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Antisemitismus
"Eine Schande für die Gesellschaft, die das zulässt"

Es sei zu einfach, bei der Bekämpfung von Antisemitismus nach Gesetzesverschärfungen zu rufen, sagte Justizminister Heiko Maas im Dlf. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und es müsse dringend mehr im präventiven Bereich getan werden. Ein Antisemitismusbeauftragter könne dabei helfen.

Heiko Maas im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    Bundesjustizminister Heiko Maas am Rednerpult
    Unterstützt den Vorschlag für die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten: Bundesjustizminister Heiko Maas (dpa / Monika Skolimowska)
    Jörg Münchenberg: Die jüngsten Ereignisse am Brandenburger Tor, Verbrennung der israelischen Fahne und antisemitische Äußerungen durch Demonstranten, haben auch die innenpolitische Debatte über die Einsetzung eines Antisemitismus-Beauftragten wieder angeheizt, nachdem der Bundestag noch in der letzten Legislaturperiode eine entsprechende Empfehlung von Experten eben nicht umgesetzt hatte. Neben dem Zentralrat der Juden hat sich jetzt auch Innenminister Thomas de Maizière für die Einsetzung eines solchen Antisemitismus-Beauftragten stark gemacht. Kurz vor der Sendung habe ich den geschäftsführenden Justizminister Heiko Maas (SPD) gefragt, was er von dieser Idee hält.
    "Das hätten wir wahrscheinlich schon früher machen sollen"
    Heiko Maas: Ja, das tue ich und das unterstütze ich auch voll und ganz, und wahrscheinlich hätten wir das auch schon früher machen sollen, denn es gibt in Deutschland Antisemitismus nicht erst seit dem, was da am Brandenburger Tor geschehen ist, sondern bedauerlicherweise schon viel länger. Und ich glaube, es ist eine richtige Entscheidung, jetzt mit einem solchen Beauftragten die Probleme, die es da gibt, wirklich mal grundlegend zu analysieren und auch zu überlegen, was können wir tun, dass sich der Antisemitismus in unserer Gesellschaft nicht weiter verbreitet.
    Münchenberg: Nun habe ich mir das mal angeschaut. Es gibt eine Liste: In der letzten Legislaturperiode gab es 32 Beauftragte und Koordinatoren. Das beginnt mit Migration, geht über Mittelstand und Tourismus und reicht dann bis zum Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Da stellt sich ja schon die Frage: Was kann, was soll ein Bundesbeauftragter für Antisemitismus konkret leisten?
    Maas: Na ja. Es wird ja zunächst einmal darum gehen, mal die Frage aufzuwerfen, wo kommt der Antisemitismus her. Warum erleben wir diese Formen, wie wir das jetzt aktuell auf deutschen Straßen oder deutschen Plätzen leider sehen müssen? Was kann man dafür tun? Welche Szenarien gibt es, welche Programme gibt es, mit denen man auch in die Kreise hineinkommt, in denen Antisemitismus anscheinend zum guten Ton gehört? Dafür gibt es schon viele Programme; viele laufen aber einfach nebeneinander her. Ich würde mir von einem Antisemitismus-Beauftragten erwarten, dass er das bündelt, dass es besser koordiniert wird, dass wir einfach auch mehr Erfolge in der Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland haben.
    Münchenberg: Trotzdem klingt das so ein bisschen danach, wenn ich es mal salopp formuliere: Wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis.
    "Es geht darum, zu forschen und stärker hinzuschauen"
    Maas: Nein! Ich glaube, dass das Thema auch ein Thema für jeden Verantwortlichen in der Bundesregierung ist, also für jeden, unabhängig davon, in welchem Ressort. Im Übrigen: Ich glaube, dass das für uns alle in unserer Gesellschaft ein Thema ist, denn letztlich ist das ja nicht nur eine Schande von denjenigen, die so was zum Ausdruck bringen, wo auch immer; es ist letztlich auch eine Schande für die Gesellschaft, die das zulässt. Wir sind schließlich das Land, in dem die Shoa stattgefunden hat. Da geht es nicht darum, wenn man nicht mehr weiter weiß, jemanden mal zu beauftragen. Das ist ein Thema für die politisch Verantwortlichen. Aber wenn es darum geht, vielleicht auch zu forschen und noch stärker hinzuschauen und jemanden Strategien entwerfen zu lassen, wie man die vielen Programme, die es schon gibt, besser miteinander verzahnen kann, dann halte ich das für vernünftig.
