre am 11. März 2021 100 Jahre alt geworden: der Argentinier Astor Piazzolla. (picture alliance/dpa Fotografia - Claudio Herdener)
    Musik: Astor Piazzolla - Invierno Porteño
    Eine kurze Kadenz, wie ein Blick über die Schulter. Gustavo Beytelmann malt Konturen. Melodien und Erinnerungen tauchen in der Ferne auf, bevor die Musik nach vorne geht. So klingt Invierno Porteño, der Winter aus Las Cuatro Estaciones Porteñas, den Vier Jahreszeiten von Buenos Aires, von Astor Piazzolla.
    Musik: Astor Piazzolla - Invierno Porteño
    Die Geigen- und Cellosaiten knurren unter den ruppigen Rhythmen, mit denen Piazzolla den Puls der Stadt Buenos Aires in Musik setzt. Der Pianist Gustavo Beytelmann begleitete Piazzolla 1977 auf seiner Europatournee. Mit den Geschwistern Oscar und Claudio Bohórquez hat Beytelmann vor einigen Jahren das Patagonia Express Klaviertrio gegründet, das sich der Musik Piazzollas verschreibt. Nun erscheint die CD mit dem schlichten Titel Piazzolla: Patagonia Express Trio.
    Musik: Astor Piazzolla - Primavera Porteña

    Ein Bad aus flüssigen Wandfarben

    Der Patagonien Express, Namensgeber des Ensembles, ist eine rund 400 Kilometer lange Schmalspur-Eisenbahnstrecke entlang der Anden. Sie ist ein romantisches Motiv für Poeten und Schriftsteller. Sie gilt als eine der schönsten Routen der Welt.
    Musik: Astor Piazzolla - Otoño Porteño
    Durch die Landschaftswechsel der Musik bewegt sich das Patagonia Express Trio wie durch ein Bad aus flüssigen Wandfarben: Verschiedene Strukturen und Klangfarben der Instrumente fließen ineinander, sie marmorieren, die Musiker spielen mit der Dichte und Konsistenz des Ensembleklangs.
    Musik: Astor Piazzolla - Otoño Porteño
    Die meisten Stücke auf der CD des Patagonia Express Trios sind im Original nicht für Klaviertrio geschrieben. Piazzolla beauftragte aber selbst regelmäßig Klaviertriofassungen seiner Stücke. Die Arrangements auf dieser CD stammen von José Luis Bregato, ein Zeitgenosse Piazzollas und Cellist in seinem Octeto Buenos Aires.
    Musik: Astor Piazzolla - La Muerte del Ángel

    Eine Reminiszenz an Bach

    Die Fuge aus La Muerte del Ángel. Sie ist eine Reminiszenz Piazzollas an Johann Sebastian Bach. Piazzolla schrieb sie ursprünglich als Teil einer Schauspielmusik. Es sticht heraus, wie sehr der Bandoneon-Virtuose aus Duktus und Instrumentierung spricht.
    Musik: Astor Piazzolla - La Muerte del Ángel
    Manchmal klingt es gerade so, als würde das Patagonia Express Trio die Bandoneon-Klangfarben nachahmen. Noten reißen schroff ab, Knöpfe klappern, man hört den Blasebalg atmen.
    Musik: Astor Piazzolla - La Muerte del Ángel
    In den jähen Richtungswechseln gibt es Momente des Zögerns – als wäre da der Widerstand des wechseltönigen Bandoneons, dessen Knöpfe bei Druck und Zug eine andere Tonhöhe erzeugen.
    Musik: Astor Piazzolla - La Muerte del Ángel

    Werke von Beytelmann als Ergänzung

    Die Stimmen von Violine und Cello laufen bei Piazzolla gerne parallel. Das erinnert an den Klang der doppelten Metallzungen des Bandoneons: klug arrangiert von José Luis Bregato.
    Musik: Astor Piazzolla - La Muerte del Ángel
    Neben Piazzolla-Werken spielt das Trio Eigenkompositionen und ein Duke-Ellington-Arrangement von Gustavo Beytelmann. Beytelmann ist selbst eine internationale Größe der Tangomusik. Seine Tonsprache steigert die populäre Tango-Stilistik zur Kunstmusik. Er steht also in dieser Hinsicht den künstlerischen Ideen Piazzollas sehr nahe. Ohne Bandoneon-Klangfarben: Seine Sicht ist die eines Pianisten.
    Musik: Gustavo Beytelmann - Ofrenda
    Piazzolla starb 1992. Als Beytelmann davon erfuhr, komponierte er diese lange, versunken um sich selbst kreisende Melodie: Ofrenda, "das Geschenk", oder auch "das Opfer". Solche melodischen Linien nutzt Beytelmann gerne, um seiner in der Regel komplexen musikalischen Syntax Halt zu geben, gewissermaßen ein Geländer. Die Streicherstimmen von Oscar und Claudio Bohórquez klingen honigweich. Mit fließenden Bogen- und Lagenwechseln.
    Musik: Gustavo Beytelmann - Ofrenda

    Ein Porträt und Hommage

    Das Patagonia Express Trio arbeitet sauber die komplexen rhythmischen und harmonischen Linien heraus. Dabei ist der Ensembleklang äußerst gelevelt. Piazzolla: Patagonia Express Trio ist eine disziplinierte Piazzolla-CD. Sie hält die Waage zwischen geführter Transparenz und Ausbruch, Emotion.
    Musik: Astor Piazzolla - Primavera Porteña
    Die Titel schließen harmonisch aneinander an. In der ersten Hälfte zeichnen die Musiken ein kleines Porträt Piazzollas, der zweite Teil nimmt die Perspektive der Interpreten ein. Eine schöne Hommage an Astor Piazzolla als ein Blick zurück, durch die Brille dieser drei: Gustavo Beytelmann, Oscar und Claudio Bohórquez.
    Musik: Astor Piazzolla - Primavera Porteña
    Piazzolla: Patagonia Express Trio
    Gustavo Beytelmann, Klavier
    Oscar Bohorquez, Violine
    Claudio Bohorquez, Cello
    Berlin Classics