Beatrix Novy: Wahrscheinlich hat es wieder viel geregnet. Wenn er nicht schon vorher Depressionen gehabt hätte im Bergischen Land, hätte er sie bekommen. Das sagte Lars von Trier in Cannes gestern.
Das Drehen im Bergischen Land war der Preis dafür, dass die Filmstiftung NRW von Triers neuesten Film "Antichrist" förderte. Dieser Film hat gerade beim Festival in Cannes erheblichen Aufruhr verursacht. Das muss uns nun Christoph Schmitz erklären.
Christoph Schmitz: Ja, es war wirklich ein Skandal. Die abgebrühten Filmkritiker haben sich gestern Abend wirklich nicht verteidigen können bei der Pressevorführung. Nach der Vorstellung gab es absolutes Schweigen, Rumoren, Buhrufe, kleine Applause rechts und links, aber insgesamt absolute Ratlosigkeit und auch noch danach mehrere Stunden vor dem Festspielhaus. Das habe ich in den fünf Tagen hier und in den letzten vier Jahren so noch nicht erlebt.
Novy: Was war denn das Schockierende, worum geht es in diesem Film denn?
Schmitz: Ja, es beginnt ganz harmlos. Ein Paar liebt sich, sogar sehr schöne Bilder, Schwarz-Weiß-Bilder in Zeitlupe, mit einem wunderbaren Regen, der da über die Körper gleitet - oder ein Duschregen besser gesagt. Und zur gleichen Zeit sieht man, wie ein Kind aus dem Bett aussteigt und ans Fenster tritt, das Fenster öffnet und hinausfällt. Also der Tod des Kindes ist das tragische Moment. Am Anfang, die Mutter ist wie gelähmt, depressiv. Sie kommt nur sehr langsam wieder zur Ruhe.
Die beiden, das Ehepaar beschließt, sich in eine Waldhütte zurückzuziehen. Und er ist Psychiater und versucht mit einer kognitiven Methode, also mit einer therapeutischen Methode, ihr wieder das Vertrauen in die Welt zurückzugeben, was auch gelingt. Aber dann schlägt das plötzlich um in furchtbare Gewalt. Sie zertrümmert mit einem Holzklotz seine Hoden beim Liebesakt, er ejakuliert Blut, dann durchbohrt sie mit einem Bohrer seinen Unterschenkel und schraubt daran einen Mühlstein, einen Wetzstein, einen Schleifstein. Und das eskaliert weiter mit ganz furchtbaren Nahaufnahmen. Und irgendwann erwürgt er sie und verbrennt sie auf dem Scheiterhaufen und geht von dannen. Und von unten strömen viele Frauen den Hang hinauf im Nebel und gehen zu diesem Scheiterhaufen - auf den Blocksberg, fragt man sich -, und so endet dann der Film.
Novy: Das kann man sich natürlich vorstellen, dass das die Leute ratlos gelassen hat. Man weiß von Lars von Trier, dass er depressiv ist, dass Film für ihn auch das Therapeutische bedeutet.
Es ist also wahrscheinlich auch ein Film aus dem therapeutischen Genre sozusagen, auch das Motiv der gegenseitigen Zerstörung in der Intimität: eigentlich nicht neu. Aber man fragt sich natürlich, wie kann man das deuten in diesem Zusammenhang, auch mit dem Werk des Regisseurs.
Schmitz: Na ja, zuerst mal unabhängig von seiner Person kann man es sicher deuten als eine Phantasmagorie der Angst, des Schreckens, des Bösen. Es gibt einen markanten Satz in diesem Film, da sagt die Frau, dass die Natur, die sie umgibt in diesem sehr tiefen, sehr interessanten, finsteren Wald, eine Kirche des Satans sei. Also das Leben ist dem Tod immer verfallen.
Lars von Trier selbst gab heute in der Pressekonferenz, in der er sehr bedrängt wurde von den Journalisten mit einer sehr aggressiven Stimmung auch eine Antwort auf die Frage, warum er denn gerade diesen Film gewählt habe. Und er sagte dann Folgendes:
O-Ton Lars von Trier (engl.)
Schmitz: Also er sagt, dass er nie eine Wahlmöglichkeit gehabt habe, es sei die Hand Gottes, die da reingespielt habe. Außerdem sei er der beste Filmemacher der Welt. "Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Gott auch der beste Gott in dieser Welt ist", sagt er dann weiter. Und dann kommt ein sehr wichtiger Satz. Der Film hat seinen Ursprung in einer Depression, unter der ich, weiter Zitat Lars von Trier, "unter der ich litt. Um wieder auf die Beine zu kommen, musste ich genau diesen Film drehen."
