"Nobody is ever ready for something like this…"
Verängstigte Menschen in grauer Häftlingsuniform kommen in Zügen an einem Lager an, vor ihnen ein eisernes Tor, herrische Nazi-Aufseherinnen schlagen auf sie ein. Verstörende Szenen aus dem 2014 erschienenen Ego-Shooter "Wolfenstein: The New Order".
Verängstigte Menschen in grauer Häftlingsuniform kommen in Zügen an einem Lager an, vor ihnen ein eisernes Tor, herrische Nazi-Aufseherinnen schlagen auf sie ein. Verstörende Szenen aus dem 2014 erschienenen Ego-Shooter "Wolfenstein: The New Order".
"Bei Computerspielen war bis jetzt die Angst da"
In Wolfenstein schlüpft der Spieler in die Haut von B.J. Blazkowicz, einer muskelbepackten Ein-Mann-Armee im Widerstand gegen das Dritte Reich, welches hier auch nach 1945 weiterexistiert - denn Hitler hat den Krieg gewonnen, die Nationalsozialisten regieren die Welt.
Das Besondere an "Wolfenstein: The New Order" ist erstens, dass die Hauptfigur Jude ist, genauer: B.J. Blazkowicz ist so ziemlich die einzige bedeutsame jüdische Hauptfigur in einem Computerspiel weit und breit. Und zweitens, dass das Spiel sich traut, den Holocaust überhaupt zu thematisieren. Denn das war lange Zeit weitgehend ein Tabu in digitalen Spielen, sagt der Historiker Eugen Pfister:
"Zum einen ist da die Scheu, überhaupt das Thema anzugreifen, ähnlich dem, was lange auch für einen Film oder überhaupt für die Populärkultur galt. In Graphic Novels, in Filmen und in Büchern hat das aber dann doch funktioniert. Bei Computerspielen war aber bis jetzt die Angst da."
Computerspiele haben zur Shoa eher wenig zu sagen
Die Serie "Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss" führt in den späten 70er-Jahren dazu, dass sich viele Deutsche überhaupt das erste Mal mit der Shoa auseinandersetzen. Steven Spielbergs Hollywood-Film "Schindlers Liste" bringt das Thema in den 90ern einer jungen Generation nahe und regt auch die Geschichtswissenschaften zu weiterer Forschung an. Die Graphic Novel "Maus. Die Geschichte eines Überlebenden" von Art Spiegelman wiederum gilt als Meilenstein des Comics und wurde mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Computerspiele hingegen haben zum industriellen Massenmord an den europäischen Juden bislang eher wenig zu sagen, sieht man mal von antisemitischen Machwerken wie dem berüchtigten "KZ Manager" ab. Doch so langsam tut sich etwas: Im populären Weltkriegs-Shooter "Call of Duty: World War II" etwa wird am Ende auch der Schrecken in den Konzentrationslagern angedeutet:
"Take out your camera … The world gotta know…"
Und das wiederum könnte dazu führen, dass auch die Verbrechen der Nazis öfter in Spielen gezeigt werden, meint Eugen Pfister.
"Die Spieleindustrie ist sehr konzentriert, das heißt: Riesige Unternehmen produzieren mit riesigen Budgets riesige Spiele, die 'too big to fail' sind. Die Firmen sind also sehr konservativ und trauen sich nichts. Aber sobald ein Spiel vorgezeigt hat, was geht, springen alle anderen auf."
The Witcher macht den Antijudaismus des Mittelalters zum Thema
Während die Shoa in dem einen oder anderen Computerspiel mittlerweile nicht mehr zwingend ausgespart wird, bleibt Antisemitismus als Ideologie nach wie vor in den meisten Spielen unsichtbar. Das Spiel "Bioshock" adressiert immerhin jüdische Traumata wie Vertreibung und die Sehnsucht nach einer Heimstatt.
Eine weitere prominente und durchaus lobenswerte Ausnahme ist die Rollenspielserie "The Witcher". In Teil 3 des populären Fantasy-Spiels werden vor allem die Zwerge zu Opfern von Ressentiments, wie man sie auch vom Antijudaismus des Mittelalters her kennt: Sie gelten als geldgierige und mächtige Strippenzieher, die Mehrheitsbevölkerung fühlt sich ihnen unterlegen. In Teil 2 kommt es sogar zu einem Pogrom:
"Thanks witcher… If not for you I would be a dead dwarf…"
Dieser bemerkenswerte Aspekt von "The Witcher" fand in der Rezeption des Spiels allerdings kaum Beachtung, anders als beispielsweise die Frage, ob in dem mittelalterlichen Rollenspiel genügend schwarze Personen zu sehen seien. Auch das legt die Vermutung nahe, dass die Computerspielszene über kein besonders sensibles Sensorium verfügt, wenn es um Antisemitismus geht. Ein weiteres Indiz: Das Indie-Spiel "Liyla and the Shadows of War".
Schwarz-Weiß-Spiel macht Israel zum Kindermörder
Das Spiel thematisiert den Gaza-Krieg 2014. Hier steuert man einen palästinensischen Vater, der mit seinen Kindern durch Gaza flieht. Gut und Böse sind klar verteilt und nicht nur grafisch präsentiert sich das Spiel ausschließlich in den Farben Schwarz und Weiß. Der jüdische Staat wird hier als anonymer, kindermordendender Aggressor präsentiert.
Während diese Darstellung in anderen Medien mindestens eine Debatte darüber provoziert hätte, wo eigentlich legitime Kritik an Israel aufhört und wo dumpfer Antisemitismus beginnt, bleibt es bei Erscheinen des Spiels ohrenbetäubend still. Widerspruch? Fehlanzeige. Es gibt zwar einen Shitstorm, aber der richtet sich gegen Apple, weil das Unternehmen damals die fragwürdige Software zunächst nicht in die App-Kategorie "Spiele" einsortiert. Bis heute wurde das Spiel auf Android fast 60000 mal bewertet, mit einem Schnitt von 4,7 von 5 Sternen. Das Spiel hat Preise gewonnen und wurde auch vom Berliner A Maze-Festival mit einer Nominierung bedacht.
Blinder Fleck Antisemitismus
In Deutschland haben je nach Umfragen zwischen 15 Prozent und 30 Prozent der Bürger antisemitische Vorurteile. Weltweit grassieren antisemitische Ressentiments, nicht selten getarnt als Israelkritik.
Computerspiele könnten dieser mörderischsten Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit etwas entgegensetzen. Dazu würde allerdings nicht nur die Auseinandersetzung mit der Shoa gehören, sondern auch die Sensibilisierung für antisemitische Ressentiments. Doch weder die Spiele, noch die Spiele-Szene scheint dieses Thema bislang ausreichend ernst zu nehmen. Und das macht Antisemitismus bei der politischen Computerspiel-Kritik zum blinden Fleck schlechthin.