Monika Seynsche: Die Kohlendioxidemissionen steigen weiter und je stärker sie das tun, desto stärker wandelt sich das Klima. Und das könnte einer Region große Probleme bereiten, die bislang in erster Linie für schlechte Witze bekannt ist. In Ostfriesland kämpfen die Menschen seit Jahrtausenden mit dem Wasser. Meter für Meter haben sie dem Meer Land abgerungen, es eingedeicht und nutzbar gemacht. Jetzt regnet es hier aber natürlich genauso wie überall anders auch und dieses Regenwasser muss durch die Deiche hinaus ins Meer, damit die Region nicht absäuft. Bislang funktioniert das ganz gut, mit Pumpen und mit Sielen, also Toren im Deich, durch die bei Ebbe das Regenwasser ins Meer fließen kann, und die sich bei Flut schließen. Wenn aber der Meeresspiegel ansteigt, wird dieses Sielen immer seltener funktionieren, schlicht weil der Höhenunterschied zwischen drinnen und draußen fehlt. Gleichzeitig projizieren die Klimamodelle immer mehr Starkregenereignisse für die Region. Es muss also in Zukunft viel mehr Wasser raus ins Meer geschafft werden als heute. Helge Bormann und seine Kollegen von der Jade Hochschule und der Universität Oldenburg haben deshalb die Entwässerungsinfrastruktur im Westen Ostfrieslands untersucht. Ich habe ihn gefragt, was genau er da gemacht hat.
Helge Bormann: Wir haben für die Region erst mal versucht zu ermitteln, mit welchen Folgen wir überhaupt rechnen müssen, im Sinne von, wie viele Starkregenereignisse werden wir haben, wie wird sich lokal oder regional der Meeresspiegel verändern, um dann …
Mehr Niederschlag in den Wintermonaten
Seynsche: Und was ist dabei herausgekommen, wie wird sich das verändern?
Bormann: Es wird sich einmal so verändern, dass, was den Meeresspiegel angeht, die Verhältnisse in der deutschen Bucht relativ ähnlich den globalen Projektionen sind, dass wir aber vor allem in Bezug auf die Entwässerungsbedarfe in Zukunft mit deutlich mehr Niederschlag in den Wintermonaten zu rechnen haben – und damit eben auch mit deutlich mehr Entwässerungsbedarf im Winter. Also, dass die Wassermengen, die im Binnenland in den Küstenniederungen entstehen, durchaus um 20 bis 30 Prozent in den Wintermonaten zunehmen können und damit eben auch 20 bis 30 Prozent mehr Wasser entwässert werden muss aus der Region.
"Möglichst klimaneutral entwässern"
Seynsche: Und wie lässt sich das bewerkstelligen?
Bormann: Wir haben sehr intensiv mit den Akteuren aus der Region zusammengearbeitet, also den Entwässerungsverbänden, den Verwaltungsangestellten aus den regionalen Wasserbehörden aus den Landkreisen und den kreisfreien Städten. Und die Akteure haben im Prinzip erst mal sehr gute Erfahrungen natürlich in der Vergangenheit gemacht mit technischen Maßnahmen. Wir haben Pumpwerke installiert, Pumpstationen installiert. Das Problem bei diesen Maßnahmen ist letztendlich, dass mit je mehr Technik wir arbeiten, desto mehr Energie müssen wir im Prinzip aufwenden, um die Region zu entwässern. Wir müssen also schauen, dass wir in Zukunft zum einen möglichst klimaneutral entwässern und zum anderen die Infrastruktur, die es gibt, möglichst effizient nutzen, also möglichst flexibel nutzen können. Und eine flexible Nutzung von Pumpstationen, von einem Entwässerungssystem erfordert in der Regel einen relativ großen Speicherraum, damit wir eben dann entwässern können, wenn die Bedingungen günstig sind, wenn zum Beispiel Windkraftanlagen viel Strom liefern, wenn der Wasserstand am Außendeich niedrig ist und der Aufwand dann eben niedrig ist, um Wasser durch den Deich hindurchzubringen.
Seynsche: Aber wo soll das Wasser gespeichert werden, die Region ist ja mittlerweile dicht besiedelt.
Bormann: Es gibt da mehrere Möglichkeiten: Zum einen gibt es schon bestehende Gewässer, die man aktiv bewirtschaften oder aktiver bewirtschaften könnte, als es derzeit gemacht wird. Es gibt zum Beispiel das Große Meer, ein großes Stillgewässer, was auch touristisch genutzt wird in der Region, was man also durch eine Nutzung quasi als Pumpspeicher effizienter für die Entwässerung der Region einsetzen kann, indem man eben aktiv Wasser hineinpumpt, wenn man zu viel Wasser in der Region hat, und es dann wieder ablässt, wenn die Entwässerungsbedingungen günstig sind. Das wird natürlich nicht reichen, aber das wäre so ein Baustein, den man nutzen könnte. Andere Bausteine wären, dass man neue Polder schafft, in denen man eben Wasser speichern kann, aber dafür braucht man natürlich Fläche, das ist richtig, und die Konkurrenz um Fläche ist groß, sowohl von der Landwirtschaft, als auch von der Gewerbeentwicklung im Hinblick auf Nutzung von Fläche als Wohnraum, Naturschutzflächen, also auch die Umweltaspekte müssen dringend berücksichtigt werden. Insofern ist das keine leichte Aufgabe, da Lösungen zu finden.
"Region nach Möglichkeiten so halten wie sie ist"
Seynsche: Das heißt, es gibt aber keine Alternative, als diese Lösungen zu finden?
Bormann: Das ist eine gute Frage. Wenn wir mit den Akteuren sprechen, ist natürlich das Ziel, die Region nach Möglichkeit so zu halten, wie sie heute ist. Sprich, dass wir sie intensiv nutzen können. Eine Alternative wäre natürlich, dass man die Nutzungsansprüche an die Region verändert, dass man also mehr Wasser akzeptiert, natürlicherweise akzeptiert in der Region und vielleicht nicht mehr so intensiv Landwirtschaft betreiben kann oder bestimmte Bereiche eben nicht mehr besiedeln kann oder vielleicht auch bestimmte Bereiche freigeben muss. Das wären natürlich Alternativen, die aber vonseiten der Akteure nicht präferiert werden, die möchten natürlich gerne die Region weiter nutzen. Aber natürlich ist das eine Frage, die man sich stellen muss langfristig: Wie lange kann man so eine Region, die Küstenregion, die Marschregion gegen weiter steigende Meeresspiegel schützen? Wie lange können wir die entwässern? Wir müssen uns Gedanken machen, ob wir die Küstenregionen weiter so nutzen und schützen können – oder ob wir Einschränkungen hinnehmen müssen.
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