Eigentlich müsste religiöser Glauben im Sport keine Rolle spielen. Er darf auch einfach Privatsache sein, das zumindest wünscht sich Sarah Poewe. "Über die Jahre war ich sehr verschlossen über meine Religion. Man sagt auf Englisch 'to wear your heart on your sleeve'. Also ich meine: Ich will und ich muss nicht allen erzählen, was mein Glaube ist, weil es macht mich nicht anders im Vergleich zu jedem anderen Menschen, der nicht jüdisch ist. Es ist was sehr Besonderes, und ich bin unfassbar stolz, jüdisch zu sein. Aber es macht mich nicht anders."
Poewe war Leistungsschwimmerin für Deutschland. Aufgewachsen ist sie in Südafrika und sie ist Jüdin. Aber ihre Religion war für sie immer privat. Bis sie 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen Bronze in der Lagenstaffel gewonnen hat. "In einer Nacht hat sich das alles umgedreht, dass der Glaube jetzt oft an der allerersten Position steht und stehen sollte und eine Differenz machen sollte."
"Da kamen einige Fragen, dumme Fragen"
Sarah Poewe ist bis heute die einzige jüdische Sportlerin nach 1945, die für Deutschland eine Olympia-Medaille gewonnen hat. "Als das rauskam, dass ich Geschichte geschrieben habe, was natürlich etwas unfassbar besonders für mich war. Aber da kamen einige Fragen, dumme Fragen, so in etwa: Wie fühlst du dich als Jüdin? Wie fühlt sich das an? Und ich so: Was meinen Sie jetzt? Na, Sie sind doch jüdisch. - Ja, und jetzt?"
Poewe ist von der Presse zur jüdischen Sportlerin gemacht worden, erzählt sie im Rahmen eines Podiums zu Antisemitismus und Sport im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. "Ich habe mich ganz schnell zurückgezogen, weil ich fühlte mich so ein bisschen überwältigt. Erstens konnte ich mich über diese geschriebenen Geschichten nicht freuen, aber gleichzeitig dann die Kommentare 'wie fühlt sich eine jüdische Schwimmerin'. Und ich denke mir so: Reden wir jetzt über meinen Sport oder reden wir über meinen Glauben und über mich, über die Person. Weil das sind zwei verschiedene Themen."
Hass steigt, wenn Israel attackiert wird
Dass das aber gerade bei Jüdinnen und Juden ein Thema ist, das zum Problem werden kann, ist seit dem 7. Oktober 2023 verstärkt zu beobachten, erklärt Philipp Peyman Engel, der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen: "Immer dann, wenn Israel attackiert wird, von Terroristen, sich wehren muss gegen diese Terror-Attacken, dann schwappt eben auch der Hass auf Juden, der Hass auf den jüdischen Staat, auch auf die Straßen in Deutschland. Und das kriegen die Makkabäer, die nicht immer Juden sind, dann eben auch ganz, ganz stark ab."
Makkabäer sind Mitglieder in Makkabi-Vereinen, das sind jüdische Turn- und Sportvereine, aber auch hier steht der Glaube nicht im Mittelpunkt: In Makkabi-Vereinen machen Juden mit Muslimen, Christen und Menschen ohne Religionszugehörigkeit gemeinsam Sport. Ziel sei, Möglichkeiten zu schaffen, um sich gemeinsam kennen zu lernen.
Für Engel ist das auch ein Schlüssel gegen Antisemitismus: Begegnung und Dialog. Die Mehrheit in Deutschland habe zwar keine antisemitischen Einstellungen, sagt Engel auf dem Podium in Dortmund, "aber es gibt eben die Prozent, wo es die Leute gibt mit antisemitischen Einstellungen. Und das bekommen wir ja ganz, ganz krass ab und nicht nur im Social Media, sondern auch im richtigen Leben. Ich kenne in Berlin keinen, fast keinen einzigen Juden, der mit Kippa auf die Straße geht."
"Jeder hat Angst"
Und an Ex-Schwimmerin Sarah Poewe gewandt: "Du sagst, du hast Angst. So in Berlin: Ja, jeder hat Angst. Es gibt das grundgesetzlich verbriefte Recht auf freie Religionsausübung. Aber in dem Moment, wo du dann eben mit dem Makkabi T-Shirt auf die Straße gehen willst oder mit Kippa auf die Straße gehen willst, greift das nicht. Das ist dann tatsächlich nur auf dem Papier in diesem Moment."
"Ich merke langsam, dass du nicht unbedingt das sein kannst, was du bist. Es ist ein bisschen schwierig, und ich merke, dass immer mehr und mehr. Nicht unbedingt in Deutschland, aber ich merke es so ein bisschen in der Welt generell jetzt", erzählt Poewe. In der Schwimmnationalmannschaft hingegen war es nie ein Problem oder ein Thema, dass sie Jüdin ist. Ihr Trainer war Perser und es hat keine Rolle gespielt.
Es gibt aber auch gerade im Fußball Ultra-Szenen, die es drauf anlegen, sich diskriminierend zu äußern oder zu agieren – auch gegen Juden. Wie in Amsterdam können Sportevents zudem auch von anderen Akteuren für Aktionen genutzt werden. Damit werden große Sportevents zu einem Risiko. Und es brauche erhöhte Sicherheitsmaßnahmen wie zuletzt beim Fußball-Länderspiel Frankreich gegen Israel in Paris, sagt Engel: "Das ist ein Armutszeugnis, dass das notwendig ist. Aber es ist die einzige Antwort, nicht zu kapitulieren, die demokratischen Werte hochhalten und nicht eben einzuknicken von denjenigen, die dann eben sich antisemitisch äußern und damit dann eben auch die Demokratie abschaffen wollen. Denn das muss man sich vergegenwärtigen, dass es nicht nur ein Problem der Juden, die antisemitischen Anfeindungen, sondern ein Problem der Demokratie."