    Münchenberg: Trotzdem sagen Sie, es gibt ja schon viele Programme, und auch bei den jetzigen Beauftragten ist das ja oft so: Man trifft sich einmal im Jahr, kommt dann zusammen, verfasst einen Bericht und dann geht man wieder auseinander, ohne dass sich doch groß konkret etwas ändert. Da stellt sich schon die Frage: Was kann ein solcher Beauftragter leisten? Gerade der alltägliche Antisemitismus zum Beispiel auf dem Schulhof, da kann doch auch ein Bundesbeauftragter wenig ausrichten.
    "Thema sollte auch in Schulen eine größere Rolle spielen"
    Maas: Erst mal glaube ich nicht, dass alle Beauftragten, die es gibt, keine Ergebnisse erzielen. Letztlich wird das davon abhängen, wie viele Befugnisse hat jemand, mit wie viel Mitteln wird er ausgestattet, wie viele Mitarbeiter, wie wird das auch verzahnt mit den Ländern, weil natürlich das auch eine Frage ist, die in der Bildungslandschaft eine große Rolle spielt. Das heißt, wie können wir dafür sorgen, dass das Thema in Schulen eine größere Rolle spielt. Da wird nichts abgeschoben an Aufgaben, sondern das wird auch eine Aufgabe der politisch Verantwortlichen und von uns allen in der Gesellschaft bleiben. Aber jemanden zu beauftragen, darüber hinaus auch Strategien zu entwerfen, genauer hinzuschauen, wo entsteht Antisemitismus, was ist der Grund dafür, das halte ich doch für vernünftig.
    Münchenberg: Aber kommt das nicht alles reichlich spät? Die Expertenkommission hat das ja schon Anfang des Jahres empfohlen gehabt. Und man stellt sich schon die Frage: Wenn das jetzt so ein großes Problem ist, warum erst jetzt dieser Vorstoß? Auch der Bundestag hat es ja nicht mehr geschafft, noch vor den Bundestagswahlen einen solchen Beauftragten auf die Gleise zu schieben.
    "Wir haben auch importierten Antisemitismus"
    Maas: Das ist eine absolut berechtigte Frage und der kann man auch gar nicht groß ausweichen. Wenn man sich anschaut, was in Deutschland stattfindet, und eben nicht nur die Ereignisse vom Brandenburger Tor etwa, dann wäre es sicherlich auch richtig gewesen, schon früher in Deutschland einen solchen Beauftragten zu installieren.
    Münchenberg: Herr Maas, wie sehr, würden Sie sagen, hat sich die Situation in Deutschland auch jetzt mit der massiven Einwanderung verändert? Gerade Juden betrachten ja den Antisemitismus unter Muslimen als immer größeres Problem. So stand es auch im letzten Antisemitismus-Bericht. Auch wenn man dazu sagen muss: Der Rechtsextremismus ist immer noch der Hauptträger für den Antisemitismus in Deutschland. Aber trotzdem: Da hat sich ja offenkundig was verschoben.
    Maas: Das ist so und davor darf man auch nicht die Augen verschließen. Es ist tatsächlich so, dass im rechtsextremen Bereich wir Antisemitismus haben, der hier in Deutschland wächst. Und wir haben auch importierten Antisemitismus, der von Menschen, die aus anderen Ländern dieser Erde kommen, mit nach Deutschland gebracht wird. Deshalb halte ich das ja auch für notwendig für diejenigen, die hier herkommen, die einen Asylantrag stellen oder die in den Integrationsprogrammen sind, dass das ein fester Bestandteil nicht nur der Programme, sondern auch der Prüfungen sein muss, dass hier in Deutschland Antisemitismus null Toleranz hat, weil wir auch eine besondere Geschichte haben in diesem Land und weil wir eine besondere Verantwortung daraus haben gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern, gegenüber dem Judentum im Allgemeinen und auch gegenüber dem Staat Israel.
    Münchenberg: Nun gibt es ja vom Zentralverband der Juden auch doch deutliche Kritik an den Moscheengemeinden, dass diese zu wenig gegen Antisemitismus unternehmen. Teilen Sie die Kritik?
    "Auch im Interesse der muslimischen Gemeinden"
    Maas: Ich glaube, da muss man differenzieren. Es gibt sicherlich Gemeinden, in denen ist das der Fall, aber beileibe nicht in allen. Und ich glaube, es liegt auch im Interesse der muslimischen Gemeinden, in der Frage klare Kante zu zeigen, und da geht sicherlich noch mehr.
    Münchenberg: Das wollte ich gerade fragen. Reicht es schon aus, was im Augenblick passiert, weil das ist ja auch wieder ein Politikfeld, wo man vielleicht Kritik dann auch eher ausspart?
