„Elon Musk hetzt auf Twitter gegen (den US-Virologen) Anthony Fauci“, Elon Musk „bettelt“ Elton John an, nachdem dieser Twitter verlässt. Oder, ganz aktuell, Elon Musk sperrt den Account, der über sein Privatflugzeug getwittert hat. Seit seiner Übernahme von Twitter produzieren Medien fast täglich Schlagzeilen über den Unternehmer.
Das US-Magazin „Wired“ sprach deshalb gerade von der „Trumpification“ Musks. Wieder einmal habe „ein einzelner narzisstischer Troll unsere Fähigkeit, eine vernünftige Diskussion über die Zukunft zu führen, kurzgeschlossen“, so „Wired“. Dass bei Twitter bereits vor Musk vieles im Argen lag, wird darüber teilweise manchmal fast vergessen.
Urteil: Ehrverletzung durch Tweet
Am Landgericht in Frankfurt am Main wurde in den vergangenen Wochen die Klage des baden-württembergischen Antisemitismusbeauftragten Michael Blume verhandelt. Die Geschichte um diesen Fall hatte in der Twitter-Zeit kurz vor Musk begonnen und sich unter seiner Ägide fortgesetzt. Im Kern geht es um die Frage, wie Twitter mit Falschmeldungen umgeht. Blume wirft der Plattform vor, mitverantwortlich für im September veröffentlichte verleumderische Nachrichten gegen seine Person zu sein. Und das nun gesprochene Urteil in der Sache teilt diese Einschätzung.
Betroffene könnten von Twitter verlangen, „dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden“, heißt es in der Pressemitteilung zu dem Urteil (Az. 2-03 O 325/22), das noch nicht rechtskräftig ist. Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern müsse das US-Unternehmen entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt habe.
Meinungsäußerung, aber eine rechtswidrige
Ihm gehe es um die ganz grundsätzliche Frage, wie viel Hetze auf Twitter verbreitet werden dürfe und inwieweit Opfer von Verleumdungskampagnen allein gelassen würden, hatte Blume Ende November gegenüber der dpa erklärt. So sei auf der Plattform behauptet worden, er gehe fremd und betrüge seine Frau mit Minderjährigen. Zudem wurde verbreitet, Blume sei „Teil eines antisemitischen Packs“, wie die Pressekammer des Landgerichts Frankfurt nun festhielt.
Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung; sie sei aber „jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig“, so das Gericht weiter, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.
Blumes Anwalt Jun: Guter Tag für Würde des Menschen
„Heute ist ein guter Tag für die Würde des Menschen, die Meinungsfreiheit und den demokratischen Rechtsstaat“, kommentierte Blumes Anwalt Chan-jo Jun auf Twitter das Urteil. Es zeige sich, dass Regeln für alle „und nicht nur für Milliardäre und anonyme Trolle“ gelten würden.
Twitter habe argumentiert, es gebe nach europäischem Gericht keine allgemeine Monitoring-Pflicht, führte der Würzburger Medienrechtler gegenüber dem Deutschlandfunk aus. Dem sei das Gericht unter anderem begegnet mit einem Hinweis auf das NetzDG, also dem sogenannten „Facebook-Gesetz“, das seit mehr als fünf Jahren die Strafverfolgung in sozialen Netzwerken stärken soll.
„Bemerkenswerter Seitenhieb“ mit Hinweis auf NetzDG
Wörtlich heißt es in dem 18-seitigen Urteil, "der von der Antragsgegnerseite (also Twitter) ins Feld geführten Gefahr des Overblockings kann dadurch begegnet werden, dass die Antragsgegnerin das von § 3b NetzDG normierte Gegenstellungsverfahren durchführt“.
Das sei ein „bemerkenswerter Seitenhieb“, findet Jun. Denn anders als Facebook und Google weigere sich Twitter bislang, diesen Paragrafen (3b) des NetzDG umzusetzen.
Twitter beruft sich dabei auf ein Stillhalteabkommen mit der Bundesregierung. Doch die betonte jüngst betont, zwar gebe es keine Bußgelder, das Gesetz gelte aber dennoch auch für Twitter.
Das Gericht stellte nun aber auch klar, dass Twitter keine allgemeine Monitoring-Pflicht mit Blick auf seine rund 237 Millionen Nutzer auferlegt werde. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzungen.
GFF: Erwartbares Urteil und offene Fragen
Das Urteil überrasche angesichts der bisherigen Rechtsprechung derselben Kammer nicht, kommentierte Benjamin Lück, Rechtsanwalt bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, gegenüber dem Deutschlandfunk. Twitter müsse danach nicht nur die persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalte von dem Account selbst löschen, sondern plattformweit sinngemäße Inhalte.
Was auch nach diesem Urteil offen bleibe, sei die Frage, wie Twitter damit umgehen müsse, „wenn Nutzerinnen und Nutzer neue Inhalte hochladen, die potentiell von dem Verbot betroffen sind“. Plattformen müssten die einzelnen Inhalte stets individuell daraufhin überprüfen, ob sie unter das gerichtliche Verbot fallen, betont Benjamin Lück. „Ist der neue Inhalt dann aber bis zum Abschluss der Prüfung nicht sichtbar, führt das Urteil also zu einer Verzögerung bestimmter Uploads? Hier hätten wir uns Antworten des Gerichts gewünscht.“
Der Verein hat in dieser Woche Eckpunkte für ein Digitales Gewaltschutzgesetz vorgestellt, mit denen gerichtliche Accountsperren möglich werden sollen. Nur das helfe gegen "hartnäckige Wiederholungstäter", ist der Rechtsanwalt überzeugt. Man dürfe dem Hass auf Twitter, Facebook und Co. nicht das Feld überlassen. Weil die Zeit dränge, arbeite die GFF an einem Gesetzentwurf mit konkreten Schutzmechanismen.
HateAid: Mehr als ein Urteil in einem Einzelfall
Die Organisation HateAid hatte Blume bei seiner Klage unterstützt. Man habe daran geglaubt, dass dieses Verfahren über den Einzelfall hinaus wichtig sei, betont Josephine Ballon, Juristin bei HateAid. Und das Urteil bestätige nun die Einschätzung, „dass Twitter nicht alles getan hat, um vernünftig zu regulieren“, so Ballon gegenüber dem Deutschlandfunk nach der Urteilsverkündung.
Auch das US-Unternehmen müsse sich an in Deutschland geltendes Recht halten. „Twitter ist mehr abzuverlangen“, fordert Ballon. Aktuell aber würden Betroffene noch im Regen stehen gelassen.
In dieser Woche war bekannt geworden, dass Twitter nach dem Verwaltungsrat offenbar ein weiteres beratendes Kontrollgremium aufgelöst hat. Der "Trust and Safety Council", also der Rat für Vertrauen und Sicherheit, sei per Mail über seine Auflösung in Kenntnis gesetzt, wie verschiedene Medien berichten. Der Rat war 2016 gegründet worden, um Twitter bei Hassrede und anderen problematischen Themen zu beraten.
Musk setze im Kampf gegen Desinformation auf die ganze Community, wie der BR analysiert. Zuletzt hatte er über sein persönliches Profil, dem 121 Millionen Accounts folgen, über eine Rückkehr von Profilen abstimmen lassen, die in der Vergangenheit wegen der Verbreitung von Desinformation und Hetze gelöscht worden waren. Am meisten Schlagzeilen machte dabei eine Abstimmung: die über den Account von Ex-Präsident Donald Trump.