Der Staat müsse deshalb konsequent gegen jede Form von Antisemitismus einschreiten, "auch angesichts der Geschichte unseres Landes", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, im Deutschlandfunk. Hetze gegen Juden sei "eine Belastung für unser ganzes Land, und das schädigt das Ansehen Deutschlands in der Welt und nicht nur in Israel oder in Amerika, das traditionell Israel politisch sehr nahesteht".
"Das Recht auf Meinungsfreiheit wolle niemand einschränken, aber dieses Recht ist auch nicht schrankenlos", sagte Bosbach. Die Polizei dürfe sich jedoch nicht scheuen, bei Verstößen einzugreifen. Dies sei eine Frage der Verhältnismäßigkeit.
Der CDU-Politiker sagte, dass Deutschland mit der Zuwanderung islamistischen "Antisemitismus importiere". Dieser gehe "eine unheilige Koalition ein mit Teilen der politischen Linken und mit Neonazis in Deutschland". "Wenn daraus dann auch noch Gewalt resultiert, die sich entlädt gegen die Juden im Allgemeinen, oder gegen bestimmte, die man sogar verfolgt und angreift auf der Straße, dann ist die Grenze dessen, was ein Rechtsstaat tolerieren kann, weit überschritten."
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Hetze gegen Juden mitten in Berlin – undenkbar. Stimmt nicht: Doch denkbar. Schlimmer noch: Gerade passiert und heute vielleicht schon wieder. Denn heute werden abermals Demonstranten anlässlich des sogenannten Al-Quds-Tages durch Berlin und durch andere Städte ziehen. Alle Jahre wieder machen islamistische Gruppen am Ende des Fastenmonats Ramadan auf die Besetzung Jerusalems durch Israel aufmerksam. Und dass dies kein versöhnliches Ereignis ist, das zeigt allein der Blick auf den Erfinder dieses Gedenktages. 1979 rief Irans Ajatollah Chomeini den Al-Quds-Tag ins Leben, seither gern garniert mit Vernichtungsdrohungen gegen Israel.Wolfgang Bosbach ist am Telefon (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.
Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Bosbach, wie sollte die Polizei reagieren, wenn heute wieder gegen Juden gehetzt wird?
Bosbach: Nach den bitteren Erfahrungen der letzten Tage gehe ich davon aus, dass die Polizei diesmal konsequent einschreiten wird, dass sie das nicht dulden wird. Selbstverständlich wird jeder Einsatzleiter genau überlegen: Was bewirke ich in dem Moment, wenn ich eingreife? Da spielt natürlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das ja auch zum Rechtsstaat gehört, eine große Rolle. Aber dass Polizeieinsatzkräfte noch einmal daneben stehen, wenn gegen Juden gehetzt wird, das kann ich mir nicht vorstellen.
Heinemann: Wie konnte das passieren?
Bosbach: Wahrscheinlich war es die Überlegung, wenn die Polizei jetzt eingreift, dass es dann zu einer Eskalation kommt. Es ist schwer, im Wege der Ferndiagnose beurteilen zu können, zumindest seriös beurteilen zu können, warum sich Einsatzleiter in welcher Situation wie verhalten haben, wenn man nicht selber vor Ort war. Aber das Bild, was in der Öffentlichkeit daraufhin entstanden ist, ist natürlich gerade für die Bundesrepublik Deutschland alles andere als erfreulich, denn wenn gerufen wird "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein", oder wenn Symbole einer terroristischen Organisation gezeigt werden und die Polizei greift nicht ein, dann kann das den Eindruck erwecken, als würde der Staat dies achselzuckend dulden. Und dieser Eindruck ist fatal.
Heinemann: Und das klingt genau wie vor 80 Jahren.
