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Anti-IS-Koalition
Assads Rückkehr in die internationale Arena

Im Kampf gegen die Terrormiliz IS bahnt sich ein fragwürdiger Schulterschluss an: Die neue irakische Regierung geht auf den syrischen Staatspräsidenten Assad zu. Ausgerechnet er könnte besonders wirkungsvoll gegen die Miliz kämpfen. Der Westen hingegen lehnt eine Zusammenarbeit ab.

Von Clemens Verenkotte |
    Wahlplakate von Bashar al-Assad in Damaskus.
    Erstmals seit Beginn der Massenproteste gegen Assad vor bald dreieinhalb Jahren wittert der Diktator eine realistische Chance, dass sein politisches Überlebenskonzept aufgehen könnte. (dpa / Youssef Badawi)
    Aleppo, Dienstag dieser Woche. Nach einem Bombenangriff der Luftwaffe Assads auf den Stadtteil Jesr al-Hajj versuchen dutzende von Anwohnern und zivilen Rettungskräfte mit langen Holzstangen einen schweren Betonbrocken anzuheben, darunter ein verschütteter Junge:
    "Ich möchte Wasser trinken" - "Ja, Du kannst Wasser trinken, wenn wir Dich rausgeholt haben", erwidert einer der Männer. "Bitte, ich möchte was zu trinken. Passt auf, es tut weh." - "Hab keine Angst, mein Lieber, ich bin ja da," sagt sein Onkel.
    Dann wimmert das Kind: "Allah verdamme Baschar al-Assad". Ein Umstehender fordert ihn auf, das zu wiederholen. "Er solle ihm das Leben nehmen, sagt Amen". Schließlich wird er über und über mit grauem Staub und Schotter bedeckt, aber heil an Haupt und Gliedern geborgen.
    Aleppo seit Jahren unter Beschuss
    Alltag im Krieg: Kinder holen in einem Rebellengebiet von Aleppo Wasser im Juli 2014
    Alltag im Krieg: Kinder holen in einem Rebellengebiet von Aleppo Wasser (AFP / Zain al-Rifai)
    Aleppo, die geschundene Metropole Syriens im Norden des Landes, wird seit inzwischen Jahren von der Luftwaffe Baschar al-Assads bombardiert, von den Regime-Truppen beschossen und belagert. Fassbomben, aus Hubschraubern abgeworfen, richten ihre verheerende Wirkung unter den eingeschlossenen Zivilisten an, Mörser, Raketen gleichermaßen. Die faktische Aufhebung der Landesgrenzen durch die militärisch wie organisatorisch schlagkräftig aufgestellte Terrororganisation IS hat die Kräfteverhältnisse in Syrien nachhaltig verschoben: Zwischen Staatschef Assad, seinen Streitkräften, den Hisbollah-Eliteeinheiten und ihren iranischen Verbündeten auf der einen Seite - den schiitischen Regimekräften also - und den sunnitischen Rebellenverbänden, von der Freien Syrischen Armee angefangen, über die Al Kaida Kämpfer der Nusra-Front, die Kämpfer der Islamischen Front und die Milizionäre der Al Sham-Verbände.
    Erstmals seit Beginn der Massenproteste gegen Assad vor bald dreieinhalb Jahren wittert der Diktator eine realistische Chance, dass sein politisches Überlebenskonzept aufgehen könnte: Der Kampf gegen die Dschihadisten des IS, den Amerikas Präsident widerwillig aufnimmt, war die Gelegenheit für die Rückkehr in die internationale Arena. Assad ließ seinen Außenminister Walid al Muallem Ende August ganz unmissverständlich mitteilen:
    "Wir sind zu dieser Zusammenarbeit bereit, mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Jede militärische Aktion ohne eine Koordination mit der syrischen Regierung wäre ein Angriff. Und die syrische Regierung ist dazu verpflichtet, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Souveränität zu verteidigen."
    Der neue irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi bei einem Treffen mit US-Außenminister John Kerry am 10. September 2014 in Bagdad.
