Rainer Berthold Schossig: Die Lichter gehen aus. Diese Metapher hatte in der deutschen Geschichte zum Beispiel 1914 katastrophale Bedeutung. Gestern Abend gingen am Kölner Dom und auf den Rheinbrücken mal wieder die Lichter aus: Die Katholische Kirche und die Stadt zeigten damit ihren Protest gegen die islamfeindliche Pegida-Bewegung beziehungsweise deren Kölner Ableger Kögida, der erstmals über die Rheinbrücken zum Dom marschieren wollte, doch unverrichteter Dinge dann umkehren musste. Und da ließ der Kölner Domprobst dann auch die Glocken läuten. - Frage an Navid Kermani, iranisch-deutscher Schriftsteller und Islam-Forscher: Sie haben die Demonstration rund um den Kölner Dom beobachtet. Wie beurteilen Sie als Wahlkölner das Ereignis? War es mehr oder nur ein Lichterspiel?
Navid Kermani: Nein, das war ein extrem starkes Symbol. Als Kölner liebe ich wie alle Kölner den Kölner Dom und es war schon ein wirklich erhebendes Bild gestern, und da bin ich irgendwie auch stolz auf diese Stadt, dass sie das gemacht hat, und das ist ein wirklich starkes Symbol für diese Stadt. Es war ja nicht nur der Kölner Dom, der dunkel war, sondern auch viele andere Gebäude. Nein, ich glaube, gerade wenn man das vergleicht mit der Situation Anfang der 90er-Jahre, wo ja die Flüchtlinge und die Ausländer allein gelassen worden sind von der Politik und von weiten Teilen der Gesellschaft, wo sich Helmut Kohl damals geweigert hat, den Opfern der Gewalt zu kondolieren, auch selbst den Mordopfern zu kondolieren, dann ist das heute eine völlig andere Situation. Denken Sie an die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin, dass die uns alle überrascht hat, aber das waren auch wirklich starke und wichtige Worte. So was bleibt. Und ich wunder mich eher, dass solche Worte und Taten aus der Politik kommen, aus der Gesellschaft kommen, aus den Kirchen kommen, auch gerade aus der Katholischen Kirche kommen, aber die Literaten eher mit etwas anderen Stimmen Aufsehen erregen.
"Ich sehe einen neuen Konsens erwachsen"
Schossig: Die Zahl der Gegendemonstranten war ja sehr, sehr viel größer und dieses kleine versprengte Häufchen der Pegida-Leute kam ja gar nicht in die Altstadt über die Brücken. Auch die waren ja verdunkelt. Was halten Sie von dieser Gegendemonstrationsbewegung? Kann man die überhaupt fassen? Sehen Sie da ein einheitliches Selbstverständnis? Woraus speist sie sich und wie schätzen Sie die ein?
Kermani: Ja, ich denke schon, dass man die irgendwie fassen kann. Das ist schon im besten Sinne bürgerschaftliches Engagement. Es ist ja nicht so, dass diejenigen, die gegen Pegida demonstrieren, keine Sorgen hätten. Das sind Leute, zu denen gehöre auch ich, die voller Sorgen auf den Nahen Osten blicken, die auf die Vertreibung der Jesiden und die Ermordung der Jesiden und der Christen hinweisen, die auf die Gewalt hinweisen und die Gefahr des islamischen Extremismus hinweisen, aber die ganz klar machen, dass wir ja, gerade weil wir gegen diese Gewalt sind, nicht deren Opfer noch ein zweites Mal bestrafen wollen, indem wir uns gegen die Flüchtlinge hetzen, und die an das Selbstverständliche erinnern, nämlich die Opfer der Gewalt aufzunehmen und sich um die zu kümmern. Und da sehe ich schon noch einen neuen Konsens erwachsen, der quer durch die politischen Lager geht, und ich bin da wirklich gar nicht so pessimistisch. Meine Frage ist eher und da bin ich auch unsicher, ob man diesen Pegida-Demonstranten nicht zu viel Aufmerksamkeit gibt, wenn man ständig über sie berichtet. Das ist eine sehr, sehr schwierige Sache, auch wenn wir jetzt darüber sprechen. Auch da habe ich mir vorher Gedanken gemacht, soll man das überhaupt, denn je mehr Aufmerksamkeit man ihnen gibt, desto mehr werden es beim nächsten Mal wieder sein. Aber insgesamt, finde ich, hat die deutsche Gesellschaft und auch die Politik, wenn man jetzt von einigen üblichen Sprachfloskeln auf CSU-Parteitagen absieht, doch sehr souverän und auch ganz klar darauf reagiert.
