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Antisemitismus in Deutschland
"Ein Stück Realität"

Muslimische Flüchtlinge, die aus Israel nach Deutschland kämen, hätten einen anderen Blick auf den Nahen Osten, dennoch dürfe man sie nicht in "Kollektivhaftung" nehmen, sagte Uwe-Karsten Heye, Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen" im DLF. Antisemitismus sei ein Problem, das man nur durch ein reflektierteres Miteinander lösen könne.

Uwe-Karsten Heye im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Eine junge Frau mit Kippa nimmt am Samstag (15.09.2012) in Berlin an einer Demonstration teil. Der Kippa-Spaziergang, zu dem im Internet aufgerufen worden war, sollte ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und fand auch anlässlich des bevorstehenden jüdi
    Heye: "Diese Art von respektvollem Umgang, der notwendig ist, um dem anderen überhaupt zuhören zu können, ist etwas, was wir vernachlässigt haben." (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Dirk-Oliver Heckmann: Dass Antisemitismus nach wie vor in der Gesellschaft verwurzelt ist, nicht nur in der deutschen übrigens, das ist hinlänglich bekannt. Regelmäßig bringen Umfrageinstitute erschreckende Fakten darüber ans Tageslicht, was viele Deutsche über Juden denken. Immer größer wird aber offenbar auch eine andere Gefahr: der Antisemitismus vonseiten der muslimischen Bevölkerung nämlich. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, hat jetzt davor gewarnt, in bestimmten Stadtvierteln die Kippa zu tragen, und hat damit enorme Diskussionen ausgelöst.
    Am Telefon begrüße ich Uwe-Karsten Heye. Er ist Vorstandsvorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland", vielen auch bekannt als ehemaliger Regierungssprecher. Und Herr Heye hat vor Jahren im Deutschlandradio Ausländer vor einem Besuch bestimmter Gebiete Ostdeutschlands gewarnt, weil sie dort ihres Lebens und ihrer Gesundheit nicht sicher seien. Schönen guten Tag, Herr Heye.
    Uwe-Karsten Heye: Ich grüße Sie.
    Heckmann: Herr Heye, gibt es No-go-Areas jetzt auch für Juden selbst in Großstädten?
    Heye: Erst mal sträubt sich natürlich alles in einem, dass eine solche Warnung notwendig ist. Das ist sozusagen die eine Ebene, wo man sich fragt, ist das wirklich so, dass man wegen seiner Religionszugehörigkeit oder Hautfarbe oder weiß ich was, sexuellen Orientierung in diesem Land Angst haben muss, sich in bestimmten Vierteln zu bewegen.
    Das ist aber zugleich ein Stück Realität. Und deswegen, glaube ich, war die Warnung von Herrn Schuster schon notwendig.
    Aber zugleich muss man natürlich auch sehen, dass in Deutschland sich Flüchtlinge sammeln, die traumatisiert zu uns kommen, die den Schrecken von Kriegshandlungen im Nahen Osten erleben mussten. Wer da in Gaza lebte oder lebt oder Freunde und Verwandte hat, der wird ein anderes Israel-Bild haben als wir Deutschen mit unserer eigenen Geschichte. Also die Warnung ist wohl berechtigt, aber dabei darf man nicht stehen bleiben.
    Heckmann: Das heißt, das Problem sind aus Ihrer Sicht die Flüchtlinge, die dort aus dieser Region kommen und möglicherweise eine andere Wahrnehmung Israels und der Juden haben, und gar nicht so sehr jetzt die inländische muslimische Bevölkerung?
    Heye: Ich weiß nicht, wie weit man da differenzieren kann. Aber ich glaube schon, wenn man als junger Mensch in Gaza aufgewachsen ist, hat man ein anderes Bild auf Israel, als wir es hier haben als Deutsche, und mit unserer eigenen Geschichte natürlich. Das ist wohl etwas, was man einfach schlicht zur Kenntnis nehmen muss.
