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Anti-Gender-Bewegung
Angriff des Westens auf Polen

Die Anti-Gender-Bewegung in Polen: Dahinter steht sowohl die Regierung als auch die katholische Kirche. Sie sehen in der Gender-Bewegung einen Verstoß gegen die göttliche Ordnung und einen Angriff des Westens auf die polnische Identität. Der neue Erzbischof von Krakau ist einer der entschiedensten Gender-Gegner.

Von Florian Kellermann |
    Hier Marek Jedraszewski noch als Erzbischof von Lodz auf einer Enthüllung eines Denkmals von Papst Johannes Paul II. in Paris am 24-10.2014.
    Der nationalkonservative Marek Jedraszewski wurde zum neuen Krakauer Erzbischof bestimmt - eine wichtige Position. (picture alliance / EPA / Etienne Laurent)
    Ein kalter Abend in der Warschauer Innenstadt: Ein paar Dutzend Menschen stehen vor einer Marienstatue. Immer und immer wieder sprechen sie das "Ave Maria". Die Veranstaltung nenne sich "Kreuzzug der Jungen", erklärt Martin Brandt:
    "Es geht darum, dass wir zur katholischen Moral finden, die Polen sollten zum ursprünglichen Christentum zurückkehren. Zu den Werten: Tradition, Familie, Eigentum."
    Dass sich über 90 Prozent der Polen schon als Katholiken bezeichnen, überzeugt den 20-Jährigen nicht. Der Jura-Student zeigt auf das Transparent: "Für ein katholisches, kein laizistisches Polen". Der Staat solle katholische Werte fördern - und nicht, wie in den vergangenen Jahren, die in Polen sogenannte Gender-Ideologie:
    "Wir wehren uns gegen diese Ideologie, gegen diese Abkehr vom göttlichen Recht, Abkehr von der Norm und von heterosexuellen Beziehungen. Wir beten dafür, dass sich Personen, die mit der LGBT-Bewegung verbunden sind, bekehren."
    Was links ist, erinnert an den Kommunismus
    In Polen ist diese Anti-Gender-Bewegung aus zwei Gründen besonders stark: Zum einen erinnert alles, was als linksgerichtet gilt, an die Zeit des kommunistischen Polen, an Diktatur und Mangel. Zum anderen hat die katholische Kirche gewichtigen Einfluss. Im ultrakatholischen Sender "Radio Maryja" etwa erklärte vor kurzem ein Geistlicher:
    "Mit Beunruhigung blicken wir in die alten EU-Länder, sie hat eine Krankheit befallen, die Gender-Ideologie. Das ist die verderblichste Ideologie, die in den vergangenen Jahren entstanden ist. Und sie wird in den alten EU-Ländern mit großer Freude aufgenommen! Dabei bringt sie Europa den Tod."
    Erst gestern haben die Gender-Gegner in Polen einen weiteren wichtigen Sieg errungen: Der nationalkonservative Marek Jedraszewski wurde zum neuen Krakauer Erzbischof bestimmt - eine wichtige Position. Jedraszewski hatte gesagt: Die Gender-Ideologie sei enorm gefährlich. Sie und andere Faktoren könnten dazu führen, dass Menschen mit weißer Hautfarbe in Europa bald - Zitat - "so vorgeführt werden wie heute die Indianer in den Reservaten in den USA".
    Es gehe der Gender-Politik nur vordergründig um soziale und sexuelle Geschlechter-Identität, meinen ihre Kritiker in Polen. Ebenso wenig gehe es um Gleichberechtigung, sagt Grzegorz Strzemecki, einer der profiliertesten polnischen Anti-Gender-Aktivisten. Der studierte Chemiker beschäftigt sich seit Jahren fast ausschließlich mit dem Thema, er hat darüber ein Buch geschrieben.
    "Eine gesellschaftliche und anthropologische Revolution"
    Die hehren Ziele der Gender-Theorie seien nur vorgeschoben, sagt er:
    "Wir haben es hier mit einer Gehirnwäsche zu tun, die sich in Handlungen überträgt, in eine Revolution, eine gesellschaftliche und anthropologische Revolution, die so weit geht wie noch keine in der Geschichte. Diejenigen, die hinter dem Ganzen stecken, sind sich dessen bewusst. Aber die Gesellschaft bleibt ahnungslos."
    Die Gender-Theorie raube dem Menschen seine natürliche Identität, meint Strzemecki. Zu ihr gehöre das biologische Geschlecht ebenso wie eine heterosexuelle Ausrichtung. Alles andere ist für den Aktivisten eine psychische Störung. Der Staat sollte sie als solche anerkennen. Dann mache sich derjenige strafbar, der andere zur Homosexualität verführe, ihnen also Schaden zufüge.
    Strzemecki wird in Polen durchaus ernst genommen, Parlamentsausschüsse laden ihn als Experten ein. Dabei hat Polen fast nichts von dem umgesetzt, was Gender-Befürworter fordern. Es gibt keinen Sexualkundeunterricht an den Schulen und nicht einmal eine Regierungsbeauftragte für die Gleichstellung von Mann und Frau.
    Trotzdem ist Grzegorz Strzemecki mit der amtierenden rechtskonservativen Regierung noch nicht zufrieden:
    "In der Regel ist es so: Wenn in Europa rechte Parteien an die Macht kommen, dann halten sie den Vormarsch linker Ideologien nur auf. Dabei sollte man diese Prozesse umkehren."
    Doch darüber wird in der polnischen Regierung immerhin schon nachgedacht: Das Justizministerium überprüft derzeit, ob Polen ein Übereinkommen des Europarats aufkündigen soll, das "Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen". Denn diese so genannten Istanbul-Konvention führt nicht nur den Begriff eines "sozialen Geschlechts" ein. Sie geht außerdem davon aus, dass traditionelle Geschlechterrollen mitverantwortlich sind für die Gewalt gegen Frauen - und deshalb beseitigt werden sollten. Für Konservative eine Affront.
    Teil eines internationalen Trends
    Doch in Polen gehe es bei dem Streit nicht nur um Weltanschauung, meint die Gender-Forscherin Agnieszka Graff:
    "In Polen hat die Anti-Gender-Rhetorik einen sehr starken nationalistischen Unterton. Rechtsgerichtete Publizisten stellen Gender als einen Angriff des Westens auf Polen dar, einen Anschlag auf unsere nationale Kultur, als etwas Fremdes, nicht Polnisches."
    Die Gender-Debatte verstärkt in Polen also die zunehmend EU-kritischen Stimmen. Gleichzeitig sei sie Element eines internationalen Trends, meint Agnieszka Graff:
    "Polen ist keine Ausnahme in Europa, es ist eher in der europäischen Avantgarde. Die Tendenz besteht darin, dass eine stark rechtsgerichtete Politik als vernünftiger Mainstream dargestellt wird, der für die normalen, einfachen Menschen eintritt. Der ganze Rest der politischen Landschaft gilt als links-versifft, der - und hier kommt die Gender-Theorie ins Spiel - außerdem noch degeneriert ist. Das sind Homos, Feministinnen, absonderliche Gestalten."
    Alarmstimmung herrscht also auf beiden Seiten der Barrikade: Die einen fürchten den Untergang des Abendlandes, die anderen die Rückkehr des extremen Nationalismus. Das dürfte den Streit um die Gender-Politik weiter verschärfen.