Ann-Kathrin Büüsker: Allianzen gegen den Terror sind gerade offenbar schwer en vogue. Die USA führen eine an, die sich konkret gegen IS, den sogenannten Islamischen Staat richtet. An dieser Koalition beteiligt sich auch Deutschland mit dem Einsatz seiner Tornados und seiner Fregatte. Und jetzt gibt es eine weitere Allianz gegen den Terror, vereint von Saudi-Arabien und auch unter der Führung Riads.
Welche Ziele verfolgt Saudi-Arabien damit und was kann diese Koalition erreichen? Darüber möchte ich mit dem Nahost-Experten Michael Lüders sprechen. Guten Tag, Herr Lüders.
Michael Lüders: Schönen guten Tag! Hallo!
Büüsker: Herr Lüders, in all den Gesprächen über Terrorismus, über den sogenannten Islamischen Staat, auch über Syrien, da heißt es immer wieder, eine Lösung muss aus der Region kommen. Haben wir mit dieser Koalition jetzt den ersten Schritt in diese Richtung?
Lüders: Nein, das kann man wohl nicht wirklich behaupten. Saudi-Arabien will eine wichtige Rolle spielen in diesem Krieg in Syrien, der ursprünglich ein Bürgerkrieg war, aber längst ein Stellvertreterkrieg geworden ist mit so vielen Fronten, dass man allmählich die Übersicht verlieren kann. Saudi-Arabien möchte sich positionieren für den Tag danach, falls es gelingt, den Islamischen Staat zu besiegen, oder aber das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen. Aber Saudi-Arabien ist es ja nicht alleine; auch die Türkei, Russland, die USA und andere wollen ebenfalls eine große Rolle spielen. Saudi-Arabien meldet jetzt mit dieser Allianz seinen Führungsanspruch an. Das wird aber nicht zu einer Beruhigung der Lage beitragen, sondern eher zu einer weiteren Spiraldrehung in Richtung größerer Gefahr, dass diese ganze Geschichte aus dem Ruder laufen kann. Und man darf ja auch nicht vergessen: Saudi-Arabien ist ein Land mit einer politisch-religiösen Ordnung, die dem System des Islamischen Staates gar nicht mal so unähnlich ist. Es sind in diesem Jahr mehr Menschen durch das Schwert in Saudi-Arabien hingerichtet worden, als der Islamische Staat geköpft hat. Insoweit macht man hier den Bock zum Gärtner.
"In Wirklichkeit geht es darum, den Kuchen zu verteilen für den Tag danach"
Büüsker: Das heißt, wenn Saudi-Arabien von einer Allianz gegen den Terrorismus spricht, wer oder was ist dann dieser Terrorismus?
Lüders: Das ist mit eines der Probleme. Jede Nation, die hier militärisch aktiv wird in Syrien, bekennt sich zum Kampf gegen den Terror, aber der Begriff wird von verschiedenen Akteuren ganz unterschiedlich genutzt. Zunächst mal muss man sagen, dass die westlichen Staaten, die Türkei und Saudi-Arabien immer das Ziel verfolgt hatten, das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen. Russland und der Iran wollten genau dieses immer verhindern und haben es auch erfolgreich verhindern können, spätestens seit Russland nun seit Ende September militärisch aktiv eingreift in diesen Krieg und Truppen in Syrien stationiert hat. Das hat Saudi-Arabien natürlich als Affront gesehen, ebenso die USA, ebenso die Europäer, auch die Bundesregierung. Alle wollen gemeinsam offiziell den Islamischen Staat bekämpfen, aber in Wirklichkeit geht es darum, den Kuchen zu verteilen für den Tag danach, falls es gelingt, den Islamischen Staat zu besiegen, oder aber das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen.
Büüsker: Sie haben den Iran jetzt ja bereits angesprochen. Der ist nicht Teil dieser Koalition, die Saudi-Arabien ausgerufen hat. Dagegen dabei sind die Türkei, Senegal, Pakistan, Ägypten. Das sind alles Länder, die vornehmlich sunnitisch geprägt sind. Der schiitisch regierte Irak, der schiitische Iran, die sind nicht dabei. Schreibt dann diese sunnitische Koalition, wenn man sie so nennen kann, diesen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten eigentlich weiter?
