Adalbert Siniawski: "Die Zeit ist reif für dieses Buch!", schreiben Nora Gomringer und Clara Nielsen. "Viel zu lang standen die deutschsprachigen Slampoetinnen im Schatten ihrer männlichen Kollegen." Gomringer und Nielsen sind in der Poetry-Slam-Szene aktiv - und haben jetzt ein knapp 300 Seiten starkes Buch herausgegeben, dass dutzende Texte von 50 Autorinnen versammelt. Clara Nielsen - willkommen zum Corsogespräch!
Clara Nielsen: Ja, danke.
Feminismus ist ein kleiner Streber, der Recht hat
Siniawski: "Lautstärke ist weiblich" ist der Titel des Sammelbandes. Kommt es auf die Lautstärke an, um als Frau auf der Poetry-Slam-Bühne wahrgenommen zu werden?
Nielsen: Man muss nicht unbedingt laut sein, um gehört zu werden. Gerade in unserem Buch haben wir harte Töne und subtile Töne, aber stark sind sie auf jeden Fall alle. Ich denke, dass man sich vielleicht schon als Frau teilweise auch mal durchsetzen muss, weil's einfach immer noch so ist, dass Frauen immer noch weniger präsent auf Slambühnen sind als Männer. Das merkt man auch gerade, wenn man sich die deutschsprachigen Meisterschaften anschaut: Da sind vielleicht so 25 Teilnehmerinnen von den 100 oder 110 Starterinnen und Startern Frauen, aber ich denke, dass es diese Stimmen auf jeden Fall braucht.
Siniawski: Bräuchte es eine Initiative "ProQuote Poetry Slam"?
Nielsen: Es hat sich in den letzten Jahren schon sehr, sehr viel getan. Als ich angefangen habe mit dem Slammen 2007, da war ich ganz oft auf Bühnen die einzige Frau im Line-up. Das hat sich schon stark gewandelt.
Siniawski: Gibt es eine speziell weibliche Art von Poetry Slam, was Themen und Darbietung angeht?
Nielsen: Ja, ich würde schon sagen, dass es anders klingt, tatsächlich. Nora Gomringer hatte das auch einmal angesprochen, dass viel mehr Rhythmisierungen vorhanden sind in den Texten. Ich finde aber auch, gerade was unsere Anthologie angeht, haben wir eine große Bandbreite, und da zeigt sich auch, dass Frauen sehr verschieden schreiben können. Und da sind eben laute Töne zu hören, aber auch leise, Witziges, Nachdenkliches - es ist anders vorhanden.
"Die Poetry-Slam-Szene ist ist schon sehr politisch"
Siniawski: Kommen wir noch mal auf den Begriff des Weiblichen. Es gibt da diesen schönen Satz in der Ankündigung dieses Buches: "Feminismus ist wie das Kondom, das man erst noch kaufen gehen muss, obwohl man schon nackt zusammen im Bett liegt: ohne wär's einfacher, aber langfristig eben nur für den Mann." Das schreibt Sarah Bosetti. Welchen Feminismus-Begriff will Ihre Anthologie vermitteln?
Nielsen: Ich finde diesen Text von Sarah Bosetti eigentlich sehr treffend, muss ich sagen. Sie spricht darüber, dass der Feminismus eigentlich ein bisschen nervig ist, und es ist sehr lustig geschrieben. Und sie sagt: Aber es ist auch so der kleine Streber - der aber Recht hat. Deswegen sollten wir vielleicht auch ein bisschen auf ihn hören, und ich finde, das passt eigentlich ganz gut zusammen. Wir haben ja jetzt nicht nur feministische Texte oder Texte, in denen es um Feminismus geht. Es kommen auf jeden Fall die Frauen mal zu Wort. Und allein von diesem Buch her sieht man dann: Ach ja, es gibt ja wirklich sehr viele Poetry-Slammerinnen, und die sind jetzt hier mal versammelt. Und es gibt darüber hinaus sogar noch mehr.
Siniawski: Auf das Mehr würde ich gerne zu sprechen kommen: In Zeiten der ewigen Raute, der AfD-Parolen und der Trumps dieser Welt - wie politisch sind die Poetry-Slam-Events? Oder wird da auf der Bühne vor allem über die kleinen Schicksale des Alltags gelacht? Jetzt nicht nur in dem Buch, sondern auch in der Szene draußen.
Nielsen: Man hat natürlich auf einer Poetry-Slam-Bühne nur fünf Minuten und man kann nicht alle Texte, die man hat, vortragen. Insofern muss man natürlich immer auswählen, was für einen Text man an dem Abend macht. Und da kann man natürlich zu einer Veranstaltung kommen und hört vielleicht sogar gar keinen politischen Text. Es gibt aber auch Veranstaltungen, gerade jetzt, als es um die Flüchtlingskrise sehr, sehr viel ging, hat man das auf Poetry-Slam-Bühnen auf jeden Fall deutlich gespürt. Da gab es sehr viele Texte zum Thema Flüchtlinge, es gibt viele Texte zum Thema AfD gerade. Und ich würde schon sagen, dass die Poetry-Slam-Szene schon sehr politisch ist. Aber natürlich gibt es alle Themen, die einen Menschen sehr beschäftigen, das ist ja auch klar.
"Lässt es sich natürlich auch davon leben"
Siniawski: Wie sieht es eigentlich damit aus, als Poetry-Slammer zu leben? Es gibt Dichter, die sind kaum zu Hause und reisen von Event zu Event. Ist das Selbstausbeutung oder kann man von den Auftritten und Veröffentlichungen wirklich leben - vielleicht speziell auch aus der Perspektive der Frau betrachtet.
Nielsen: Das ist auch ein spannendes Thema, denn es ist sehr unterschiedlich. Wenn man jetzt von Poetry-Slam zu Poetry-Slam reisen würde, davon könnte man so vielleicht leben, weil man ja nicht Zuhause wohnt, und dann ist man halt auf der Veranstaltung und kriegt ein bisschen Fahrtgeld. Dann gibt es natürlich aber auch Veranstaltungen, wo ein bisschen was gezahlt wird. Und die meisten, die dann aber tatsächlich sagen, das möchte ich zu meinem Beruf machen, die machen nicht nur Poetry-Slam. Die gehen dann in Richtung Kabarett oder Comedy-Bühne oder veröffentlichen Romane, sind im Fernsehen teilweise präsent - und dann lässt es sich natürlich auch davon leben. Und da gibt es ja einige, die auf dem Poetry-Slam kommen, die sich nun auch etabliert haben in der Fernsehlandschaft...
Siniawski: Marc-Uwe Kling, Sebastian 23, Torsten Sträter - wieder alles Männer.
Nielsen: Das sind Männer, aber wir haben in unserer Anthologie Literaturpreisträgerinnen, die auch im Fernsehen präsent sind oder auf Kabarett-Bühnen unterwegs sind: Sandra Da Vina, Kirsten Fuchs, Sarah Bosetti, die gerade auch sehr präsent ist, Fatima Moumouni. Also da gibt es schon einige!
Siniawski: Empfehlungen von Clara Nielsen. Sie ist Mitherausgeberin des Textbandes "Lautstärke ist weiblich", erschienen im Satyr Verlag. Danke Ihnen für das Gespräch!
Nielsen: Danke auch! Tschüss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Clara Nielsen, Nora Gomringer (Hrsg.): "Lautstärke ist weiblich"
Satyr-Verlag: Berlin 2017. 285 Seiten, 15 Euro
Satyr-Verlag: Berlin 2017. 285 Seiten, 15 Euro