    Maas: Das reicht offensichtlich nicht. Ansonsten würde es solche Auswüchse, wie wir sie zurzeit beklagen, ja nicht geben. Und da sind natürlich auch diejenigen in der Verantwortung, die etwa Moscheegemeinden hier führen. Wenn sie feststellen, dass Menschen, die hier herkommen, oder auch die, die schon länger hier sind, ganz einfach ihren Antisemitismus ausleben, dann muss es nicht nur Hinweise geben, sondern klare Ansagen, dass das in Deutschland nicht geht. Wer das nicht akzeptiert, der wird auch in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert werden.
    Münchenberg: Wäre das dann trotzdem auch ein Aufgabenfeld zum Beispiel für einen Antisemitismus-Beauftragten?
    "Wir brauchen sowas wie eine Effizienzkontrolle"
    Maas: Ich glaube, ein solcher Beauftragter hat vor allen Dingen die Aufgabe, sich grundlegend mit den Dingen auseinanderzusetzen, zu forschen, wo kommt das her, was sind aktuell die Gründe dafür, dass das noch mal wächst, sowohl im rechtsextremen Bereich, den es ja schon lange gibt, aber auch die Probleme, die hinzukommen durch den Antisemitismus, der importiert wird nach Deutschland. Der hätte genug zu tun – bedauerlicherweise.
    Münchenberg: Aber auf der anderen Seite ist es doch so: Die Fakten, so wie Sie sie jetzt beschreiben, sind ja eigentlich bekannt.
    Maas: Ja! Aber anscheinend bei all den vielen Programmen, die es gibt, fehlt mir eine Evaluation. Wie sind die Ergebnisse? Was nützt was? Was soll fortgeführt werden, was nützt vielleicht weniger, was kann man einstellen und das Geld an anderer Stelle besser einsetzen? So was wie eine Effizienzkontrolle bei all den Programmen gegen Antisemitismus, die, glaube ich, bräuchten wir dringlich.
    Münchenberg: Und Sie fordern auch explizit einen Antisemitismus-Beauftragten. Manche sagen ja auch, ein Antirassismus-Beauftragter wäre sinnvoller.
    "Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe"
    Maas: Ja, auch dazu gibt es ganz viele Programme. Aber ich glaube, dass wir mit unserer speziellen Geschichte in Deutschland eine besondere Verantwortung haben. Und wenn wir feststellen, dass es neue Formen des Antisemitismus in Deutschland gibt, dann, finde ich, muss man sich auch dem Problem ganz konkret widmen.
    Münchenberg: Herr Maas, nun gibt es ja auch im Zuge der Fahnenverbrennungen, der Verbrennung von israelischen Fahnen und Antisemitismus-Äußerungen am Brandenburger Tor, eine Debatte über eine Verschärfung der Gesetzgebung. Nicht zuletzt aus der CDU sind da Forderungen laut geworden, die Schwellen für eine Ausweisung von Ausländern abzusenken. Wie sieht das der geschäftsführende Justizminister?
    Maas: Erst mal: Bei dem, was geschehen ist, etwa am Brandenburger Tor, gibt es Ermittlungsverfahren. Die laufen zurzeit und dann wird man mal sehen, wie die enden. Dann kann man gerne darüber reden, wo es gesetzlichen Handlungsbedarf gibt. Aber ich warne davor zu glauben, dass man den Antisemitismus in Deutschland mit Gesetzesveränderungen oder mit Gesetzesverschärfungen effektiv bekämpfen kann. Das geht deutlich darüber hinaus. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Bei den Geschehnissen, die wir zu beklagen haben, werden wir uns jetzt anschauen, welche Ergebnisse die Ermittlungsverfahren haben.
    Münchenberg: Aber verstehe ich Sie richtig: Sie stehen einer Gesetzesverschärfung auch durchaus offen gegenüber?
    Maas: Nein! Ich glaube, dass das einfach zu einfach ist, dass man immer schnell nach Gesetzesverschärfungen ruft. Dann wird ein Gesetz verschärft und dann geht man zur Tagesordnung über. Das halte ich für den falschen Weg. Im Moment, glaube ich, geht es um andere Dinge, zu fragen, wo kommt das her, was kann man präventiv dagegen tun, damit so was erst überhaupt nicht geschieht. Gesetzesverschärfungen führen letztlich dazu, dass man immer sich repressiv mit dem Thema auseinandersetzt, also dann, wenn es schon zu spät ist. Wir müssen mehr tun, deutlich mehr tun im präventiven Bereich. Das wäre mir deutlich wichtiger.
    Münchenberg: … sagt der geschäftsführende Justizminister Heiko Maas von der SPD, der sich auch für die Einsetzung eines Antisemitismus-Beauftragten stark macht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.