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Antiisraelische Demonstrationen
"Reaktion auf Nichtintegration"

Der Generalsekretär der Evangelischen Akademien Deutschland, Klaus Holz, sieht in gescheiterter Integration eine Ursache für muslimischen Antisemitismus in Deutschland. Wer sich in Deutschland nicht beheimatet fühle, entwickele häufig eine oppositionelle und radikale Identität seines Heimatlandes, sagte er im DLF.

Klaus Holz im Gespräch mit Christoph Schmitz |
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    Teilnehmer einer pro-palästinensischen Kundgebung demonstrieren am 21.07.2014 vor der Israelischen Botschaft in Berlin. (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Christoph Schmitz: "Jude, Jude, feiges Schwein" - solche Parolen waren am Wochenende in mehreren deutschen Städten skandiert worden bei Demonstrationen gegen den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen. "Kindermörder Israel" riefen die Demonstranten zudem, oft junge Leute vornehmlich mit Migrationshintergrund. Paris befürchtet gar eine Intifada auf französischem Boden. Ein jüdisches Wohnviertel war von radikalen Demonstranten schwer beschädigt worden. Muslimischer Antisemitismus zeigte sich in Deutschland erstmals im Oktober 2000, als Jugendliche einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf verübten. Kurz darauf griffen demonstrierende Libanesen eine alte Essener Synagoge an. Attacken, Beschimpfungen mit judenfeindlichen Inhalten sind seit gut zehn Jahren unter Zuwanderern zu beobachten, heißt es in der Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung. Im August 2012 wurde in Berlin ein Rabbiner am helllichten Tag zusammengeschlagen.
    Ein Buch über islamistische Judenfeindschaft hat Klaus Holz geschrieben. Er ist Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland. Klaus Holz habe ich gefragt: Stammen die antisemitischen Parolen der letzten Tage wirklich aus einer Ideologie, oder sind es doch nur unreflektierte rhetorische Strategien, die vor allem provozieren wollen?
    Klaus Holz: Ich denke, dass es beides natürlich geben wird. Da muss man im Einzelnen, glaube ich, genau hingucken. Aber was, glaube ich, schon der wichtige Punkt zunächst ist: Ich glaube nicht, dass man da zweier Meinung sein kann, dass es tatsächlich im Moment, was sich auf den Straßen in bestimmten Demonstrationen ausdrückt, im vollen und ungeschmälerten Sinne ganz klar Antisemitismus ist und dass es nicht irgendeine aufgesetzte Rhetorik oder Provokationsstrategie oder dergleichen ist. Leider nicht. Das wäre ja weniger schlimm, schlimm genug, aber weniger schlimm, aber ich glaube, an der Stelle kann man sich das nicht schön reden. Dass es dann auch Mitläufer gibt und dergleichen, wird es wie bei allem auch geben, aber ich glaube, das ist nicht das eigentliche Problem.
    "Reaktion auf Nichtintegration"
    Schmitz: Woher kommt dieser muslimische Antisemitismus, der sich jetzt in deutschen Großstädten, aber auch in Frankreich sehr gewaltsam gezeigt hat? Wo liegen die ideologischen Wurzeln? Woher kommt diese Haltung?
    Holz: Diese Haltung - da wäre ich auch schon vorsichtig mit der Bezeichnung, das einfach als muslimisch oder islamisch zu titulieren. Aber man kann doch relativ klar sagen, dass das in den radikalen Formen des Islam vorkommt, das was man Islamismus nennt. Dort ist der Antisemitismus seit jetzt etwa 100 Jahren, knapp 100 Jahren wirklich beheimatet und zunehmend auch gewachsen und verbreitet worden.
