O-Ton Katharina Seidler: "Wenn ihr euch hier so benehmt – das bezieht sich jetzt auf die Banken und die Finanzen -, da weiß man ja, dass ihr dahinter steckt, dann müsst ihr euch nicht wundern, wenn wieder mal so was passiert. Ich sag’ Dir das nur im Guten."
Bettina Klein: Katharina Seidler hörten wir da gerade, sie ist die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde von Niedersachsen, eine Jüdin, die zu Wort kommt in einem Film, den die ARD heute Abend ausstrahlen wird und in dem es um die Frage geht, wie lebendig eigentlich der Antisemitismus heutzutage in Deutschland ist. Eine der Autorinnen, das ist die Kollegin Kirsten Esch, die ich jetzt begrüße in unserem Studio in München. Frau Esch, zunächst mal: Weshalb dieser Film, was war die Idee und weshalb gerade jetzt?
Kirsten Esch: Gerade jetzt ist klar zu beantworten. Der 9. November 1938 ist jetzt 75 Jahre her und da wollten wir uns die Frage vorlegen, wie judenfeindlich ist eigentlich Deutschland heute, oder ist es damit endlich mal vorbei. Das war die Ausgangsfrage dieses Films.
Klein: Sie haben diesen Film in drei Bereiche aufgeteilt. Vielleicht können Sie mal was zu der Struktur des Films sagen.
Esch: Gerne. Die Struktur des Films ist: Wir haben uns überlegt, wo ist Judenfeindlichkeit eigentlich präsent. Da war natürlich gleich bei den Rechtsextremen – das hat Jo Goll gemacht, der Journalist Jo Goll – war bei den Rechtsextremen. Da war es ja klar, dass Antisemitismus vorhanden ist. Das ist ja, wie der Bayer sagt, eine gmade Wiesen. Die Rechtsextremen sind antisemitisch und auch weiterhin gefährlich, wie das der Präsident vom BKA, Ziercke, gesagt hat, dass eben 90 Prozent der Gewalttaten gehen einfach weiterhin von den Rechtsextremen aus. Die sind weiterhin klar nicht zu vernachlässigen, auch wenn wir alle darüber wissen. Das Zweite ist muslimischer Antisemitismus und da ist Ahmad Mansour dafür zuständig gewesen, der selbst israelischer Palästinenser ist und in Deutschland lebt und selbst eine islamistische Erziehung, ich will nicht sagen, genossen hat, der jetzt in Deutschland mit muslimischen Jugendlichen arbeitet. Der hat sich da nach Antisemitismus umgesehen und das war auch sehr leicht zu finden, keine Frage, auch erschreckend zum Teil. Und ich war bei der Mitte unterwegs, die wir vielleicht am liebsten vernachlässigen.
Klein: Die Mitte der Gesellschaft meinen Sie?
Esch: Die Mitte der Gesellschaft, ja. Die Linken und die Mitte wohl gemerkt, wobei das ja zum Teil sehr verschwimmt. Da war ich weitgehend unterwegs und auch da ist es so, das denken wir immer nicht, wir schieben das gerne nach rechts, muslimisch hat auch mit uns nicht viel zu tun, beruhigend, aber wir sind selbst auch gut dabei.
Klein: Welche Beispiele für Antisemitismus haben Sie dort gefunden? Wir haben gerade mal kurz den Originalton gehört von Katharina Seidler, die beschreibt, wie ihr immer noch Klischees begegnen, wie Juden mit der Finanzkrise in Verbindung gebracht werden. Was ist der Hintergrund dafür?
Esch: Der Hintergrund ist uralt. Das gab es ja schon immer, diesen Antisemitismus der Mitte. Ich will fast davon sprechen, dass es oft die geistigen Brandstifter sind oder die, die den Antisemitismus bisweilen geistig intellektuell transportieren. Und so besonders ist das nicht, wie der sich äußert. Der äußert sich heute natürlich stark über den Nahost-Konflikt. Viele wollen dann über Israel diskutieren, da mischen sich so Stereotype rein, die dann doch antisemitisch sind, auch wenn man denkt, man kritisiert nur Israel. Das ist sowieso eine neue Form des Antisemitismus.
Klein: Vielleicht können wir bei dem Beispiel mal bleiben, weil es ja immer heißt, wir kritisieren die Regierung des Staates Israel und deswegen sind wir nicht antisemitisch. Weshalb finden Sie da dennoch antisemitische Klischees? Vielleicht können Sie mal ein Beispiel nennen.