Lüders: Ja, ganz genau so ist es. Saudi-Arabien verschärft damit den Stellvertreterkrieg, der in Syrien ohnehin schon stattfindet, zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, und natürlich geht es Saudi-Arabien nicht darum, eine gemeinsame islamische Basis zu schaffen im Kampf gegen den Islamischen Staat, sondern man möchte die sunnitischen Staaten unter saudischer Führung vereinen im Kampf gegen den Islamischen Staat, aber auch gegen den Iran, der als schiitische rivalisierende Macht wahrgenommen wird, und man möchte den Einfluss Teherans beschränkt sehen.
"Eine falsche Bewegung eines Akteurs kann das Pulverfass zum Explodieren führen"
Büüsker: Wie kann der Westen jetzt darauf reagieren? Was kann man da tun?
Lüders: Die Reaktionen der westlichen Staaten sind ja zurückhaltend positiv. Auch die Bundesregierung hat es zunächst einmal begrüßt, dass Saudi-Arabien sich hier militärisch engagieren will. Allerdings darf man natürlich wie erwähnt nicht übersehen, dass man mit Saudi-Arabien einen Staat als Bündnispartner hat, dessen Ideologie der des Islamischen Staates sehr ähnlich ist. Den Bock zum Gärtner zu machen, kann eigentlich nicht zielführend sein. Keiner hat im Augenblick einen Plan. Alle Akteure glauben, man könne den Islamischen Staat militärisch besiegen, was aber nicht der Fall sein wird, schon gar nicht durch Luftangriffe allein. Im Luftraum über Syrien herrscht mittlerweile ein solches Durcheinander, dass wahrscheinlich kaum noch jemand durchblickt, wer da eigentlich im Augenblick auf wen schießt, und das ist die Gefährlichkeit der Situation. Saudi-Arabien will sich als Führungsmacht profilieren, die Türkei sieht das gerne, weil sie auf diese Art und Weise gemeinsam mit Saudi-Arabien den Einfluss Russlands zurückdrängen kann, die Amerikaner warten ab, die Europäer auch. Aber eine falsche Bewegung eines Akteurs - und sei es nur der zufällige Abschuss zu einem falschen Moment - kann wirklich dieses Pulverfass zum Explodieren führen, und diese militärische Aktion, die Saudi-Arabien jetzt plant, ist ja eine, der Staaten wie Somalia oder Malediven angehören. Die spielen ja keine Rolle militärisch gesehen. Es ist vor allem die Türkei, die hier militärisch eine Rolle spielt. Kurzum: Es ist eine furchtbar komplizierte Geschichte, die leider dadurch noch komplizierter wird, dass keiner der verantwortungsbewussten Akteure im Westen, aber auch in Russland nicht jenseits von militärischen Dimensionen denkt.
"Es fehlt das ruhige Überlegen in Berlin, in Brüssel, in Washington"
Büüsker: Saudi-Arabien bekommt in teilweise großem Maße Waffen aus Deutschland. Muss Deutschland unter diesen Voraussetzungen die Waffenexporte nach Saudi-Arabien einstellen?
Lüders: Ja die Frage stellt man sich natürlich in der Tat: Muss man ein Land wie Saudi-Arabien mit einem sehr fragwürdigen politischen System militärisch unterstützen? Wahrscheinlich wird man seitens der Bundesregierung sagen, wir tun das ungern, aber es ist sinnvoll, weil es den Islamischen Staat bekämpfen hilft und weil es natürlich auch der deutschen Wirtschaft nützt. Aber es ist trotzdem alles sehr kurzfristig gedacht. Es fehlt der Masterplan. Es fehlt das ruhige Überlegen in Berlin, in Brüssel, in Washington, in den westlichen Hauptstädten. Man müsste eigentlich mal sich zurücklehnen, einen Gang zurückschalten, sich gemeinsam mit Russland und dem Iran eine Strategie überlegen. Das geschieht nicht. Wir erleben seit Wochen einen unglaublichen Aktionismus. Die Ereignisse überschlagen sich ja geradezu im Himmel über Syrien und das ist gefährlich, wenn dahinter keine wirkliche Strategie steht, denn die gibt es im Augenblick nicht. Jeder möchte diese Beute Syrien unter sich verteilen, bevor es zu spät ist. Alle Akteure wollen ihre Duftmarke setzen, egal was die Syrer wollen oder nicht wollen. Das spielt mittlerweile überhaupt gar keine Rolle mehr.
Büüsker: Der Nahost-Experte Michael Lüders im Deutschlandfunk. Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.