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Anspiel - Neuer Streamingdienst
Die neue Traumbühne?

Das Start-Up Dreamstage bietet eine digitale Plattform für Live-Konzerte, die funktioniert wie ein virtuelles Konzerthaus – Zugang hat man nur mit einem gekauften Ticket. Alle Genres sollen mittelfristig vertreten sein – zum Start gab es vor allem Klassik-Konzerte

Von Dagmar Penzlin |
    Der Cellist hat den Kopf aufgestützt, sein Cello ist neben ihm liegend auf dem Tisch platziert.
    Der Cellist Jan Vogler hat auf die Ereignisse der letzten Monate reagiert und "Dreamstage" gegründet. (Jan Vogler / Marco Grob)
    Aus dem Off erklingt Jubel, wenn der rote Vorhang den Blick freigibt auf den eigentlichen Konzertort.
    Nach dem Einloggen ins Dreamstage-Portal erscheint auf dem Bildschirm ein Konzertsaal-Bild in warmen Gelbtönen. Auf dem roten Vorhang läuft der Countdown und man weiß, in wie vielen Minuten das Konzert beginnt. Die Musik ist der Star, das Design drumherum überraschend schlicht und irgendwie auch plüschig (wenn man das sagen kann zu einem virtuellen Konzertrahmen).
    Dreamstage nutzt technisch die heutigen digitalen Errungenschaften, per Live-Stream hochauflösende Klänge und Bilder auf den heimischen Bildschirm zu zaubern – eine leistungsfähige Internet-Verbindung vorausgesetzt. Der Cellist Jan Vogler gehört zum Dreamstage-Führungstrio. Er glaubt nicht nur aus der aktuellen Pandemie-Situation heraus an die große Chance, die virtuelle Konzerte gerade der Klassik-Szene bieten.
    "Wir werden gewinnen an Erfahrungen, wir werden gewinnen an Selbstbewusstsein, was im 21. Jahrhundert das Virtuelle betrifft. Wenn wir es nicht tun, dann habe ich das Gefühl, dann würde es uns so gehen, wie einigen Künstlern im 20. Jahrhundert, die sich geweigert haben, Schallplatten aufzunehmen. Die fanden das ‚unmenschlich’, in dieses Grammophon hineinzuspielen. Ich glaube, dieses Live-Konzerte-Spielen im virtuellen Raum spielen – das wird selbstverständlich sein für die Generation unserer Kinder. Ist die Frage, ob wir es auch schaffen können. Und das ist die Herausforderung. Ich glaube: ‚Ja!’"
    Wer bei einem Dreamstage-Konzert dabei sein möchte - allein oder als Gruppe, braucht ein Ticket. 25 Dollar kostet zurzeit der Zugang zu jedem der Konzerte. Bisher gab es knapp 20 klassische Konzert, darunter viel Kammermusik etwa mit den Pianistinnen Lisa de la Salle und Tiffany Poon, dem Geiger Gil Shaham und dem Ensemble Sandbox Percussion. Zur Eröffnung trat der Wahl-New Yorker Vogler mit der Pianistin Hélène Grimaud auf.
    Chance für die Klassik-Szene
    Auf Musik von Schumann und Brahms folgte Schostakowitschs Sonate für Violoncello und Klavier. Dazwischen tröpfelnder Applaus aus dem Off vom Technik-Team und kurze Moderationen des Cellisten. Das war eine überraschend geerdete Premiere für eine Plattform, die mittelfristig Konzerte verschiedenster Genres vereinen soll: Von Pop und Rock über Country, Weltmusik und Hip Hop bis zum Jazz soll das Spektrum reichen. Die Musikerinnen und Musiker engagieren in der Regel ihr Technik-Team und organisieren ihren Auftrittsort selbst. Ganz im Sinne des Startup-Namens "Dreamstage" – "Traumbühne".