Esch: Bei der Professorin Monika Schwarz-Friesel war ich unterwegs und habe sie gefragt. Die hat 14.000 Mails untersucht, die an jüdische Institutionen gehen. Die kommen übrigens immer massiv, wenn im Nahen Osten irgendwas los ist. Dann gehen bei den jüdischen Einrichtungen irrsinnig viele Mails ein. Dann müssen Portale geschlossen werden, weil die Gemüter sich sofort auch extrem erhitzen. Da würde ich mal von einem obsessiven Verhalten sprechen, auch gerade von Doktoren, Professoren, die dann auch sich an die jüdischen Einrichtungen wenden, auch die jüdischen Gemeinden zum Teil verantwortlich machen für den Israel-Konflikt. Da finden wir die ganz üblichen Stereotypen mitten in der Israel-Kritik, und die Stereotypen sind es ja weitgehend, die Antisemitismus eigentlich ausmachen.
Klein: Sie haben jetzt keine Umfrage gemacht, sondern das sind eher empirische Eindrücke, die Sie gesammelt haben, was die Verbreitung angeht?
Esch: Ja. Natürlich haben wir auch mit dem Professor Zick gesprochen aus Bielefeld. Der nennt sich Vorurteilsforscher und war maßgeblich beteiligt bei dem Regierungsbericht über Antisemitismus. Da haben wir natürlich auch Zahlen gefunden. Aber wir haben das immer mit Passantenumfragen abgeglichen, ist wahrscheinlich zu viel gesagt, weil repräsentativ ist das natürlich nicht.
Klein: Frau Esch, haben Sie ein Fazit gezogen aus Ihren Recherchen und aus Ihren Gesprächen mit Juden und auch mit Experten?
Esch: Schwierig, ja. Natürlich das naheliegende Fazit, Antisemitismus ist weiterhin vorhanden. Das interessanteste Fazit vielleicht für mich war, dass Israel-Kritik der neue Weg ist, wie sich Antisemitismus einen Weg bahnen kann – ich sage bewusst kann -, und da schießen sich eigentlich gerne auch die NPD drauf ein, die muslimischen Antisemiten natürlich auch und auch die Mitte. Der Israel-Konflikt bietet natürlich die ideale Fläche für Antisemitismus, der aber sich in den Stereotypen äußert, und die Stereotypen, die sind ja nun uralt. Alter vermischt sich da mit Israel-Kritik und da, würde ich sagen, wird es dann auch antisemitisch.
Klein: "Antisemitismus heute – wie judenfeindlich ist Deutschland?" – ein Film heute Abend im ARD-Fernsehen, und wir sprachen mit einer der Autorinnen, Kirsten Esch. Vielen Dank.
Esch: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bettina Klein: Katharina Seidler hörten wir da gerade, sie ist die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde von Niedersachsen, eine Jüdin, die zu Wort kommt in einem Film, den die ARD heute Abend ausstrahlen wird und in dem es um die Frage geht, wie lebendig eigentlich der Antisemitismus heutzutage in Deutschland ist. Eine der Autorinnen, das ist die Kollegin Kirsten Esch, die ich jetzt begrüße in unserem Studio in München. Frau Esch, zunächst mal: Weshalb dieser Film, was war die Idee und weshalb gerade jetzt?
Kirsten Esch: Gerade jetzt ist klar zu beantworten. Der 9. November 1938 ist jetzt 75 Jahre her und da wollten wir uns die Frage vorlegen, wie judenfeindlich ist eigentlich Deutschland heute, oder ist es damit endlich mal vorbei. Das war die Ausgangsfrage dieses Films.
Klein: Sie haben diesen Film in drei Bereiche aufgeteilt. Vielleicht können Sie mal was zu der Struktur des Films sagen.
Esch: Gerne. Die Struktur des Films ist: Wir haben uns überlegt, wo ist Judenfeindlichkeit eigentlich präsent. Da war natürlich gleich bei den Rechtsextremen – das hat Jo Goll gemacht, der Journalist Jo Goll – war bei den Rechtsextremen. Da war es ja klar, dass Antisemitismus vorhanden ist. Das ist ja, wie der Bayer sagt, eine gmade Wiesen. Die Rechtsextremen sind antisemitisch und auch weiterhin gefährlich, wie das der Präsident vom BKA, Ziercke, gesagt hat, dass eben 90 Prozent der Gewalttaten gehen einfach weiterhin von den Rechtsextremen aus. Die sind weiterhin klar nicht zu vernachlässigen, auch wenn wir alle darüber wissen. Das Zweite ist muslimischer Antisemitismus und da ist Ahmad Mansour dafür zuständig gewesen, der selbst israelischer Palästinenser ist und in Deutschland lebt und selbst eine islamistische Erziehung, ich will nicht sagen, genossen hat, der jetzt in Deutschland mit muslimischen Jugendlichen arbeitet. Der hat sich da nach Antisemitismus umgesehen und das war auch sehr leicht zu finden, keine Frage, auch erschreckend zum Teil. Und ich war bei der Mitte unterwegs, die wir vielleicht am liebsten vernachlässigen.
