Der Kunstbetrieb in Deutschland ist schon lange politisiert: Er beschäftigt sich zunehmend mit politischen Konflikten, viele Künstlerinnen engagieren sich, werden sogar aktivistisch. Das Engagement betrifft soziale Ungerechtigkeiten, es betrifft die scheinbare Übermacht großer Konzerne, es betrifft die Klimakrise.
Aber mit dem Nahost-Krieg hat die Politisierung der Kunstwelt eine neue Ebene erreicht. In jedem Fall wird der deutsche Kunstbetrieb von diesem Thema erschüttert wie von kaum etwas Vergleichbarem in seiner Geschichte. Denn hier stoßen zwei Welten aufeinander: die übervorsichtigen deutschen Gremien und hyperpolitisierte Künstler. Was ist also passiert?
Spätestens seit der letzten Documenta ist klar: Wenn der deutsche Kunstbetrieb den Globalen Süden in seine Entscheidungsgremien einbinden will – wie es dort versucht wurde – dann muss er mit den Konsequenzen leben und sie aktiv gestalten.
In Indonesien, in Indien, in Brasilien schaut man eben anders auf die Erinnerung an den Holocaust als in Deutschland. Die Schoa ist nicht selbstverständlicher Teil der historischen Identität wie in Deutschland. Es fehlt dafür zum Teil das Bewusstsein. Daher gehen viele Kuratorinnen und Künstler zum Teil leichtfertig damit um und schockieren nicht nur die deutschen Gremien. Das muss man bedauern, denn wer in Deutschland aktiv werden will, sollte diese Sensibilität eigentlich mitbringen.
Keine Umerziehung, sondern eine aktiv gestaltete Debatte
Was aber hilft, ist keine Umerziehung, sondern: eine aktiv gestaltete Debatte. An der kommt der deutsche Kunstbetrieb jedenfalls nicht vorbei. Er muss die richtigen Fragen stellen: Was prägt die Kuratorinnen politisch? Welche Rolle spielt das für die Kunst? Warum sind sie so auf den Nahost-Konflikt fixiert?
Was ist mit Begriffen wie „Apartheid“ oder „Genozid“? Haben sich die betroffenen Künstler die Mühe gemacht, diese Begriffe zu hinterfragen, bevor sie sie anwenden? Sie haben nun mal einen konkreten historischen und ethischen Hintergrund, im Fall Genozid einen völkerrechtlichen. Den sollte man kennen, bevor man lospoltert.
Und nicht zuletzt – wie lässt sich das besondere Verhältnis Deutschlands zu Israel berücksichtigen, ohne gleich im Streit ganze Ausstellungen oder Festivals abzusagen?
Doch für eine solche Debatte braucht es bessere Entscheidungsgremien. Kompetente, bewusste Instanzen, die die Künstler aussuchen. In denen Menschen sitzen, die mutig sind, die Ambivalenzen aushalten. Die nicht so naiv sind, in der Kunst an einen Konsens zu glauben. So etwas kann es nicht geben. Es kann nur Grenzen geben, wenn es um Hetze und Verfassungsfeindliches geht. Alles andere muss man aushalten, auch wenn es schwerfällt.
Widersprüchlichkeiten aushalten und gute Kunst schaffen
Aber auch die Künstlerinnen sind gefordert. Interessant wäre doch, wenn Künstler statt bei Instagram anti-israelische Postings zu verbreiten, sich künstlerisch mit dem Thema auseinandersetzen würden. Wenn sie ihrem Beruf nachgehen würden und die Ambivalenz des Nahost-Kriegs zulassen würden: dass sich Israel gegen einen brutalen Angriff wehrt und dabei gleichzeitig die Lage der Palästinenser verschlechtert. Beide Seiten zu sehen und die Widersprüchlichkeit auszuhalten, das wäre doch mal ein gutes Thema für politisch engagierte Künstler.
Sie sind nämlich keine politischen Kommentatoren, das müssen sie auch gar nicht sein, niemand erwartet das von ihnen. Was man erwarten kann, ist gute Kunst, sind neue ungewohnte Perspektiven jenseits der täglichen Debatten im politischen Raum.
Der deutsche Kunstbetrieb ist überfordert, aber er muss es nicht bleiben. Er sollte diese Krise nutzen und sich neu erfinden. Er sollte sich öffnen für eine nötige Debatte. Entfliehen kann er ihr sowieso nicht.