Der Zeitpunkt war wohl überlegt. Der britische Chef-Rabbiner Ephraim Mervis setzte einen Gastartikel für die Times auf und griff Labour-Chef Jeremy Corbyn frontal an. Von der Spitze der Partei herab fließe Antisemitismus wie ein Gift von oben nach unten. Jeder möge sich seine Wahlentscheidung genau überlegen. Andere jüdische Vertreter stimmten zu, zum Beispiel der Rabbi Jonathan Romain.
"Zum ersten Mal müssen sich Juden nach hinten umschauen. Wir sind das nicht gewöhnt. Ich lebe hier in Großbritannien, ich bin Brite. Niemals zuvor hat eine Partei dafür gesorgt, dass ich mich als andersartig empfinde."
Der Vorwurf, unter Jeremy Corbyn würde ein linker Antisemitismus bei Labour toleriert, ist nicht neu. Ein prominentes Beispiel ist der frühere Londoner Bürgermeister Ken Livingston. Er hatte allen Ernstes behauptet, Adolf Hitler habe bis 1932 den Zionismus unterstützt. Livingston war von seinem Parteifreund John Man daraufhin zur Rede gestellt worden.
"Du bist ein Nazi-Apologet. Du schreibst die Geschichte um. Sieh dir doch an, was Hitler getan hat. Er hat ‚Mein Kampf‘ geschrieben."
Abkehr jüdischer Labour-Mitglieder
Jeremy Corbyn stellte sich lange gegen einen Parteiausschluss seines Freundes Livingston. Ein anderes Mal kommentierte Corbyn ein Graffiti auf Facebook wohlwollend, das sechs Männer mit jüdischen Hakennasen am Monopoly-Tisch zeigte. Er habe den Post nicht richtig angeschaut, entschuldigte sich Corbyn. 2014 legte er dann einen Kranz in Tunis nieder, obwohl dabei auch der Mitglieder des Schwarzen September gedacht wurde. Die Terrororganisation stand hinter dem Olympia-Attentat von 1972.
In der BBC wurde Corbyn jetzt gefragt, ob er sich für den Antisemitismus in seiner Partei entschuldige. Corbyn tat es nicht, auch nicht nach der vierten Nachfrage. Er beteuerte stattdessen, Labour verurteile strikt jedweden Rassismus und Antisemitismus. Jüdische Mitglieder wenden sich in Scharen von Labour ab, Abgeordnete verlassen verbittert die Partei.
Auf der anderen Seite stehen aber auch die Konservativen in der Kritik: bei den Tories grassiere die Islamophobie. "Sie haben damit ein ganz spezielles Problem", sagt eine Sprecherin des Rats der britischen Muslime. "Das gilt für Abgeordnete und sogar den Premierminister. Er muss diese Problem erkennen."
"Kann nachvollziehen, wie es Muslima geht"
Boris Johnson hatte, bevor er Premierminister wurde, in Zeitungskolumnen geschrieben, er finde es lächerlich, wenn Menschen wie Briefkastenschlitze oder Bankräuber aussähen. Im Unterhaus wurde er dafür erst vor zwei Monaten von einem Labour-Abgeordneten, der den Sikhs angehört, scharf kritisiert.
"Wir wurden als Kinder als Taliban beschimpft, wir würden ein Handtuch auf dem Kopf tragen oder aus Bongo-Bongo Land kommen. Ich kann nachvollziehen, wie es Muslima geht, wenn es heißt, sie sähen aus wie Bankräuber oder Briefkästen."