    Der neue irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi. (AFP PHOTO / Brendan Smialowski)
    Während in Bagdad die neue irakische Regierung unter Ministerpräsident Haider al-Abadi der amerikanischen Luftwaffe längst grünes Licht für Angriffe auf Einheiten des IS gegeben hat, stellt die Frage der völkerrechtlichen Souveränität Syriens das bislang größte Hindernis für Präsident Obama dar, eine westlich-arabische Anti-IS-Koalition in Syrien zusammenzustellen.
    Frankreich, Großbritannien und Australien lehnen daher Luftangriffe auf den IS in Syrien ab. Die außenpolitische Trumpfkarte des - bislang - international geächteten Hauptverursachers der syrischen Katastrophe. Amerika könne nicht ohne Abstimmung mit Damaskus einen Luftkrieg in Syrien führen, gegen die Terrormilizen, so wie in den irakischen IS-Gebieten. Faisal al Mekdad, Assads stellvertretender Außenminister, Anfang dieser Woche gegenüber der BBC:
    "Dieser Strategie fehlen wichtige Elemente. Syrien hat gegen den Terrorismus gekämpft und wir sollten im Mittelpunkt jedes wirklichen und ernsthaften Kampfes gegen den Terrorismus stehen. Ich spreche nicht von der Koalition, sondern von den internationalen Bemühungen, den Terrorismus zu eliminieren. Und diejenigen, die gegen den Terrorismus kämpfen wollen, können das nicht tun, weder in Syrien noch im Irak, ohne koordinierte Aktionen mit beiden Regierungen, in Syrien und im Irak."
    Diplomatischer Kontakt mit dem Irak
    Während am Montag in Paris mit großem diplomatischen Aufwand die Bildung einer westlich-arabischen Anti-IS-Koalition verkündet wurde, in deren Abschlusskommuniqué das Wort "Syrien" nicht ein Mal vorkam, ließ sich tags darauf Baschar al-Assad vom Sicherheitsberater der irakischen Regierung in aller Ausführlichkeit über die Pariser Konferenz unterrichten. Zum ersten Mal seit der Aufnahme der US-Luftangriffe auf die Terrormilizen im Irak vor über vier Wochen empfing Assad einen Emissär Bagdads. Stolz verlas der Nachrichtensprecher im syrischen Staatsfernsehen die Meldung:
    "Präsident Baschar al-Asad wurde vom Gesandte Haider al-Abadis, dem irakischen Sicherheitsberater Faleh al-Fiayyad, über die neueste Entwicklung der Lage im Irak und die Bemühungen der irakischen Regierung und Volkes informiert, die Terroristen zu bekämpfen. Sie bestätigten während des Treffens die Bedeutung der Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen beiden Bruderländer, um den Terrorismus zu bekämpfen, der die Region und ganze Welt bedroht."
    Offenkundig, so mutmaßten arabische Medien anschließend, habe der Iran - Assads Hauptstütze im Kampf gegen die syrischen Oppositionsverbände - den neuen irakischen Ministerpräsidenten al-Abadi zum engeren Schulterschluss mit Damaskus bewegen können. Teherans enge Bindungen zu den schiitischen Parteien und Politikern in Bagdad zahlen sich für Assad aus. Kurz nach dem Treffen mit al-Abadis Sicherheitsberater seien irakische Militärbeobachter nach Syrien entsandt worden, berichtete Katars Nachrichtensender Al Jazeera Ende dieser Woche. Das Ziel: Das gemeinsame Vorgehen gegen den IS aufeinander abzustimmen.
    Politisch wie militärisch ist Assad seinem Traum daher ein erhebliches Stück näher gekommen, sich dem Westen als letztes Bollwerk gegen den dschihadistischen Terror des IS zu präsentieren - in der zynischen Hoffnung, dass der Westen weiterhin beide Augen schließt vor seinem, Assads, Terrorfeldzug gegen die eigene Bevölkerung. Assad kann nunmehr seine eigenen Streitkräfte ungestört gegen all diejenigen Oppositionsverbände vorgehen lassen, die Amerikas Anti-IS-Koalition gegen ihn in Stellung bringen will. Ein Szenario, das dem Staatschef sehr zu pass kommt.