    Ich vermute, dass Sie die Frage eher in die Richtung stellen, warum in Deutschland, warum bei Menschen mit Migrationshintergrund aus dem muslimischen Bereich jetzt in Deutschland solche Demonstrationen verursachen. Ich denke, dass man dort sehen muss, dass es Prozesse sind, warum diese Menschen in Deutschland sich so eine Identität selbst verschaffen, warum sie sich als Islamisten verstehen und definieren. Und das ist in Teilen jedenfalls auch eine Reaktion auf die Nichtintegration von Einwanderern in die Bundesrepublik oder in Frankreich, die solche Radikalisierungsprozesse mit anstacheln. Das ist dann der fruchtbare Boden, auf dem insbesondere junge Leute sich umgucken und nach einer anderen Identität, nach einer scheinbar oppositionellen Identität gegen dieses Einwanderungsland suchen und sich dann als Muslime oder meinetwegen auch als Türke oder als was auch immer, auch als Russe oder dergleichen selbst verstehen, weil sie sich hier nicht angenommen, anerkannt, beheimatet fühlen.
    Schmitz: Ist der jugendliche Antisemitismus unter den Deutschen mit Migrationshintergrund weit verbreitet?
    Holz: Wir haben darüber ein gewisses Maß auch an Statistiken und Zahlen. Weit verbreitet, würde ich sagen, geht ein wenig weit oder ist ein wenig hart in der Formulierung, aber wir haben eine tatsächlich auch quantitativ relevante Anzahl von Antisemiten in dieser Personengruppe Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit islamischer Glaubensüberzeugung. Ja, haben wir.
    Schmitz: Die Frage ist, wie geht man damit um. Muss man den jungen Leuten sagen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, ja, der Islam gehört zu Deutschland, aber nicht der islamische Antisemitismus?
    Holz: Ja, wobei ich das ein ganz klein wenig anders sagen würde. Ich würde selbstverständlich sagen, der Islam gehört zu Deutschland. Der Antisemitismus gehört auch zu Deutschland, aber wir wollen ihn nicht mehr, ganz egal welcher Prägung, ob der rechtsextrem ist, ob der von Deutschen ohne Migrationshintergrund oder mit Migrationshintergrund vertreten ist, wir wollen ihn weder in dieser, noch in jener Variante.
    "Im Bildungsbereich stärker um solche Fragen kümmern"
    Schmitz: Wo kommt denn diese Ideologie her? Gibt es Ideologen in den arabischen Ländern oder wo auch immer, die die jungen Menschen befeuern in Deutschland, in Frankreich, oder kommt das aus den Städten hier selbst?
    Holz: Nein, es gibt beides. Wir haben die Ideologen in unseren Städten, wir haben die Ideologen im Internet, die dann oft in bestimmten Ländern sitzen, weil das aus strafrechtlichen Gründen, ähnlich wie im Rechtsextremismus, in bestimmten Ländern leichter fällt. Wir haben sie natürlich auch in arabischen oder muslimischen Ländern. Es gibt da sehr wohl Strippenzieher, Ideologen, Vordenker. Seit 90 Jahren kann man das im Grunde relativ deutlich sagen. Das haben wir und das beeinflusst natürlich auch Jugendliche und Erwachsene.
    Schmitz: Aber was jetzt tun? Diese Internetseiten kann man nicht abschalten. Prävention?
    Holz: Ja! Es ist ein sehr, sehr mühsames Arbeiten daran. Man kann das nicht einfach mit kurzfristigen Maßnahmen beheben. Kurzfristig kann die Polizei auf einer Demonstration agieren. Das geht vielleicht. Aber wenn man da wirklich verringern will die Zahl der Antisemiten, dann muss man langfristig arbeiten, und ich denke dabei insbesondere - es gibt keine anderen Vorgehensweisen -, wir müssen uns vor allem im Bildungsbereich stärker um solche Fragen kümmern und wir dürfen das auch nicht alles der Schule überlassen. Die Schule kann nicht alle Probleme dieser Welt lösen. Wir müssen mit diesen Gruppen zuverlässig und dauerhaft arbeiten und das tun wir viel zu wenig.
    Schmitz: Klaus Holz über die Hintergründe der antisemitischen Demonstrationen und Übergriffe am vergangenen Wochenende in Deutschland und Frankreich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.