    "Traumbühne, also der Traum, dass man etwas gestalten kann, was man vielleicht in der Realität gar nicht so gestalten kann – das ist vielleicht hauptsächlich noch Zukunftsmusik. Wir wollen die Möglichkeit geben, dass man in der Zukunft vielleicht mit 5-G-Rucksack in die Berge steigen kann – vielleicht aufs Matterhorn als Traumkulisse – und vielleicht von dort sein Konzert geben kann. Man kann sich ganz verschiedene Aspekte vorstellen dieses Wortes Traum."
    Mit 5-G-Rucksack ins Gebirge
    Die Sängerin Simone Kermes hat mit dem Pianisten Jarkko Riihimäki auf Dreamstage Mitte September ein Konzert im Löwensaal in Dresden gegeben. Den Konzertort wählte die Sopranistin nach der Leistungskraft der Internet-Verbindung aus.
    "Ich hab dann einen Flügel gemietet, der dann dort hingebracht wurde. Das habe ich bezahlt, und natürlich habe ich meinen Begleiter bezahlt."
    Simone Kermes hat einige Erfahrung im Organisieren von Konzerten, denn sie managt sich selbst – ohne Agentur. Sie hat sich zudem schon früh in der Corona-Pandemie gegen kostenlose Streaming-Angebote ausgesprochen. Über die Zahl der verkauften Tickets für ihren Dreamstage-Auftritt darf sie allerdings nicht sprechen – das ist vertraglich geregelt.
    "Das darf ich nicht sagen."
    Auf Anfrage meldet Jan Vogler über seine PR-Agentur zurück, dass für die bisherigen knapp 20 klassischen Konzerte mehrere Tausend Karten gekauft worden sind, es seien aber unter 10.000 Karten. Was Simone Kermes gut gefällt, ist, dass sie am Kartenverkauf beteiligt sei.
    "Man kriegt soundsoviel Prozent davon, von dem Gesamten, was eingenommen wird, davon gehen die Technik undsoweiter ab. Also wenn viele zuhören, dann kann man schon ein gutes Geld verdienen. - Es ist eigentlich, wie ein Live-Fernsehauftritt, der weltweit gesendet wird - und Du kannst nichts mehr ändern, wenn irgendetwas passiert: ‚Das war es!’ Ob Dir ein Text weggeht oder oder – kurz: es ist ungeheuer anstrengend, was der Kopf und die Psyche leistet."
    Simone Kermes hat ihren Dreamstage-Auftritt souverän gemeistert. Trotzdem war spürbar, dass das Publikum fehlte – gerade am Schluss, nachdem die Sängerin ihr stilistisch bunt gemischtes Programm mit einer ruhigen Händel-Arie beendet hatte. Geplant sei, dass das Publikum direkt auf das Konzert reagieren könne, erzählt Investor und Dreamstage-Geschäftsführer Thomas Hesse.
    "Im Prinzip haben wir auf der linken Seite einen Bildschirm, wo die ganzen sozialen Netzwerke abgebildet sind – mit dem Hashtag dieses Konzertes. Auf der rechten Seite haben Sie den Chat innerhalb des Konzertraumes. Dann haben Sie eine Reihe von Emojis, mit denen Sie applaudieren oder eine Rose schicken können."
    Mehr Interaktion mit dem Publikum geplant
    Bei den besuchten Konzerten gab es diese Möglichkeiten noch nicht beziehungsweise der Chat wurde beim Konzert von Simone Kermes kaum genutzt. Die Sopranistin würde die Interaktion auch persönlicher gestalten wollen.
    "Wo man am Ende oder dazwischen Fragen beantworten könnte. Oder danach, wenn es viele sind, die eine Reaktion haben wollen, dass man danach mit den Leuten spricht über das Internet."
    Die Grundidee von Dreamstage ist zeitgemäß und naheliegend. Unabhängig von der Corona-Pandemie werden wahrscheinlich nicht zuletzt die CO2-Sparvorgaben angesichts des Klimawandels ausgedehnte Konzertreisen insbesondere von Orchestern rarer machen. Da könnte Dreamstage eine reizvolle Plattform sein – vielleicht auch mit länderspezifischen Angeboten. Aber klar ist auch: Live-Konzerte bleiben einfach unmittelbarer und packender.