Mit einer Antibiotikaresistenz verhält es sich für Bakterien ähnlich wie mit einem Weltraumanzug für uns Menschen. Ist man auf dem Mond unterwegs, ist so ein Schutzanzug überlebenswichtig. Auf der Erde aber wird man nur langsamer, wenn man ihn mit sich herumschleppt. Auch eine Resistenz gegen Antibiotika hilft Bakterien nur dort, wo diese Medikamente häufig eingesetzt werden wie beispielsweise im Krankenhaus. Doch geraten die Keime in eine Konkurrenzsituation mit anderen Bakterien, ist der genetische Ballast, den Antibiotikaresistenzen mit sich bringen, plötzlich ein Nachteil. Das haben Michael Gilmore und seine Kollegen von der Harvard Medical School in Boston beobachtet, als sie multiresistente "Enterococcus"-Bakterien mit nahen Verwandten zusammenbrachten. Diese leben natürlicherweise im menschlichen Darm und sind es gewohnt, sich mit anderen Keimen um Platz und Nahrung zu streiten.
"Wir haben beobachtet, dass multiresistente Bakterienstämme nicht überleben, wenn wir sie mit nicht-resistenten Enterococcus-Stämmen zusammenbringen. Bakterien leben in einem ständigen Konkurrenzkampf mit anderen Keimen, sie schaffen deshalb alle Eigenschaften ab, die für sie nicht nützlich sind. Antibiotika-resistente Keime mögen im Krankenhaus einen enormen Vorteil haben. Doch wenn wir sie in eine Konkurrenzsituation mit anderen Keimen bringen, sind sie plötzlich nicht mehr überlebensfähig, weil ihre Resistenzen in dieser Situation keinen Vorteil mehr bringen."
Überlebenskampf mit Duftstoffen
Offenbar sind die körpereigenen Enterococcus-Bakterien aber nicht nur in der Lage, die resistenten Krankenhauskeime zu übervorteilen: Sie bringen ihre Verwandten auch dazu, sich selber umzubringen. Dafür verantwortlich sind Pheromone, die Darmbakterien aussondern, um mit anderen Mikroben zu kommunizieren. Diese chemischen Botenstoffe richten offenbar eine Art genetisches Chaos in den resistenten Bakterien an. Dieses führt zum Selbstmord der Zellen.
"Diese Pheromone aktivieren Erbinformationen, die auf sogenannten Plasmiden liegen. Das sind DNA-Einheiten, die Bakterien untereinander austauschen können. Multiresistente Bakterienstämme haben sehr viele dieser Plasmide angehäuft und wir vermuten, dass diese Erbinformationen ziemlich chaotisch angeordnet sind. Sie sind auch nicht mit anderen DNA-Einheiten kompatibel. Daher können die multiresistenten Keime zerstört werden, wenn andere Darmbakterien angesammelte DNA-Einheiten in ihnen aktivieren."
Michael Gilmore und seine Kollegen vermuten, dass neben den nun untersuchten resistenten Enterococcus-Stämmen auch andere Krankenhauskeime von konkurrenzerprobten Darmbakterien übervorteilt werden. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass resistente Bakterien im Körper eines gesunden Menschen keine Überlebenschancen haben - zumindest solange seine körpereigene Bakterienflora nicht durch Antibiotika gestört ist. Deshalb sei es genau der falsche Weg, Patienten vor Krankenhauskeimen schützen zu wollen, indem man ihnen prophylaktisch Antibiotika verabreicht. Gilmore:
"All diese Krankenhauskeime sind in einer stark vom Menschen gestörten Umgebung entstanden, in der Patienten massiv mit Antibiotika behandelt werden. Doch wenn die natürlicherweise im Darm vorkommenden Bakterien ausradiert werden, können sich diese Patienten nicht mehr gegen Krankenhauskeime wehren. Ich denke deshalb, dass wir die natürlichen Bakterien erhalten und unterstützen sollten, während wir Infektionen mit Medikamenten behandeln, die gezielt nur die Krankheitserreger angreifen."
Nicht mehr mit Kanonen auf Spatzen schießen
Eine solche Strategie hätte nicht nur den Vorteil, dass Patienten im Krankenhaus durch ihre eigene Darmflora vor einer schweren Infektion mit multiresistenten Keimen geschützt wären. Sie würde auch verhindern, dass Antibiotika schon nach wenigen Jahren wirkungslos werden.
"Momentan können wir ein neues Antibiotikum etwa fünf bis zehn Jahre einsetzen, dann ist es wirkungslos, weil Resistenzen auftreten. Je mehr Bakterien so ein Medikament angreift, umso schneller passiert das. Wenn wir anstelle von Breitspektrumantibiotika Medikamente einsetzen, die nur gegen eine Handvoll Bakterien wirken, können wir die Lebensdauer dieser Medikamente um ein vielfaches verlängern."
Doch um solche Medikamente verlässlich einsetzen zu können, müssten Ärzte zunächst ihre Diagnostik verbessern. Denn nur wenn klar ist, welcher Krankheitserreger eine Infektion verursacht hat, kann auch ein spezifisches Medikament verabreicht werden.