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Anthropologie
Komplexe Nahrungssuche verlängert beim Menschen die Kindheit

Menschen sind Nesthocker. Als mögliche Ursache gelten eine hohe Lebenserwartung oder der zeitintensive Aufbau eines komplexen Gehirns. Neue Beobachtungen zeigen, dass auch die Komplexität der Nahrungssuche die Kindheit verlängert haben könnte.

Von Michael Stang |
Ein Kind greift von unten nach Erbeeren, die auf einer Küchenarbeitsplatte liegen.
Kinder sind länger auf Unterstützung bei der Nahrungssuche angewiesen als andere Säugetiere (Unsplash / Kelly Sikkema)
Einige Tiere können schon kurz nach der Geburt stehen, gehen oder sogar rennen. Menschliche Babys hingegen fangen erst mit einigen Monaten an, aktiv die Umwelt zu erkunden und es dauert viele Jahre, bis jemand sein Elternhaus verlässt. Diese extrem verlängerte Kindheit ist offenbar eine ureigene menschliche Eigenschaft. Doch der Grund dahinter ist bisher kaum verstanden. Liegt es nur daran, dass Menschen im Idealfall sehr alt werden und deswegen auch die Kindheit entsprechend verlängert wird? Vermutlich nicht, sagt Ilaria Pretelli, vermutlich hat es eher mit Lernprozessen zu tun – vor allem jene, die die Nahrungssuche betreffen.

„Wir haben uns nicht nur mit der Jagd beschäftigt, sondern auch mit dem Sammeln von Knollen und Wurzeln, die in vielen Gesellschaften eine Quelle für Kohlenhydrate sind. Dann haben wir uns den Fischfang sowie das Sammeln von Muscheln und Krabben entlang der Küste angeschaut, sowie das Ernten von Früchten, die auch ein wichtiges Grundnahrungsmittel sind.“

Menschen haben eine extrem verlängerte Kindheit

„Wir haben untersucht, wie Kinder mit zunehmendem Alter ihre Fähigkeiten verbessern, jede dieser vier verschiedenen Ressourcen zu nutzen. Dazu haben wir ein statistisches Modell erstellt, das das über die Zeit hinweg vergleichen kann. Wir schauen uns an, wie schnell sich diese Fähigkeiten der Nahrungsbeschaffung entwickeln und ob es eine frühe oder späte Verbesserung gibt.“
Der Anthropologin ging es dabei hauptsächlich um die Frage, wie schnell oder langsam bestimmte Lernprozesse der Nahrungsbeschaffung sind, in welchem Lebensalter sie einsetzen, wie es schnell es Verbesserungen gibt und wann die jungen Menschen dann ähnlich geschickt und erfolgreich sind wie die Erwachsenen.

"Das erste Ergebnis ist, dass das Erlernen der Jagd, bei der viele körperliche, aber auch kognitive Fähigkeiten erforderlich sind – also Tiere aufspüren und ein sich bewegendes Objekt treffen - länger dauern. Interessant war auch, dass das Ausspüren und Ausgraben von Knollen als Lernprozess ebenfalls viel Zeit braucht. Das liegt aber nicht unbedingt an der kognitiven Herausforderung, sondern eher an der dazu notwendigen körperlichen Kraft. Früchte ernten hingegen ist definitiv das Element, das am wenigsten Zeit zum Erlernen erfordert, denn auch kleine Kinder können beim Sammeln von Früchten schon sehr effizient sein.“

Kraft, Zeit und Erfahrung sind bei der Nahrungssuche notwendig

Viele Primatenarten stehen der menschlichen Obsternte in nichts nach. Bei Nahrungsressourcen, die schwieriger zu erreichen sind - wendige Beutetiere etwa oder tief vergrabende Knollen und Wurzeln - aber zeigt sich, warum die menschliche Kindheit so lange dauert. Viele Fähigkeiten erlangen Menschen erst ab einem bestimmten Alter, weil ein gewisses Maß an Erfahrung und körperlicher Kraft sowie Ausdauer erforderlich sind. Ob diese Fähigkeiten wirklich der Hauptgrund dafür waren, dass Menschen immer später alleine ohne die Hilfe der Eltern überleben können, sei statistisch schwer nachweisbar, so Ilaria Pretelli. Denn Kontrollgruppen gibt es nicht und die Generationszeiten sind bei Menschen mit im Schnitt 25 bis 30 Jahren seien einfach zu groß, um das bewerten zu können. Aber die Wahrscheinlichkeits-Berechnungen sprechen dafür.
„Wenn du als Büffel von einem Ort zum anderen ziehst, brauchst du Gras und das frisst du überall. Wenn Du aber als Mensch den Wohnort wechselst, schaust du in der neuen Gegend erstmal, welches die beste Nahrung ist, also die kalorienreichste. Und diese Nahrung holst du Dir, egal wie kompliziert das ist. Hier geht es um flexibles Verhalten und die Fähigkeit, sich auf jede spezifische Umgebung einzulassen. Und diese Fähigkeit erlaubt es Menschen, überall auf der Welt zu leben.“