Während der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Putschversuchs vor hunderttausenden Teilnehmern an der Bosporusbrücke in Istanbul erneuerte der türkische Präsident außerdem sein Plädoyer für eine Wiedereinführung der Todestrafe. Sollte das Parlament eine derartige Vorlage verabschieden, werde er sie unterzeichnen, sagte Erdogan. Kein Täter solle ungestraft bleiben. Die türkische Nation werde nicht zögern, "den Kopf derer zu zermahlen, die verraten", fügte er hinzu.
"Brücke der Märtyrer des 15. Juli"
Die Brücke für die Gedenkveranstaltung in Istanbul war gezielt ausgewählt worden. Die Putschisten hatten sie im vergangenen Jahr besetzt. Zahlreiche Zivilisten, die sich den Putschisten in den Weg gestellt hatten, wurden auf der Brücke getötet. Das Bauwerk wurde später in "Brücke der Märtyrer des 15. Juli" umbenannt. Direkt neben der Fahrbahn auf asiatischer Seite weihte Erdogan am späten Abend eine Gedenkstätte ein. Ein kugelförmiges Hauptgebäude, umsäumt von 249 Zypressen - für jeden Getöteten eine.
111.000 Gülen-Anhänger aus öffentlichen Dienst entlassen
Erneut machte Erdogan deutlich, dass er den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhänger als treibende Kraft des Putschversuchs ansieht. "Aus dem öffentlichen Dienst wurden bis zum heutigen Tag rund 111.000 Gülen-Anhänger entlassen. 38.000 wurden suspendiert und werden weiter überprüft", sagte der Präsident. Gülen bestreitet allerdings nach wie vor, für den Putschversuch verantwortlich zu sein und warf Erdogan zuletzt vor, eine "Hexenjagd" auf alle zu veranstalten, die der Gülen-Bewegung tatsächlich oder angeblich nahe stehen.
In Sprechchören verlangte sowohl Zuhörer der Veranstaltung auf der Bosporus-Brücke als auch bei der Gedenkveranstaltung am Parlament in Ankara die Wiedereinführung der Todesstrafe. Erdogan hatte einen solchen Schritt in der Vergangenheit mehrfach ins Gespräch gebracht. Kurz nach seinem Sieg beim Verfassungsreferendum vor drei Monaten war das Thema aber wieder von der Tagesordnung verschwunden. Die Todesstrafe wäre allerdings unvereinbar mit dem von der Türkei angestrebten EU-Beitritt. In diesem Fall wären die Gespräche darüber - die de facto ohnehin bereits auf Eis liegen - wohl endgültig beendet.
In einer Sondersitzung des Parlaments aus Anlass des Jahrestags hatte die Opposition der Regierung gestern vorgeworfen, sie habe seit dem Putschversuch die Justiz zerstört. Statt einer schnellen Normalisierung habe sie einen bleibenden Ausnahmezustand erschaffen, kritisierte der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu.
(tzi/gwi)