Geht es nach der Deutlichkeit der Worte, meinen es die 18 NADOS sehr ernst. Entweder es ändert sich jetzt etwas, oder der Kampf um Glaubwürdigkeit in der Anti-Doping-Politik ist endgültig verloren. "Wenn es international keine Chancengleichheit gibt, keine Angleichung der Systeme, dann fehlen mir auch irgendwann die Argumente der Athleten gegenüber", sagt etwa Andrea Gotzmann, NADA-Vorstandsvorsitzende. "Reformen sind dringend notwendig, es darf nicht zu einem Reförmchen reduziert werden. Das ist ganz wichtig und das ist auch, was wir jetzt bei der WADA sehen wollen, die klare Trennung der Kompetenzen und eben den Ausschluss der Interessenskonflikte."
"Wir müssen jetzt handeln", bekräftigt Harri Syväsalmi, Generalsekretär der finnischen Anti-Doping-Agentur FINADA. "Die Atmosphäre ist so, dass wir alle sehr entschlossen sind und unabhängig davon, woher wir kommen, waren wir uns alle einig." Alle, das sind 18 NADOS sowie das Institut der nationalen Anti-Doping-Organisationen iNado. Sie fordern: Sportverbände dürften nicht mehr für Dopingverfolgung, für das Testen und Sanktionieren zuständig sein.
Verbände dürfen nicht allein gelassen werden
Whistleblower müssten stärker geschützt werden, und mit Blick auf Russland und auch weiteren Ländern mit mutmaßlichem Staatsdoping und korrupten Strukturen solle es einen Strafenkatalog geben – mit der Möglichkeit, Verbände von internationalen Wettkämpfen auszuschließen. Damit es nicht wie im Sommer in Rio dazu komme, dass es ein Entscheidungsvakuum gebe und die einzelnen Verbände letztlich damit allein gelassen würden.
Der wichtigste Punkt aber sei die personelle Unabhängigkeit der WADA, betonte der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA, Travis Tygart: "Man kann nicht zugleich eine Position haben, bei der man den Sport voranbringen will, sei es als Präsident eines internationalen Sportfachverbandes, als IOC-Mitglied oder als Mitglied der IOC-Exekutive – und zugleich eine Position, bei der man den Sport überwacht. Der innewohnende Interessenkonflikt ist zu groß."
WADA-Chef soll zurücktreten
Das heißt: auch WADA-Chef Craig Reedie müsse zurücktreten, da er auch IOC-Mitglied ist. "Alle, die eine Sportorganisation führen, auch Craig Reedie, sollten nicht weiter in der WADA-Geschäftsführung arbeiten und Entscheidungen treffen." Ob Reedie dieser Forderung nachkommen und sein Amt zurückgeben wird, scheint derzeit fraglich.
Rob Koehler, Stellvertretender Generaldirektor der WADA, hielt klar dagegen: "Was die Kritik an Craig betrifft, so hat er sich doch für eine Sperre von Russland ausgesprochen. Außerdem ist Craig nicht in der IOC-Exekutive, nur IOC-Mitglied ohne Entscheidungsmacht – wo ist der Konflikt?"
Den sehen nicht nur die 18 NADOs, sondern auch erfahrene Anti-Doping-Kämpfer wie der Nürnberger Pharmakologe Prof. Fritz Sörgel. Auch vor dem Hintergrund, dass Reedie noch im vergangenen Jahr in einem Schreiben dem damaligen russischen Sportminister Vitali Mutko versicherte, er werde nichts unternehmen, was die Freundschaft gefährden könne. "Wenn Reedie tatsächlich in seinem Amt bleiben sollte, dann ist das eine ganz miserable Entwicklung. Man kann natürlich auch aufgrund des Verhaltens seitens unseres deutschen Präsidenten Bach, der ja auch immer sehr geschickt taktiert, schon erwarten, dass er die Konstellation mit Reedie in der Wada und gleichzeitig im IOC beibehalten möchte."
"IOC könnte Weg freimachen für glaubwürdige Leute"
Insgesamt sind 60 Anti-Doping-Einrichtungen Mitglied bei der iNADO. Die 18, die jetzt zur Reform aufrufen, sind diejenigen, die das höchste Standing haben. Wie wahrscheinlich ist es, dass ihr Vorstoß etwas bewirken wird, und wenn ja wie viel? Die Einschätzung von Sörgel: "Die Prognose ist natürlich die, dass man wie in den vergangenen Jahren von Seiten des IOC oder auch von Seiten der Politik immer scheibchenweise und immer nur soweit auf die Anti-Doping-Kommissionen zugeht, wie es notwendig ist. Ich glaube allerdings, dass das IOC schon so stark unter Druck gerät, (…) dass man auf Dauer diesem Wunsch des IOC, die Dinge selber unter Kontrolle zu haben, auf Dauer nicht mehr durchsetzen kann."
USADA-Chef Travis Tygart arbeitet mit seiner offensiven Art mit daran, den Druck noch einmal deutlich zu erhöhen: "Das IOC könnte am heutigen Tag beschließen, sich aus der WADA zurückzuziehen und den Weg freizumachen für glaubwürdige, unabhängige Leute. Dann hätten sie keinen Interessenkonflikt und sie könnten auch sofort das Budget der WADA verdoppeln oder vervierfachen, das Geld ist da. Dann würden sie den sauberen Athleten zeigen, dass sie ihre Rechte verteidigen."