Angelo Signore nimmt seinem Sohn Marcello die Mütze ab und setzt ihn auf einen Stuhl. Der Dreijährige war den Vormittag über in der Kinderbetreuung der Kur-Einrichtung:
"Bei uns war der Nikolaus. Schokolade mir gebracht. Und dann Schokoladenei. Und Weihnachtsmänner-Schokolade."
Drei Wochen Vater-Kind-Kur in einer Einrichtung des Deutschen Roten Kreuzes liegen hinter Marcello und Angelo Signore. Für ihre Auszeit sind sie nach Schleswig-Holstein gefahren. Das alte Gutshaus liegt abgeschieden direkt am riesigen Plöner See, mit eigenem Bootssteg. Kinder rasen über das große Gelände oder verschwinden im Wald, wo ein Abenteuerspielplatz auf sie wartet. Viele Möglichkeiten, sich zu erholen.
Aber für Angelo Signore war die Zeit hier auch anstrengend: Fast zwei Wochen lag Marcello krank im Bett – und Papa musste sich allein um ihn kümmern. Für den Vater eine ganz neue Erfahrung:
"Dann übernimmt ja meistens meine Frau, wenn er krank ist. Und jetzt ist man als Mann oder als Vater komplett auf sich allein gestellt und denkt doch schon: Oh."
Trotzdem ist der 36-Jährige froh, zur Kur gefahren zu sein. Er hat hier Entspannungskurse ausprobiert, war oft Laufen, in der Sauna und bei der Massage. Vor allem aber hat er mit seinem Sohn viel Zeit verbracht, zum Beispiel im Hallenbad um die Ecke oder beim betreuten Basteln.
"Der Hauptgrund war, mehr Zeit mit meinem Sohn zu verbringen. Weil durch die Arbeit – Vier-Schicht – ist sehr wenig Zeit, die ich mit meinem Sohn verbringen kann."
Gruppengespräche getrennt nach Geschlechtern
Viele der Männer fühlen sich zwischen Arbeit und Familie zerrissen. Stress ist auch das Hauptthema während der Gruppengespräche, die im Stuhlkreis stattfinden. Aus Angelo Signore platzt es nach etwa einer Stunde heraus:
"Wenn ich auf der Arbeit bin und die Probleme, die mir in den Weg gelegt werden, nicht schaffe, dann geht‘s mir schlecht. Richtig schlecht. Dann bekomme ich Kopfschmerzen, werde sehr aufbrausend, da weiß ich nicht, wie ich mit umgehen soll."
Ein alleinerziehender Vater, der anonym bleiben will, macht sich große Sorgen um seine Zukunft:
"Wir sind ja alle nicht umsonst hier oder aus Jux und Tollerei. Wir haben ja unsere Vorgeschichte. Und dass ich mir Gedanken mache: Wie soll's weitergehen? Ich will jetzt mal auf den grünen Zweig kommen.”
Mehrere Väter haben schwierige Scheidungen hinter sich, einer hat eines seiner drei Kinder verloren. Für die Gruppensitzungen sei eine Trennung von Männern und Frauen sehr wichtig, so der leitende Arzt Hans Hartmann:
"Es gibt nicht dieses Konkurrenzgehabe: Ich bin der schönere, bessere Partner, Mann, Konkurrent."
Papa und Kind: "Ein dynamisches Duo"
Die allermeisten Kur-Teilnehmer in Deutschland sind immer noch Frauen – aber die Nachfrage unter Männern steigt. Im vergangenen Jahr sind knapp 1.500 Männer zur Kur gefahren – 25 Prozent mehr als im Vorjahr.
"Ich denke, der Vater möchte ein besserer Vater werden. Also, Erziehungsauftrag wird ernster genommen."
Noch bieten nicht viele Einrichtungen Kuren für Väter an. Einige Männer mussten deshalb lange auf einen Platz warten. Wie dieser 31-jährige Alleinerziehende von zwei Kindern:
"Ich hab jetzt auch ein halbes Jahr warten müssen. Wenn ich mir überlege – ich war jetzt vom Stresslevel gut dabei, also es wäre auch noch länger gegangen. Aber wenn jemand das dringend braucht, das ist halt extrem schwierig. Also, da sollte sich deutlich was verbessern, meiner Meinung nach.”
Eine weitere Schwierigkeit: Oft reagiert das Umfeld der Väter noch kritisch, wie der Arzt Hans Hartmann beschreibt:
"Wenn eine Frau zur Kur geht, sagt man: Ja klar, mach' mal, das steht dir zu. Wenn das der Mann macht, dann wird im Kollegenkreis oder auch vonseiten des Chefs schon eine kritische Bemerkung fallen."
Die Männer, die zur Kur fahren, seien sehr motiviert, so Hartmann: Sie seien offen für die Einzel- und Gruppengespräche und verbrächten viel Zeit mit ihren Kindern. Ihm sei es wichtig, die Männer nicht nur zu kritisieren, sondern sie auch zu bestätigen:
"Weil sie in der Familie oft zwei Vorwürfe hören: Du bist nicht da und du machst es nicht richtig."
Angelo Signore fährt, wie die anderen zwölf Männer, in wenigen Tagen zurück nach Hause.
"Mitgenommen habe ich so viel, dass ich mein Kind besser verstehe. Wir sind schon ein dynamisches Duo."