    Dennoch ist es ja so, dass wir diese Menschen hier haben: Entweder die Asyl suchen und oder die, die hier einwandern wollen und oder auf Zeit hier bleiben wollen. Und wir müssen sehen, dass wir das nicht einfach nur hinnehmen, dass es da Unterschiede gibt, sondern versuchen, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen.
    Ich will da eine kleine, wichtige Notwendigkeit dazu beitragen. Wir als "Gesicht zeigen!" haben mittlerweile 10.000 Schülerinnen und Schüler in unserer interaktiven Ausstellung"7 x jung", die wir auch "Trainingsplatz für Zusammenhalt und Respekt" nennen. Da erzählen wir in sieben Ausstellungsräumen, welche Not Jugendliche in Deutschland erleben mussten, weil sie in der Nazi-Zeit das Pech hatten, einer "falschen" Religion anzugehören, und versuchen zugleich, eine Brücke zum Heute zu schlagen.
    Auch heute stellt sich ja das ähnlich dar. Erstmals kommen da Jugendliche von fachlich ausgebildeten Teamern begleitet ins Gespräch und in Klassen mit einem Anteil von bis zu 70, manchmal 80 Prozent Migrationshintergrund.
    "Das ist alles ein Teil der Unfähigkeit, ins Gespräch miteinander zu kommen"
    Heckmann: Herr Heye, was man machen kann, dazu kommen wir gleich noch mal. Ich möchte aber bei dieser Warnung erst mal bleiben und ich hatte Herrn Schuster anders verstanden. Er hatte aus meiner Sicht nicht auf die Flüchtlinge rekurriert, sondern er hatte gesprochen oder rekurriert auf die muslimisch dominierten Stadtteile in verschiedenen Städten. Besteht nicht die Gefahr, dass man Moslems insgesamt in eine Kollektivhaftung nimmt durch so eine Warnung?
    Heye: Ja, die Gefahr besteht immer. Die ist genauso falsch wie die Vorstellung, dass alle jugendlichen Muslime gefährdet sind, in irgendeiner Art von extremistischer Haltung sich zu entwickeln. Das ist alles ein Teil der Unfähigkeit, ins Gespräch miteinander zu kommen, und ich glaube, alle Möglichkeiten, die es da gibt, sollten wir nutzen, um das endlich hinzukriegen und nicht nur den Eindruck zu erwecken, die kommen zwar zu uns, aber wir wollen von ihnen nichts wissen.
    In diesen Schulklassen, von denen ich gerade gesprochen habe, wird bei uns in dieser Ausstellung das erste Mal ein Gespräch möglich, was offenbar im schulischen Alltag nicht möglich ist, wo Schülerinnen und Schüler mit eigenen Fluchterfahrungen und mit sehr traumatisierten Erinnerungen an diese Fluchtsituation mit ihren deutschen Mitschülern das erste Mal ins Gespräch kommen. Und die Lehrer, die dabei sind, die noch nie einen solchen Blick in ihre Klasse hatten, die ins Gespräch kommen miteinander.
    Ich glaube, diese Art von respektvollem Umgang, der notwendig ist, um dem anderen überhaupt zuhören zu können, ist etwas, was wir vernachlässigt haben, wofür wir Gelegenheiten schaffen müssen und finden müssen, diese Distanz aufzuheben und überhaupt erst so etwas wie ein Gespräch zu ermöglichen, dass solche Warnungen vielleicht nicht unnötig werden, aber doch entschärfen und auf den Rest zu reduzieren, der ja auch nicht nur islamisch geprägt ist, sondern eben auch rechtsextremistisch geprägt ist.
    Es gibt einen Antisemitismus in Deutschland, der mit dem Islam gar nichts zu tun hat, sondern mit unserer eigenen unaufgearbeiteten Geschichte.
    Heckmann: Herr Heye, dennoch: Was erwarten Sie an dieser Stelle, in diesem Zusammenhang von den muslimischen Gemeinden?
