Am Morgen danach sehen manche Straßen in Sarcelles aus wie ein Schlachtfeld - ein ausgebranntes Auto steht am Straßenrand, die Flammen haben seine ursprünglich weiße Farbe schwarz verrußt, das Glas einer Telefonzelle ist in unzählige Stücke zerschlagen. Vor allem aber waren jüdische Einrichtungen die Zielscheiben der Randalierer.
George Assaraf steht vor den Resten seiner Pizzeria. Die Glasfront steht nicht mehr. Der grauhaarige Mann ist fassungslos:
"So etwas haben wir noch nicht erlebt. Niemals. Die jüdische und die arabische Gemeinde leben doch gut zusammen. In guter Nachbarschaft. Wir haben keine Probleme. Es geht gar nicht um den Schaden - den zahlt die Versicherung. Es geht darum, dass man uns gezielt angegriffen hat - dass die jüdische Gemeinde hier zur Zielscheibe geworden ist!"
Assaraf weiß nicht, ob er das Restaurant überhaupt wieder eröffnen wird. Ein Stück weiter ist ein koscherer Lebensmittelladen komplett in Flammen aufgegangen. Nicht zum ersten Mal wurde das Geschäft angegriffen - aber das Ausmaß der jüngsten Gewalt ü bertrifft alles bisher Dagewesene. Sogar Premierminister Manuel Valls nimmt auf den kleinen Laden Bezug:
"Was in Sarcelles passiert ist, ist unerträglich. Eine Synagoge anzugreifen und ein koscheres Lebensmittelgeschäft, das schon einmal Opfer eines Anschlags wurde - ich bin damals dorthin gefahren. Das ist purer Antisemitismus und Rassismus - Straftaten, die vom Gesetz geahndet werden. Unsere Landsleute können sich auf die Standhaftigkeit und das Engagement des Präsidenten, der Regierung, und der Sicherheitskräfte verlassen. Sie werden die republikanische Ordnung garantieren."
Bürger fühlen sich nicht mehr sicher
Die staatstragenden Worte beruhigen viele hier nicht. Vor dem großen grauen Tor der Synagoge versucht Francois Pupponi, der sozialistische Bürgermeister von Sarcelles, aufgeregte Bürger zu beruhigen, die sich nicht mehr sicher fühlen. Er redet gestikulierend auf eine Frau mit blondem Pferdeschwanz ein:
"Madame, hören Sie doch: Gestern haben die versucht, die Synagoge anzuzünden - sie haben sie nicht angezündet. Und wir werden nicht klein beigeben."
Das hoffe sie, gibt die die Aufgebrachte kurz zurück. Vor gut einer Woche hatte Präsident Francois Hollande noch gewarnt, der israelisch-palästinensische Konflikt dürfe nicht nach Frankreich importiert werden. Zu spät, meint der französisch-israelische Abgeordnete Meyer Habib von der Zentrumspartei UDI. Der Konflikt sei schon im Land angekommen:
"Vor dem Krieg hat man das die Reichskristallnacht genannt. Das ist dramatisch, aber wir sind heute wieder so weit. Tod den Juden haben sie geschrien in Paris - nicht zehn Menschen, nicht hundert, sondern tausend. Und die Szenen in Sarcelles - das war eine Intifada. Gaza war gestern in Sarcelles."
Dennoch habe der Entschluss, die Demonstrationen zu verbieten offenbar nicht geholfen - so mehrt sich die Kritik. Andere Stimmen meinen, das Verbot habe die Kundgebungen überhaupt erst eskalieren lassen. Auch die pro-palästinensischen Gruppen plädieren dafür, darauf zu verzichten. Man könne die Störenfriede selbst unter Kontrolle bringen, glaubt Bernard Ravenel, Präsident eines französisch-palästinensischen Solidaritäts-Vereins:
"Wir haben es schon ein paar Mal geschafft, die Unkontrollierbaren rauszuschmeißen. Zum Beispiel wenn Transparente auftauchen, auf denen der Davidstern und das Hakenkreuz vermischt werden. Dann sagen wir: Weg damit – das ist nicht euer Platz. Und sie verschwinden!"
Innenminister: "Verbote haben Gewalt nicht ausgelöst"
Innenminister Bernard Cazeneuve verteidigt dagegen seine Position. Auf seinen Wunsch hin waren die Protestmärsche untersagt worden:
"Ich bin von dieser Entscheidung vollkommen überzeugt. Nicht das Verbot hat die Gewalt ausgelöst, sondern davor gab es schon Ausschreitungen bei Demonstrationen, die erlaubt waren. Und das war der Grund die Kundgebungen zu verbieten!"
Für den rechtspopulistischen Front National nutzt dessen Vizepräsident Florian Philippot die Gelegenheit, um seine Thesen zu vertreten:
"Dieser Konflikt ist durch die Masseneinwanderung importiert worden, durch die Parallelgesellschaften, die abscheulich sind, die aber von den Konservativen und den Sozialisten befördert wurden. Es ist Zeit, dass wir hier einen starken Staat bekommen, der die Ordnung wieder herstellt und nicht nachgiebig ist."
Der sozialistische Präsident Hollande versucht es auch mit Versöhnung. Am Nachmittag lädt er mehrere Religionsvertreter ein. Nach dem Gespräch stehen sie dicht nebeneinander im Hof des Elysée-Palasts. Von Freundschaft ist die Rede. Dalil Boubakeur, Rektor der Großen Moschee in Paris, ist sichtlich bewegt als der jüdische Vertreter zu den Journalisten spricht. Schon mehrmals hat der islamische Würdenträger angesichts der Ausschreitungen zur Ruhe aufgerufen - vergeblich. Jetzt verteidigt sich Boubakeur:
"Diese Gewalt repräsentiert weder den Islam noch wird sie von unserer Gemeinde akzeptiert. Wir sind nicht antisemitisch! Wir sind leiden selber unter Rassismus!"
Ob all dies mit einem Verbot zu lösen ist? Die nächste Demonstration ist für Mittwoch geplant.