Das weiß man von ihm, das hat er öffentlich bekannt, dass er zwei Jahre lang unter einer schweren Depression litt, und das hat er mit einer kognitiven Therapie therapiert. Das ist auch genau die Therapie, die der Psychiater in dem Film an seiner Frau anwendet. Das Verrückte natürlich jetzt an dem Film, das macht den Skandal aus, ist, dass das rationale Verfahren überhaupt nicht greift. Und hier kommt man natürlich jetzt so in einen Deutungszirkel hinein, dass man sagen muss irgendwann, das Böse, der Antichrist, kehrt wieder zurück. ´
Hier kommt eine Naturkraft in die Welt hinein, eine kosmische Kraft müsste man sagen, und Trier liest nun seine persönliche Depression in den biblischen Text des Antichristen hinein, in die Apokalypse der Johannes-Offenbarung.
Novy: Das ist eigentlich von seinem Werk, das, was man von ihm vorher kannte, auch nicht so weit entfernt, oder?
Schmitz: Ja, sehr weit eigentlich. Es ist die andere Seite seiner bisherigen Entwicklung. Wenn man sich daran erinnert, dass er vor etwa zehn Jahren "Braking the Waves" gefilmt hat - Sie wissen vielleicht, Frau Novy, dass dort eine Frau durch ihr Sterben ihren Geliebten, ihren Geliebten, ihren Mann rettet. Und am Ende dieser Rettung, der Mann wird wieder auferweckt aus einem Koma, läuten am Himmel Glocken. Man sieht also Glocken im Himmel.
Also wie da in diesem Film das Heilige eigentlich als Erzählkraft sichtbar gemacht wird, so wird hier im "Antichrist" das Böse als Erzählkraft sichtbar gemacht. Und das ist auch der Tabubruch, dass in die Kunst-Moderne, in die Gegenwartskunst Lars von Trier eine transzendente Bildsprache in diesem säkularen Kunstdiskurs hineinbringt. Und das funktioniert anscheinend als Skandal.
Novy: Das Neueste aus Cannes brachte Christoph Schmitz.
Das Drehen im Bergischen Land war der Preis dafür, dass die Filmstiftung NRW von Triers neuesten Film "Antichrist" förderte. Dieser Film hat gerade beim Festival in Cannes erheblichen Aufruhr verursacht. Das muss uns nun Christoph Schmitz erklären.
Christoph Schmitz: Ja, es war wirklich ein Skandal. Die abgebrühten Filmkritiker haben sich gestern Abend wirklich nicht verteidigen können bei der Pressevorführung. Nach der Vorstellung gab es absolutes Schweigen, Rumoren, Buhrufe, kleine Applause rechts und links, aber insgesamt absolute Ratlosigkeit und auch noch danach mehrere Stunden vor dem Festspielhaus. Das habe ich in den fünf Tagen hier und in den letzten vier Jahren so noch nicht erlebt.
Novy: Was war denn das Schockierende, worum geht es in diesem Film denn?
Schmitz: Ja, es beginnt ganz harmlos. Ein Paar liebt sich, sogar sehr schöne Bilder, Schwarz-Weiß-Bilder in Zeitlupe, mit einem wunderbaren Regen, der da über die Körper gleitet - oder ein Duschregen besser gesagt. Und zur gleichen Zeit sieht man, wie ein Kind aus dem Bett aussteigt und ans Fenster tritt, das Fenster öffnet und hinausfällt. Also der Tod des Kindes ist das tragische Moment. Am Anfang, die Mutter ist wie gelähmt, depressiv. Sie kommt nur sehr langsam wieder zur Ruhe.
Die beiden, das Ehepaar beschließt, sich in eine Waldhütte zurückzuziehen. Und er ist Psychiater und versucht mit einer kognitiven Methode, also mit einer therapeutischen Methode, ihr wieder das Vertrauen in die Welt zurückzugeben, was auch gelingt. Aber dann schlägt das plötzlich um in furchtbare Gewalt. Sie zertrümmert mit einem Holzklotz seine Hoden beim Liebesakt, er ejakuliert Blut, dann durchbohrt sie mit einem Bohrer seinen Unterschenkel und schraubt daran einen Mühlstein, einen Wetzstein, einen Schleifstein. Und das eskaliert weiter mit ganz furchtbaren Nahaufnahmen. Und irgendwann erwürgt er sie und verbrennt sie auf dem Scheiterhaufen und geht von dannen. Und von unten strömen viele Frauen den Hang hinauf im Nebel und gehen zu diesem Scheiterhaufen - auf den Blocksberg, fragt man sich -, und so endet dann der Film.
