Auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg sitzt ein ergrauter Herr auf einem Stuhl und spricht über das Weltklima. Er trägt ein Tweedjackett, der Pullover darunter spannt über einem Wohlstandsbäuchlein. Der Mann ist kein Schauspieler, sondern tatsächlich ein renommierter Klimawissenschaftler: Chris Rapley erforscht seit über 30 Jahren die Erderwärmung, er war Leiter internationaler Forschungsprojekte zum Thema und Direktor des traditionsreichen Londoner Wissenschaftsmuseums. Im Wissenschaftsbetrieb ist er eine Ausnahmeerscheinung, denn die Vermittlung seiner Erkenntnisse an Laien war ihm immer schon so wichtig wie seine Forschung:
"Ich finde es wichtig, dass Wissenschaftler neue Wege beschreiten, um die Ergebnisse ihrer Arbeit unter die Leute zu bringen. Normalerweise halten wir Vorträge, die sehr akademisch aufgebaut sind und sich ausschließlich an Wissenschaftler richten. Im Theater kann man auch eine persönliche Geschichte erzählen und hat nicht all die Kollegen im Publikum sitzen, die auf den strengen Regeln eines wissenschaftlichen Vortrags bestehen."
Rapley folgt seiner Mission
"2071" heißt das Stück, in dem Rapley seine persönliche Forschergeschichte erzählt: Von seiner kindlichen Begeisterung für die Antarktis, von der große Bereiche in seinem Kinderatlas markiert waren als von Menschen unerforschtes Gebiet, bis zu seinem ersten Flug über das bereits zerbrechende Schelfeis.
Doch Rapley erzählt an diesem Abend gar nicht so viel über sich, er folgt vor allem seiner Mission: Das Publikum davon zu überzeugen, dass die derzeit so schnell voranschreitende Erderwärmung von uns Menschen gemacht ist:
"In Deutschland ist das vielleicht weniger der Fall, aber in den englischsprachigen Ländern wird noch sehr darüber gestritten, ob die Lage so ernst ist wie die Klimawissenschaftler behaupten."
Dass man ein deutsches Publikum vom Ernst der Lage nicht mehr so sehr überzeugen muss, ist aber wohl nur ein Grund, dass Rapley im größten deutschen Sprechtheater vor leeren Rängen doziert, nur das Parkett ist gut besetzt. Um einen Mann, Typ freundlicher Wissenschaftsonkel, auf einem Stuhl sitzen zu sehen und sich belehren zu lassen, geht man eben nicht ins Theater.
Anti-Theater vor leeren Rängen
Auf dem schwarzen Bühnenhintergrund werden weiße Pfeile, Diagramme und jede Menge Zahlen mehr illustrierend als erklärend ein- und ausgeblendet, von einem dezenten Ambient-Soundtrack unterlegt - im Fernsehen gibt es dafür den treffenden Begriff "Infotainment".
"Viele Theaterbesucher sind eher schockiert, denn was wir machen, ist Anti-Theater. Wir behaupten ja auch nicht, dass ich ein Schauspieler sei. Das bin ich nicht."
Dass Chris Rapley kein Schauspieler ist, kann man ihm nicht vorwerfen, an seiner Bühnenwirkung muss sich die Aufführung aber doch messen lassen. Seinen 70-minütigen Text liest Rapley von einem Teleprompter ab, und so ist noch nicht einmal etwas von seiner persönlichen Verbindung zum Thema zu spüren. Nicht die Aufführung, alleine der Inhalt ist es, der über Strecken fasziniert.
Das Theater verleugnet sich selbst
Tatsächlich gibt es immer wieder Momente, in denen hinter den vielen Zahlen auch die ästhetische Schönheit von Rapleys Forschungsthema aufscheint. Doch dass hier mit Duncan Macmillan ein Dramatiker, mit Katie Mitchell eine äußerst renommierte Regisseurin am Werk waren, merkt man in keiner Sekunde des Abends.
"Wenn diejenigen von uns, die an eine bessere Zukunft glauben, nicht aufstehen und darüber sprechen, wer wird das sonst tun? Nach den ersten Aufführungen des Stücks in London hat der Observer, eine der größten britischen Zeitungen, Duncan Macmillan und mich um einen langen Artikel zum Thema gebeten. Und das hat natürlich noch einmal ein ganz anderes Publikum erreicht als das Theaterstück."
Der Zweck heiligt also die ästhetischen Mittel? Dem Klimaforscher Rapley kann man keinen Vorwurf machen, aber man kann von einem Theater enttäuscht sein, das sich im vermeintlichen Dienst an einer größeren Sache selbst verleugnet.