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Antisemitismus und Fußball
Teil der Lösung statt Teil des Problems

Antisemitische Vorfälle und Ressentiments gibt es im Fußball immer wieder, in neuen Erscheinungsformen und auch nicht immer gleich erkennbar. Der Kampf dagegen wird intensiviert. Im Stadion von Borussia Dortmund gab es nun eine Fachtagung von DFL, World Jewish Congress und Zentralrat der Juden.

Von Jessica Sturmberg |
Maram Stein, Hans-Joachim Watzke und Josef Schuster stehen zu einem Foto aufgereiht.
Maram Stein (World Jewish Congress), Hans-Joachim Watzke (Borussia Dortmund), Josef Schuster (Zetralrat der Juden in Deutschland) (WDR/Sturmberg)
Das Stadion als Ort einer Fachtagung, die genau auf diesen Ort Bezug nimmt - wo sich schreckliche antisemitische Szenen abspielen können. Es ist dieses besondere Umfeld: Wenn sich zu einem Spiel zehntausende Fans zusammenfinden, um das Spiel zu zelebrieren. Wir gegen das andere Team, Fangesänge, das Eins-Werden in der Masse. Dem Rhythmus des Spiels und dessen Dramaturgie folgend. Yael Kupferberg, Wissenschaftlerin am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin beschreibt es so: „Es ist die emotionale Bindung an die überhöhte Gemeinschaft, die über das Spiel erzeugt wird, in der sich der Einzelne als Individuum in der Masse auflöst und auflösen möchte um sich spüren zu können.“
Yael Kupferberg steht am Rednerpult.
Yael Kupferberg, Antisemitismus-Forscherin. (Dlf/Sturmberg)
Und ein soziales Umfeld, das Identifikation bedeutet. Die Gefühle können in verschiedene Richtungen laufen und auch entsprechend gelenkt werden. „Das Feiern von erzeugten Idolen, der Person- und der Körperkult, das Begehren Teil von etwas Größerem zu sein, die Überhöhung des starken, überwiegend männlichen Körpers, die Rhetorik des sportlichen Kampfes, das Empfinden von scheinbar tiefen Gefühlen, die klare Aufteilung von Innen und Außen – all das sind Elemente des Antisemitismus.“
Yael Kupferberg und ihre Familie, die umfassende Holocaust-Erfahrungen hat, empfanden den Fußball auch genau aufgrund dieser Elemente lange als problematisch. Doch dann hat sich das innerhalb einer Generation geändert. Ihre Töchter haben ein positives Bild von Deutschland, das für sie tolerant und liberal ist, westliche Werte verteidigt, in der die große Mehrheit Jüdinnen und Juden und ihre Geschichte akzeptiert. „Und sie haben Freude an Fußball. Dies hat damit zu tun, dass der Fußball Verantwortung übernimmt. Damit spiegelt sich hier, was von der deutschen Politik auch im Wesentlichen gefördert wird: Die Verteidigung jüdischen Lebens in Deutschland. Der Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus.“

Antisemitismus aus Angst vor einer Überlegenheit

Der Fußball kann seine enorme Ausstrahlungskraft nutzen, um genau diese Werte immer und immer wieder in der Gesellschaft zu verankern. Das ist kein Ziel, das irgendwann erreicht ist. Sondern eine fortwährende Aufgabe, weil es eben auch immer wieder gegenläufige Entwicklungen gibt. Das wurde auf der Tagung deutlich. Auch was schon erreicht wurde und was sich verändert hat. Der Antisemitismus der 80-er-Jahre in den Stadien war ein anderer als es der von heute ist.
Was gleichgeblieben sei –  der Hass auf Juden komme aus einer Angst vor deren angeblicher Überlegenheit, erklärt Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden: „Man sieht das bei den Corona-Demonstrationen und den sogenannten Spaziergängen. Darum kommt kaum eine Verschwörungstheorie ohne antisemitische Narrative aus.“   
Wie groß das Problem aktuell in der Gesellschaft ist, dazu erläuterte Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus: „Zwischen einem Zehntel und einem Fünftel der Bevölkerung sind antisemitisch eingestellt, beim israelbezogenen Antisemitismus sind es sogar fast 40 Prozent. Das sind viel zu viele.“

Antisemitismus auch in hohen Funktionärskreisen

Dabei sei es gar nicht mal en vogue Antisemit zu sein, erklärt Daniel Botmann, manche seien sich ihrer antisemitischen Haltung nicht einmal bewusst und darum braucht es auch eine Bewusstseinsschärfung, was genau antisemitisch ist. Nicht nur die klaren rechtsextremistischen Ausprägungen gehören dazu, sondern auch sekundäre Formen. Beispielsweise auch die Täter-Opfer-Umkehr. Der Sprachwissenschaftler Pavel Brunssen, der an der Universität von Michigan promoviert, zitierte dazu dieses Beispiel, das Dieter Graumann erlebte, als er noch Präsident des Zentralrats der Juden war:
„Er berichtete Folgendes – Zitat – in meinem ersten Gespräch mit Vertretern des Deutschen Fußball-Bundes sah mich ein hochrangiger Fußballfunktionär fragend an und sagte 'mit euch gibt es bloß immer Ärger.' Viel hat sich bis heute getan, sekundären Antisemitismus im Fußball gibt es aber weiterhin.“
Aber was hat eigentlich der Antisemitismus im Fußball mit Fußball zu tun? Hier spielt die hohe gesellschaftliche Relevanz hinein, sie ist die höchste im Sport- und Kulturleben. Außerdem ist Fußball politisch und bedient das einfache schon angesprochene Wir gegen die-anderen-Prinzip: „Fußball bietet – so ist meine These – eine bestimmte Gelegenheitsstruktur für Antisemitismus und für Ressentiment.“

Möglichkeit für den Fußball

Genauso wie er die Chance auf das Gegenteil beinhaltet, weil: „Fußball zugleich eine sehr große positive gesellschaftliche Kraft hat. Ohne die anderen gibt es kein Fußballspiel.“ Und genau auf diese Kraft, diese andere positive Wahrnehmung setzen DFL, World Jewish Congress und der Zentralrat der Juden, dessen aktueller Präsident Josef Schuster feststellt: „Ich glaube ursprünglich war der Fußball mehr das Problem, inzwischen ist der Fußball ein ganz erheblicher Teil einer Lösungsmöglichkeit des Problems“. 
Als Gastgeber der Tagung weist BVB Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke daraufhin, dass in seinem Verein von der Vereinsführung eine klare Haltung gegen Antisemitismus ausgegeben wird, die jedes Mitglied ausschließe, dass sich nicht daranhalte. Mit solchen klaren Ansagen kann der Fußball als Korrektiv wirken und damit viel bewirken: „Ich glaube der Fußball hat die riesige Chance, weil der Fußball einer der wenigen Institutionen ist, der in die Gesellschaft in alle Bereich reinwirkt. Das nützt nichts, wenn Du nur zehn Prozent der Gesellschaft erreichst, sondern wir haben die Möglichkeit überall hineinzuwirken.“ Und genau diese Botschaft soll aus den Tagungsräumen im BVB-Stadion nach außen dringen.