    Heye: Ich glaube, dass alles, was dazu von dort beizutragen ist, ebenfalls darin münden muss, ins Gespräch zu kommen mit denen, die zu uns kommen und die ihre traumatischen Erlebnisse auch im Nahen Osten haben, nicht nur mit dem Hinweis, dass das alles Antisemitismus sei, zurückgewiesen werden dürfen, sondern die auch ernst zu nehmen haben, dass es dort Erfahrungen gibt, die ein anderes Israel-Bild hervorrufen, als wir es uns wünschen und wie wir es brauchen und wie es notwendig wäre, damit überhaupt eine Friedensperspektive im Nahen Osten möglich ist, und die Widersprüche, die dort entstehen und zu uns getragen werden, nicht das Leben hier vergiften.
    "Wir müssen weniger selbstgerecht diese Debatte führen"
    Heckmann: Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe - wir kennen ihn alle gut -, der hat sich auch in die Diskussion eingeschaltet und er hat von einem Armutszeugnis gesprochen und es sei beschämend, dass eine solche Warnung notwendig ist in Deutschland im Jahr 2015.
    Aber er hat ergänzt: Die deutschen Behörden, die hätten es bislang dem Zufall und freiwilligen Initiativen überlassen, sich um die Bekämpfung dieses Problems zu kümmern. Und er warf Polizei und Staatsanwaltschaft beim Schutz der jüdischen Minderheit zum Teil Unsicherheit und Überforderung vor. Und er ergänzte abschließend noch: Nicht nur die Sicherheit Israels sollte deutsche Staatsräson sein, sondern auch der Schutz unserer jüdischen Mitbürger in Deutschland. Liegt da etwas im Argen, Herr Heye?
    Heye: Ich glaube, da liegt - und wenn Sie mir erlauben, da den Blick noch mal auf Pegida zu werfen - insgesamt eine Situation vor, in der ein hohes Maß an a) Unkenntnis herrscht, b) gar nicht erst der Versuch gemacht wird, die Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in unser Land kommen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, was sie antreibt, auch was ihnen die Möglichkeit geben könnte, in ihre eigenen Geburtsländer wieder zurückzukehren.
    Was wir also tun müssen ist, glaube ich, den gesamten Bereich des politischen Spektrums zu betrachten. Das menschliche Miteinander ist das eine und die Frage, was tun wir oder was tragen wir dazu bei, dass in den Hungerländern dieses Globus Menschen in die Flucht gejagt werden, was wir durch eigenes Zutun und durch eigene Politik dazu beitragen. Ich glaube, wir müssen weniger selbstgerecht diese Debatte führen und mehr darüber nachdenken, was sind unsere Gründe, die wir dazu leisten, welche Art von Notwendigkeit, ins Gespräch zu kommen, unterlassen wir und welche sollten wir suchen, damit in diesem Land so etwas wie ein respektvolles Miteinander weitestgehend möglich wird.
    "Ein reflektierteres Miteinander suchen"
    Heckmann: Wir haben nur noch ungefähr 60 Sekunden Zeit. Trotzdem noch mal die Frage: Liegen da Versäumnisse auch vonseiten der deutschen Behörden vor? Reinhold Robbe sagt, sie hätten es dem Zufall und freiwilligen Initiativen bisher überlassen, das Problem zu bekämpfen.
    Heye: Ja ich glaube, dass beides notwendig ist. Ich glaube, dass wir ein hohes Maß an Unsicherheit in den Behörden haben, in den Sicherheitsbehörden auch. Ich erinnere hier nur an den Nationalsozialistischen Untergrund und wie lange türkische Familien damit behelligt wurden, als mordverdächtig an ihren eigenen Verwandten zu erscheinen, welche Art von Denken auch in den Behörden also vorhanden ist.
    Wir müssen aufhören, uns sozusagen so selbstgerecht zu vermitteln, als ob wir im Prinzip alles richtig machen und falsch machen es immer nur die anderen. Ich glaube, das ist notwendig, ein reflektierteres Miteinander zu suchen.
    Heckmann: Der Vorstandsvorsitzende des Vereins "Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland", Uwe-Karsten Heye, war das live hier im Gespräch im Deutschlandfunk. Herr Heye, danke für das Gespräch und einen schönen Tag.
    Heye: Okay.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.