Bosbach: Ja, da haben Sie recht: Es klingt. Aber es gibt schon einen fundamentalen Unterschied: Die Juden sind vom Staat verfolgt worden damals und heute hat der Staat die Aufgabe, die Juden zu schützen. Es ist ja keine Mehrheit, sondern es ist eine radikale Minderheit, die in dieser Form gegen unsere jüdischen Mitbürger hetzt. Und deshalb muss der Staat auch konsequent einschreiten, und zwar nicht nur unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, sondern auch angesichts der Geschichte unseres Landes. Das ist eine Pflicht, die unsere Geschichte uns auferlegt, konsequent gegen jede Form von Antisemitismus einzuschreiten.
"Ich käme niemals auf die Idee zu sagen, verzichtet heute auf die Kippa"
Heinemann: Sollten Juden heute darauf verzichten, öffentlich eine Kippa zu tragen?
Bosbach: Nein, das sollten sie nicht. Wenn es der Einzelne für sich entscheidet, sich so zu verhalten, ist es seine persönliche Entscheidung. Aber ich käme niemals auf die Idee zu sagen, verzichtet heute auf die Kippa, verzichtet auf Auftreten in der Öffentlichkeit. Das wäre das Einknicken vor dem Terror, und genau das darf nicht sein.
Heinemann: Herr Bosbach, wieso werden Demonstrationen erlaubt, bei denen zu erwarten ist oder vorauszusehen ist, dass gegen Juden gehetzt wird, und dass obendrein noch genau dort, wo der Holocaust organisiert wurde?
Bosbach: Weil Sie dafür gerichtsfeste Beweise haben müssen. Und die Veranstalter werden nicht sagen, dass das das Ergebnis der Demonstration sein wird, oder dass sie damit rechnen, dass es im Verlauf dieser Demonstration zu derartigen Ausschreitungen kommt.
Heinemann: Das haben die beim letzten Mal auch gesagt.
Bosbach: Ja! Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Herr Körting vor einigen Jahren – es war wiederum in Berlin – versucht hat, das Zeigen von Symbolen der Hamas - - Das ist eine terroristische Organisation mit dem erklärten Ziel, Israel zu vernichten, und die Hamas reagiert im Gazastreifen. Er ist mit diesem Verbot gescheitert vor den Gerichten. Wir haben ein sehr liberales Versammlungsrecht, wir haben Meinungsfreiheit, das Recht will auch niemand einschränken. Aber dieses Recht ist auch nicht schrankenlos!
Heinemann: Wird es zu sehr strapaziert?
Bosbach: Wir haben gerade Eingangs das Gespräches darüber gesprochen, ob da nicht eine Grenze überschritten worden ist, wo die Sicherheitskräfte hätten einschreiten müssen. Das ist auch meine Haltung, obwohl ich mich wie gesagt im Wege der Ferndiagnose schwertue, eine konkrete Situation abschließend beurteilen zu können. Aber das sind hohe, verfassungsrechtlich garantierte Rechtsgüter, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit. Allerdings darf es nicht so sein, dass diejenigen, weil man Eskalation befürchtet, ihren antisemitischen Gefühlen freien Lauf lassen können, weil sie besonders massiv und brutal auftreten und deshalb die Polizei sich scheut, konsequent einzugreifen.
"Wir haben keine islamische Tradition"
Heinemann: Gehört der judenfeindliche Islam auch zu Deutschland?
Bosbach: Ich habe ja ohnehin, losgelöst von dem Wort "judenfeindlich", meine Probleme mit dem Satz, der Islam gehört auch zu Deutschland. Wir sind ein Land mit einer christlichen Tradition, auch mit jüdischen und griechischen Wurzeln, wir haben eine christlich-jüdische Tradition. Aber wir haben keine islamische Tradition. Deswegen käme ich persönlich nicht auf die Idee zu sagen, der Islam ist Teil unserer Identität.
Heinemann: Sah Ihr Parteifreund Christian Wulff bekanntlich anders.