Novy: Das kann man sich natürlich vorstellen, dass das die Leute ratlos gelassen hat. Man weiß von Lars von Trier, dass er depressiv ist, dass Film für ihn auch das Therapeutische bedeutet.
Es ist also wahrscheinlich auch ein Film aus dem therapeutischen Genre sozusagen, auch das Motiv der gegenseitigen Zerstörung in der Intimität: eigentlich nicht neu. Aber man fragt sich natürlich, wie kann man das deuten in diesem Zusammenhang, auch mit dem Werk des Regisseurs.
Schmitz: Na ja, zuerst mal unabhängig von seiner Person kann man es sicher deuten als eine Phantasmagorie der Angst, des Schreckens, des Bösen. Es gibt einen markanten Satz in diesem Film, da sagt die Frau, dass die Natur, die sie umgibt in diesem sehr tiefen, sehr interessanten, finsteren Wald, eine Kirche des Satans sei. Also das Leben ist dem Tod immer verfallen.
Lars von Trier selbst gab heute in der Pressekonferenz, in der er sehr bedrängt wurde von den Journalisten mit einer sehr aggressiven Stimmung auch eine Antwort auf die Frage, warum er denn gerade diesen Film gewählt habe. Und er sagte dann Folgendes:
O-Ton Lars von Trier (engl.)
Schmitz: Also er sagt, dass er nie eine Wahlmöglichkeit gehabt habe, es sei die Hand Gottes, die da reingespielt habe. Außerdem sei er der beste Filmemacher der Welt. "Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Gott auch der beste Gott in dieser Welt ist", sagt er dann weiter. Und dann kommt ein sehr wichtiger Satz. Der Film hat seinen Ursprung in einer Depression, unter der ich, weiter Zitat Lars von Trier, "unter der ich litt. Um wieder auf die Beine zu kommen, musste ich genau diesen Film drehen."
Das weiß man von ihm, das hat er öffentlich bekannt, dass er zwei Jahre lang unter einer schweren Depression litt, und das hat er mit einer kognitiven Therapie therapiert. Das ist auch genau die Therapie, die der Psychiater in dem Film an seiner Frau anwendet. Das Verrückte natürlich jetzt an dem Film, das macht den Skandal aus, ist, dass das rationale Verfahren überhaupt nicht greift. Und hier kommt man natürlich jetzt so in einen Deutungszirkel hinein, dass man sagen muss irgendwann, das Böse, der Antichrist, kehrt wieder zurück. ´
Hier kommt eine Naturkraft in die Welt hinein, eine kosmische Kraft müsste man sagen, und Trier liest nun seine persönliche Depression in den biblischen Text des Antichristen hinein, in die Apokalypse der Johannes-Offenbarung.
Novy: Das ist eigentlich von seinem Werk, das, was man von ihm vorher kannte, auch nicht so weit entfernt, oder?
Schmitz: Ja, sehr weit eigentlich. Es ist die andere Seite seiner bisherigen Entwicklung. Wenn man sich daran erinnert, dass er vor etwa zehn Jahren "Braking the Waves" gefilmt hat - Sie wissen vielleicht, Frau Novy, dass dort eine Frau durch ihr Sterben ihren Geliebten, ihren Geliebten, ihren Mann rettet. Und am Ende dieser Rettung, der Mann wird wieder auferweckt aus einem Koma, läuten am Himmel Glocken. Man sieht also Glocken im Himmel.
Also wie da in diesem Film das Heilige eigentlich als Erzählkraft sichtbar gemacht wird, so wird hier im "Antichrist" das Böse als Erzählkraft sichtbar gemacht. Und das ist auch der Tabubruch, dass in die Kunst-Moderne, in die Gegenwartskunst Lars von Trier eine transzendente Bildsprache in diesem säkularen Kunstdiskurs hineinbringt. Und das funktioniert anscheinend als Skandal.
Novy: Das Neueste aus Cannes brachte Christoph Schmitz.