Archiv

Antisemitische Übergriffe
"Die Ängste sind berechtigt"

In manchen Gegenden sollten Juden besser ohne Kippa auf die Straße gehen, warnt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Der Zentralrat der Muslime zeigt Verständnis und schlägt eine Allianz vor.

    Eine junge Frau mit Kippa nimmt am Samstag (15.09.2012) in Berlin an einer Demonstration teil. Der Kippa-Spaziergang, zu dem im Internet aufgerufen worden war, sollte ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und fand auch anlässlich des bevorstehenden jüdischen Festes Rosch ha-Schana (jüdischer Neujahrstag) statt.
    Schuster: Es ist gefährlich, in überwiegend von Muslimen bewohnten Vierteln die Kippa zu tragen. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Das Schicksal von Daniel Alter sorgte im Sommer 2012 für Empörung weltweit: Der Berliner Rabbiner wurde vor den Augen seiner Tochter im Berliner Stadtteil Schöneberg zusammengeschlagen, weil er sich als Jude zu erkennen gab. Die Täter waren mutmaßlich arabisch-türkische Jugendliche – bis heute sind sie nicht gefasst. Später sprach Alter von "No-Go-Areas für Juden" in bestimmten Vierteln Berlins.
    Für Josef Schuster, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, hat sich daran auch fast drei Jahre später wenig geändert. Es sei noch immer gefährlich, in überwiegend von Muslimen bewohnten Vierteln einiger Städte die Kippa, die traditionelle jüdische Kopfbedeckung, zu tragen. Solche Gegenden gebe es "wohl speziell" in Berlin, aber nicht nur dort. Der in Würzburg lebende Schuster sprach gestern im rbb-Inforadio von einer "erschreckenden Entwicklung". Gleichzeitig betont er, Juden sollten sich nicht aus Angst verstecken, die meisten jüdischen Einrichtungen seien gut gesichert.
    Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, äußerte Verständnis für die Ängste der Juden in Deutschland. Diese Ängste seien berechtigt, sagte er der "Berliner Zeitung". Für den ZMD nahm Mazyek jedoch in Anspruch, sich in aller Klarheit von den Übergriffen muslimischer Jugendlicher auf Juden distanziert zu haben. In einer Zeit, in der auch die Islamfeindlichkeit zunehme, plädiere er dafür, den antisemitischen und antimuslimischen Strömungen gemeinsam entgegenzutreten.
    Maas: Juden müssen sich zu ihrer Religion bekennen können
    Juden sollten sich niemals wieder in Deutschland verstecken müssen, Deutschland müsse dafür sorgen, dass sie sich frei von jeder Angst zu ihrer Religion bekennen können, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas im "Tagesspiegel" von Samstag. Das hatte er bereits nach den Anschlägen von Kopenhagen versichert – nachdem der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an die europäischen Juden appelliert hatte, nach Israel auszuwandern.
    Diesen Aufruf wiederholte Israels Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, gestern Abend bei einem israelisch-deutschen Jugendkongress in Berlin zwar nicht. Aber auch er sprach von Judenfeindlichkeit, gegen die sich Deutschland wehren müsse. Antisemitismus komme heute häufig im Gewand der Israelkritik daher. Israel werde offensichtlich mit anderen Maßstäben gemessen als andere Länder, ergänzte dazu der Zentralratsvorsitzende Schuster. Er warnte Journalisten vor einer "Schlussstrichmentalität" und warnte "vermeintliche Gutmenschen", die sich für Palästinenser einsetzen.
    (bor/nin)