Bosbach: Ja gut, auch das gehört zur Meinungsfreiheit. Gott sei Dank ist man nicht verpflichtet, alles das, was, auch wenn es das Staatsoberhaupt ist, gesagt wird, persönlich zu teilen und für richtig zu erachten. Auch da darf man ruhig einmal anderer Auffassung sein.
Heinemann: Herr Bosbach, das Bekenntnis zur deutschen Verantwortung für den Holocaust gehört zum Grundkonsens dieser Gesellschaft. Haben solche Leute noch einen Platz in der Gesellschaft, die das nicht anerkennen?
Bosbach: Das ist jetzt eine sehr gute Frage, und ich beobachte auch die Rechtspraxis und die Rechtsprechung mit großer Aufmerksamkeit. Vor wenigen Tagen gab es ja in einer Freitagspredigt in einer Berliner, Neuköllner Moschee den Aufruf, die Juden seien sowieso die Schlächter des Propheten und Allah möge die israelischen Soldaten bis zum letzten Mann töten. Ja wenn das keine Volksverhetzung ist, was soll denn dann Volksverhetzung sein? Jetzt beginnt meiner Erfahrung nach ein monatelanges Ermittlungsverfahren, vielleicht wird es irgendwann im Sande verlaufen. Richtig ist, dass wir auch bei der Zuwanderung Antisemitismus importieren. Sie haben Eingangs einen O-Ton des Bundespräsidenten auch gesendet, völlig richtig. Hier geht dieser islamistische Antisemitismus eine unheilige Koalition ein mit Teilen der politischen Linken und mit Neonazis in Deutschland. Hier mischen sich alle antisemitischen Vorwürfe, die wir kennen. Und wenn daraus dann auch noch Gewalt resultiert, die sich entlädt gegen die Juden im Allgemeinen, oder gegen bestimmte, die man sogar verfolgt und angreift auf der Straße, dann ist die Grenze dessen, was ein Rechtsstaat tolerieren kann, weit überschritten.
"Wir nennen die Dinge nicht mehr beim Namen"
Heinemann: Wenn Thilo Sarrazin über einen Mob mit Migrationshintergrund geschrieben hätte, wäre er von Politikern und von den Medien scharf kritisiert worden. Haben Politik und Medien das Hasspotenzial eines Teils der Muslime in Deutschland unterschätzt oder wegen vorgeblicher politischer Korrektheit verdrängt?
Bosbach: Unterschätzt glaube ich nicht, aber mittlerweile haben sicherlich auch einige in den Medien die Erfahrung gemacht: Selbstverständlich gibt es in Deutschland Meinungsfreiheit, aber pass bloß auf, was Du sagst, sonst gibt es aber harte Kritik. Denn selbst derjenige, der sich heute sehr sachlich und unter Benennung von Fakten mit dem Islamismus auseinandersetzt, oder mit dem Antisemitismus, den es auch im Islam unstreitig gibt, kommt sofort der Vorwurf Xenophobie, kommt sofort der Vorwurf Islamophobie. Und wir nennen die Dinge nicht mehr beim Namen. Das haben wir uns schon leider in vielen Fällen abgewöhnt, offensichtlich in der Annahme, wenn wir über die Probleme nicht sprechen, dann fällt es auch keinem auf, dass es die Probleme gibt. Aber mit Tabuisierung, mit Relativierung löst man die Probleme nicht, man verschärft sie nur.
Heinemann: Herr Bosbach, wen trifft diese antisemitische Hetze härter, die jüdischen Mitbürger oder mit Blick auf die Geschichte die nichtjüdischen Mitbürger?
Bosbach: Sie betrifft zunächst einmal ganz unmittelbar und, ich fürchte, auch bei einigen im wahrsten Sinne des Wortes hautnah die jüdischen Mitbürger, die verfolgt, bedroht, beleidigt werden. Aber das ist eine Belastung für unser ganzes Land und das schädigt das Ansehen Deutschlands in der Welt und nicht nur in Israel oder in Amerika, das traditionell Israel politisch sehr nahesteht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.