Schossig: Dieses Wort von der Islamisierung des Abendlandes ist ja eine vollständige Schimäre, meiner Ansicht nach. Es geht weder um eine Islamisierung, noch auf der anderen Seite um eine Verteidigung des Abendlandes. Das sind ja alles uralte Parolen.
Kermani: Dieses Abendland, um das es denen geht, das gibt es gar nicht. Wenn man den Begriff mal aus der Romantik hernimmt, wo er ja zum ersten Mal auftaucht, dann war mit dem Abendland was völlig anderes gemeint. Die Romantiker waren weltoffene Leute, die hatten das nicht als Gegensatz zum Morgenland gemeint, sondern als komplementär. Die haben sich interessiert für den Orient, sie haben gesucht, die waren Europäer, die waren keine Nationalisten. Und ausgerechnet diesen Begriff des Abendlandes, der aus der deutschen Romantik kommt, derart für nationale Zwecke zu missbrauchen, das ist schon ein starkes Stück und das zeigt auch die Geschichtsvergessenheit gerade der intellektuellen Leute, die hinter Pegida stehen.
"Der Katholizismus ist eine internationale Religion"
Schossig: Auf diese Geschichtsvergessenheit wollte ich gerade kommen, Herr Kermani, denn ich habe den Eindruck, dass viele Menschen, vielleicht sogar eine Mehrheit von Europäern, auch von Deutschen sich nicht mehr ihres christlichen Hintergrundes wirklich bewusst sind. Sie kennen zum Teil die christlichen Geschichten, die Bibel, das Alte und auch das Neue Testament nicht mehr. Von daher frage ich mich, woher eigentlich wir heute nehmen können ein Selbstbewusstsein, ein kulturelles Selbstbewusstsein, was, ich sage mal, vergleichbar wäre vielleicht mit jenem Abendlandbegriff, den Sie eben umrissen haben.
Kermani: Ja. Man sieht ja überall, in allen Teilen der Welt, dass Extremismus, Fanatismus, Fundamentalismus, Nationalismus gerade dort entsteht, wo man sich seiner selbst nicht mehr gewiss ist, wo eine Tradition abgebrochen ist. Das kann man genauso für die islamische Welt sagen. Der Fundamentalismus ist da gerade ein Zeichen, dass diese Tradition nicht mehr lebt, sondern dass man sich in ein Konstrukt zurückgreift, das man irgendwie herstellt, aber gerade das ist kein Ausdruck einer Stärke, sondern der Schwäche einer Gesellschaft. Deshalb gerade in Ostdeutschland war ja zu Zeiten der DDR dieser Traditionsbruch noch einmal stärker ausgebildet als im Westen Deutschlands und deshalb sind dort vielleicht auch solche Schwingungen stärker zu spüren als im Westen der Republik.
Schossig: Zurück noch mal nach Köln. Köln ist ja nicht zuletzt auch eine traditionell katholische Stadt. Vielleicht ist gerade auch deswegen der Bürgerwiderstand in Köln relativ gut entwickelt und relativ selbstbewusst.
Kermani: Ja! Man weiß, die Katholiken wissen, der Katholizismus ist eine internationale Religion. Wenn sie fremdenfeindlich sein wollten als Katholik, dann wäre ja die Frage, gegen wen sind sie das. Es hat vor allem damit zu tun, glaube ich, dass wer sich seiner selbst gewiss ist, wer in seiner eigenen Tradition steht, der ist auch viel eher bereit, anderen Traditionen offen und respektvoll gegenüberzustehen. Wenn man sich einigermaßen mit der Geschichte und gerade auch mit der eigenen Geschichte auskennt, wenn man seinen Goethe kennt, wenn man seinen Novalis kennt und wenn man seinen Lessing kennt, dann wird man schon einigermaßen immun sein gegen diese Art von Fremdenfeindlichkeit, und wenn man sein Christentum kennt oder sein Judentum oder den Islam, wenn man in dieser Tradition der Barmherzigkeit groß geworden ist, der Nächstenliebe, dann wird man schon erst recht einem hoffenden Flüchtling und schwachen Menschen und hilfsbedürftigen Menschen einen Platz anbieten, anstatt sie noch zu beschimpfen.
Schossig: Wir lassen den Dom in Köln - der Publizist und Islamwissenschaftler Navid Kermani über den Umgang mit der Pegida-Bewegung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.