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Klimawandel und Tourismus
Antarktische Ökosysteme unter doppeltem Druck

In der Antarktis sind viele Tiere und Pflanzen durch den Klimawandel gefährdet, aber auch durch zunehmenden Tourismus und invasive Arten. Experten haben jetzt einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, um den Druck auf die einheimischen Arten zu minimieren.

Von Tomma Schröder | 23.12.2022
Kaiserpinguine haben sich während eines Blizzards am antarktischen Weddellmeer in einer Reihe aufgestellt.
Kaiserpinguine sind zum Brüten aufs Meereis angewiesen (imago / Mint Images)
„Wenn die Leute sich die Artenvielfalt der Antarktis vorstellen, denken sie meist an Pinguine, Wale und Robben und all diese Tiere, die fast jeder kennt." All das gibt es. Aber es gibt auch noch eine andere, eine unbekanntere Antarktis: die eisfreien Oasen, die nur zwei Prozent der Fläche ausmachen, aber besonders artenreich sind, sagt Aleks Terauds, Programmleiter bei der Australian Antarctic Division.
„Unsere Studie konzentriert sich auf die eisfreien Gebiete der Antarktis und die dort lebende Flora und Fauna. Vieles davon ist nicht so auffällig und kann ziemlich klein sein: Moose und Flechten zum Beispiel, Bodenorganismen wie Fadenwürmer oder Springschwänze, und eine ganze Reihe verschiedener Arten von Wirbellosen, kleinen Pflanzen und Mikroben.“

Klimawandel ist nicht die einzige Bedrohung

Doch viele der teils sehr außergewöhnlichen Lebewesen, die sich an extremste Bedingungen angepasst haben, sind bedroht – vor allem durch den Klimawandel. Da wären zum Beispiel die sehr bekannten Kaiserpinguine, die beim Brüten auf das Meereis angewiesen sind und die daher bis zum Ende des Jahrhunderts aussterben könnten. Da sind aber auch hoch spezialisierte Fadenwürmer, die sich an die extrem trockenen Böden angepasst haben und die nun unter der zunehmenden Vernässung leiden.
Hinzukomme, so der Antarktis-Experte, dass der Klimawandel zwar die größte, aber bei weitem nicht die einzige Bedrohung sei: „Wir fahren zum Beispiel in die Antarktis, um dort zu forschen. Viele verschiedene Länder bauen Stützpunkte und Infrastruktur für Flugzeuge, für die Schifffahrt. Hinzu kommt die wachsende Tourismusindustrie. Und sowohl der Klimawandel, als auch die menschlichen Aktivitäten können mit anderen Bedrohungen verbunden sein, wie zum Beispiel der Einschleppung gebietsfremder Arten.“

Einheimische Blühpflanzen werden verdrängt

Da wäre zum Beispiel das Gras, das sich bereits in den letzten Jahren auf der antarktischen Halbinsel breit gemacht hat, erzählt Jasmine Lee vom British Antarctic Survey, die Erstautorin der Studie: "Das Gras Poa Annua,  auch als einjähriges Rispengras bekannt, wird auf Golfanlagen und anderen Plätzen in der ganzen Welt verwendet. Es ist eigentlich ein ganz nettes Gras, aber ich habe bereits festgestellt, dass es mit den beiden einzigen einheimischen Blühpflanzen konkurriert und sie vielleicht sogar verdrängen wird. Es hat sich bereits an einigen Stellen ausgebreitet und es gibt derzeit erste Versuche, es wieder wegzubekommen.“
Golfrasen in der Antarktis? Die Vorstellung zeigt, wie groß die Veränderungen sind, die auf die Antarktis zukommen könnten. Was genau das für einzelne terrestrische Arten bedeuten könnte, das haben Lee, Terauds und 29 weitere Experten nun nach mehr als fünf Jahre Arbeit in ihrem Paper dargestellt. Darin zeigen sie auch Strategien auf, mit denen diese Zukunft besser ausfallen könnte. 

Ein Katalog von Maßnahmen

„Tatsächlich haben wir festgestellt, dass wahrscheinlich 65 Prozent der Arten in der Antarktis bis zum Jahr 2100 zurückgehen werden, wenn wir mit dem derzeitigen Business-as-usual-Szenario weitermachen. Wenn wir jedoch dazu beitragen können, diese Bedrohungen durch die von uns ermittelten Strategien abzumildern, werden bis zu 84 Prozent aller Arten davon profitieren", sagt Jasmine Lee.
Der größte Hebel ist dabei der Kampf gegen den Klimawandel. Darüber hinaus ist es für die Artenvielfalt aber auch sehr förderlich, wenn die Einschleppung fremder Arten besser unterbunden, der Tourismus stärker reguliert oder in der Forschung mehr auf Fernerkundung gesetzt werden würde. Auch bei der Infrastruktur und dem Transport ließen sich Umweltaspekte besser mitdenken, schreiben die Autoren. Für jede Maßnahme schätzen sie ab, welchen Effekt sie auf die Artenvielfalt hätte und was sie kostet.

Wenn die Politik blockiert

Eine sehr fundierte Arbeit, findet Stefan Hain vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut. Ein Problem sieht aber dennoch: „Das sind sehr gute Empfehlung. Nur es wird sehr, sehr schwierig sein, im Kreis der Antarktis-Vertragsstaaten da einstimmig eine Entscheidung zu treffen, weil Länder wie Russland oder China, die weichen von dem Vorsorgeprinzip ab. Seit vielen, vielen Jahren arbeite ich an dieser Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Und in den letzten Jahren ist es sehr, sehr anstrengend geworden, sehr frustrierend, weil wir wissen alle, was passieren müsste. Die Wissenschaftler geben uns die Information genauso wie auch jetzt hier in dieser neuen Publikation. 'Best Available Science', die beste verfügbare Wissenschaft, die ist da, wird aber auf der politischen Ebene von einigen Ländern in den letzten Jahren immer häufiger ignoriert.“  
Zuletzt blockierte China bei dem diesjährigen Antarktis-Vertragsstaatentreffen in Berlin den Antrag, die bedrohten Kaiserpinguine unter Schutz zu stellen. Daher hoffen alle drei Antarktisexperten, dass die neue Studie zumindest eine Anregung für einzelne Staaten sein könnte, gezielt und effektiv in den Schutz der Antarktis zu investieren.
Denn manchmal können schon kleine Maßnahmen, große Wirkung zeigen, weiß Stefan Hain. Zum Beispiel ein strenger Blick auf die Fototaschen von erkundungsfreudigen Touristen. Durch deren Klettverschlüsse, so weiß Hain es aus einer Studie, würden nämlich die meisten invasiven Samen in die Antarktis eingeschleppt.