Klein: Die Mitte der Gesellschaft meinen Sie?
Esch: Die Mitte der Gesellschaft, ja. Die Linken und die Mitte wohl gemerkt, wobei das ja zum Teil sehr verschwimmt. Da war ich weitgehend unterwegs und auch da ist es so, das denken wir immer nicht, wir schieben das gerne nach rechts, muslimisch hat auch mit uns nicht viel zu tun, beruhigend, aber wir sind selbst auch gut dabei.
Klein: Welche Beispiele für Antisemitismus haben Sie dort gefunden? Wir haben gerade mal kurz den Originalton gehört von Katharina Seidler, die beschreibt, wie ihr immer noch Klischees begegnen, wie Juden mit der Finanzkrise in Verbindung gebracht werden. Was ist der Hintergrund dafür?
Esch: Der Hintergrund ist uralt. Das gab es ja schon immer, diesen Antisemitismus der Mitte. Ich will fast davon sprechen, dass es oft die geistigen Brandstifter sind oder die, die den Antisemitismus bisweilen geistig intellektuell transportieren. Und so besonders ist das nicht, wie der sich äußert. Der äußert sich heute natürlich stark über den Nahost-Konflikt. Viele wollen dann über Israel diskutieren, da mischen sich so Stereotype rein, die dann doch antisemitisch sind, auch wenn man denkt, man kritisiert nur Israel. Das ist sowieso eine neue Form des Antisemitismus.
Klein: Vielleicht können wir bei dem Beispiel mal bleiben, weil es ja immer heißt, wir kritisieren die Regierung des Staates Israel und deswegen sind wir nicht antisemitisch. Weshalb finden Sie da dennoch antisemitische Klischees? Vielleicht können Sie mal ein Beispiel nennen.
Esch: Bei der Professorin Monika Schwarz-Friesel war ich unterwegs und habe sie gefragt. Die hat 14.000 Mails untersucht, die an jüdische Institutionen gehen. Die kommen übrigens immer massiv, wenn im Nahen Osten irgendwas los ist. Dann gehen bei den jüdischen Einrichtungen irrsinnig viele Mails ein. Dann müssen Portale geschlossen werden, weil die Gemüter sich sofort auch extrem erhitzen. Da würde ich mal von einem obsessiven Verhalten sprechen, auch gerade von Doktoren, Professoren, die dann auch sich an die jüdischen Einrichtungen wenden, auch die jüdischen Gemeinden zum Teil verantwortlich machen für den Israel-Konflikt. Da finden wir die ganz üblichen Stereotypen mitten in der Israel-Kritik, und die Stereotypen sind es ja weitgehend, die Antisemitismus eigentlich ausmachen.
Klein: Sie haben jetzt keine Umfrage gemacht, sondern das sind eher empirische Eindrücke, die Sie gesammelt haben, was die Verbreitung angeht?
Esch: Ja. Natürlich haben wir auch mit dem Professor Zick gesprochen aus Bielefeld. Der nennt sich Vorurteilsforscher und war maßgeblich beteiligt bei dem Regierungsbericht über Antisemitismus. Da haben wir natürlich auch Zahlen gefunden. Aber wir haben das immer mit Passantenumfragen abgeglichen, ist wahrscheinlich zu viel gesagt, weil repräsentativ ist das natürlich nicht.
Klein: Frau Esch, haben Sie ein Fazit gezogen aus Ihren Recherchen und aus Ihren Gesprächen mit Juden und auch mit Experten?
Esch: Schwierig, ja. Natürlich das naheliegende Fazit, Antisemitismus ist weiterhin vorhanden. Das interessanteste Fazit vielleicht für mich war, dass Israel-Kritik der neue Weg ist, wie sich Antisemitismus einen Weg bahnen kann – ich sage bewusst kann -, und da schießen sich eigentlich gerne auch die NPD drauf ein, die muslimischen Antisemiten natürlich auch und auch die Mitte. Der Israel-Konflikt bietet natürlich die ideale Fläche für Antisemitismus, der aber sich in den Stereotypen äußert, und die Stereotypen, die sind ja nun uralt. Alter vermischt sich da mit Israel-Kritik und da, würde ich sagen, wird es dann auch antisemitisch.
Klein: "Antisemitismus heute – wie judenfeindlich ist Deutschland?" – ein Film heute Abend im ARD-Fernsehen, und wir sprachen mit einer der Autorinnen, Kirsten Esch. Vielen Dank.
Esch: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.