Der 41 Jahre alte Maier Trepp wird zu Beginn des Ersten Weltkriegs als Soldat eingezogen. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeitete der orthodoxe Jude als Kaufmann in Mainz. In einer Kaserne am Rhein bereitet sich Maier Trepp auf eine Laufbahn als Reserveoffizier vor. Das berichtet sein Sohn Leo Trepp:
"Mein Vater war Einjähriger. Jedes Kind, das die Schule verlies, musste drei Jahre im Heer dienen. Diejenigen, die aus der höheren Schule kamen und in der Lage waren, für ihre Uniformen und Ausstattungen und so weiter selbst zu bezahlen, die dienten ein Jahr als Kandidaten für den Reserveoffizier. Mein Vater gehörte dazu und erzählte mir, die Zeit seines 'Einjährigen-Lebens' sei eine der schönsten Zeiten seines Lebens gewesen."
Mit der Offiziersprüfung begannen die Probleme
Doch diese schöne Zeit endet abrupt – just in dem Moment, als Maier Trepp die Offiziersprüfung ablegen wollte:
"Als es zum Ende der Zeit kam, da rief sein Hauptmann ihn in sein Büro und sagte: Herr Trepp, ich habe ihnen einen Gefallen getan. Ich habe die Abschlussprüfung für die Offiziere an einem ihrer Feiertage angesetzt. Da sagte mein Vater: Was ist das denn für ein Gefallen?"
Die Schwiegertochter erinnert sich
"Und der Hauptmann sagte: Aber Herr Trepp, wenn Sie bestehen sollten und Sie werden sicherlich bestehen, wird das Offizierskorps Sie ablehnen. Und ich möchte Sie davor bewahren."
Gunda Trepp ist die Witwe des 2010 verstorbenen Rabbiners Leo Trepp. Sie hat die von der Bundesregierung geförderte Doppel-CD mit den Erinnerungen ihres Mannes maßgeblich mitgestaltet. Die Erfahrung ihres Schwiegervaters mit Antisemitismus im deutschen Heer zu Beginn des Ersten Weltkrieges hat sie auf der CD selbst und im zusätzlichen umfangreichen Booklet in den historischen Zusammenhang gestellt. Formal sind jüdische Soldaten seit dem 19. Jahrhundert im kaiserlichen Militär rechtlich gleichgestellt, doch die Realität sieht zu Beginn des Ersten Weltkrieges oft ganz anders aus:
"Mein Mann erzählt das auf der CD und ich konnte es ihn nicht einfach so erzählen lassen, ohne das zu rahmen oder zu ergänzen. Denn was daraus so deutlich hervorgeht, es war das Kaiserreich und die Emanzipation der Juden war schon da. Sie war auf dem Papier da. Doch wie sie in der Realität gehandhabt wurde, wie sie aussah, wie sie umgesetzt wurde, lag immer noch in den Händen einzelner. Es war nicht einfach durchzusetzen. Sie war da, doch sie war willkürlich gegeben. Und das stand auch in seinem Militärpass und ich kann mich erinnern, wie ich gesehen habe: Hat an der Offiziersprüfung nicht teilgenommen. Offiziell war die Gleichberechtigung da. Was hinter den Kulissen stattfand, das wussten nur diejenigen, die es betraf."
Die "Judenzählung" mitten im Krieg
Die wahren antisemitischen Motive zu verschleiern, darum ging es wohl auch bei der so genannten "Judenzählung" im deutschen Heer. Nach einer Anordnung des Kriegsministers Adolf Wild zu Hohenborn sollten die jüdischen Kriegsteilnehmer 1916, mitten Krieg, gezählt werden – offiziell, um nachzuweisen, dass Gerüchte, Juden seien "Drückeberger", unhaltbar seien. In Wirklichkeit, so Gunda Trepp, sei die Zählung antisemitisch motiviert gewesen:
"Man weiß es nicht genau, aber es ist wohl zu vermuten, dass der zuständige Minister diese Zählung angeordnet hat, weil er nachweisen wollte, dass die Juden Drückeberger sind. Das waren sie aber nicht. Daraufhin ist die Zählung nicht veröffentlicht worden. Und das schmerzt mich sehr. Besonders, das erwähnt mein Mann nur kurz, aber er erwähnt es – sein Lieblingsonkel, Onkel Abraham, den er kurz vor seiner Flucht noch aufgesucht und der hatte Familie, auch zwei Söhne, und dem hat er gesagt: Onkel Abraham, es wird doch auch für euch Zeit zu gehen. Und da hat Onkel Abraham gesagt: Warum soll ich denn gehen, ich habe meinem Vaterland doch gedient. Was soll mein Vaterland mir tun?"
Kein Dank für jüdische Veteranen
Trotz ihrer Diskriminierung schon im Ersten Weltkrieg, wollten viele jüdische Veteranen auch zu Beginn der Nazi-Diktatur nicht wahrhaben, dass Hitler ihren Einsatz im Krieg nicht respektieren würde:
"Das war ja etwas, wofür man eigentlich geachtet wurde. Und von dem tatsächlich – naiver Weise, kann man heute sagen – die Juden annahmen, dass auch Hitler es respektieren würde, der sich doch mit Militär umgab und der doch durch diese Kreise stark gehalten wurde. Das war ihnen nicht verständlich, die haben einfach nicht damit gerechnet. Heute findet man es naiv, aber damals war es unvorstellbar."
Der Antisemitismus in der deutschen Armee des Ersten Weltkriegs ist nur eines von insgesamt zwölf Kapiteln der Lebenserinnerungen von Leo Trepp, die 2008 aufgezeichnet wurden. Trepp beschreibt darin auch seine schwierige Zeit von 1936 bis 38, als er noch Landesrabbiner in Oldenburg war, bevor er ins KZ Sachsenhausen geworfen wurde. Er überlebte das Konzentrationslager, emigrierte in die USA, wo er mit seiner Frau Gunda lebte. Bis zu seinem Tod im Jahr 2010 lehrte Trepp aber auch jedes Jahre einige Monate lang Judaistik an der Universität Mainz.