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Antoine de Saint-Exupéry
Große Hoffnungen

Zwei frühe Texte von Antoine de Saint-Exupéry liegen nun auf Deutsch vor: das bezaubernde Prosastück "Manon, Tänzerin" und "Der Pilot und der Mensch" mit Fragmenten späterer Romane und Essays. Zu kritisieren ist die manchmal wunderliche Übersetzung.

Von Gernot Krämer | 16.09.2009
    Der französische Autor Antoine de Saint-Exupéry ist im Profil an einem Schreibtisch zu sehen.
    Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944) auf einer undatierten und kolorierten Aufnahme (picture alliance / Mary Evans Picture Library / Mary Evans Picture Library)
    Antoine de Saint-Exupéry war zuletzt mehr durch sein Ende im Gespräch als durch sein Werk: 2005 fand man das Wrack seines Flugzeugs im Mittelmeer, nach mehr als 60 Jahren völliger Ungewissheit, und auch der deutsche Pilot, der ihn im Sommer 1944 abschoss, wurde ermittelt. Er war – tragische und kuriose Pointe – ein Leser Saint-Exupérys, schon damals.
    Doch Saint-Exupéry macht auch literarisch durchaus noch von sich reden. So erschien 2006 bei Gallimard eine Kassette mit vier Bändchen, die zum größten Teil unveröffentlichtes Material enthalten – Briefe, Skizzen, Vorträge und Erzählungen. Die gibt es jetzt auch auf deutsch, in zwei Büchern mit den Titeln "Manon, Tänzerin" und "Der Pilot und der Mensch", beide übersetzt von Annette Lallemand.
    Die Texte stammen überwiegend aus den Anfangsjahren des Schriftstellers; der bedeutendste ist "Manon, Tänzerin", ein bezauberndes Prosastück von 1925, mit dem Saint-Exupéry beinahe debütiert hätte. Doch die Nouvelle Revue Française druckte stattdessen seine Erzählung "Der Flieger", die Keimzelle des späteren Romans "Südkurier". Auch ein geplanter Novellenband erschien nicht, und so blieb das Manuskript aus Privatbesitz unveröffentlicht bis auf ein Fragment von 15 Zeilen.
    Saint-Exupéry setzte große Hoffnungen in diese Erzählung, er hielt sie aber für etwas gewagt wegen des Sujets. Manon, die Titelheldin, ist nämlich keineswegs bloß eine Tänzerin, auch wenn ihr neuer Liebhaber das glaubt: "Ich, Ihre Liebste? Eine schöne Liebste! Sie wissen ja gar nicht, was ich bin ... Natürlich kann ich nicht nur vom Tanzen leben, Sie verstehen!"
    Doch nein, er versteht nicht, er begreift nicht diesen Wink mit dem Zaunpfahl. Es braucht den brutalen Übermut seiner Freunde, damit ihm die Augen aufgehen. Er zieht sich brüsk von ihr zurück, sie sucht eine Aussprache, und als das nicht gelingt, wirft sie sich vor ein Auto.

    Die Einsamkeit der Nachtschwärmerin

    Die Geschichte selbst ist nicht sehr originell – sie variiert das Motiv der Hure, die sich für ihre Liebe opfert –, wohl aber die lakonische und überaus poetische Erzählweise mit Schnitten, Sprüngen und Auslassungen, wie hingehauchten Sätzen und herangezoomten Details. Es ist die Innenweltdarstellung einer vereinsamten Nachtschwärmerin, die Nähe sucht und Oberflächlichkeit und Gier begegnet. Der Erzählung folgen 13 Liebesbriefe Saint-Exupérys an seine Ex-Verlobte Louise de Vilmorin und an die Schauspielerin Natalie Paley. Der Band "Manon, Tänzerin" thematisiert also gleichsam Saint-Exupéry und die Frauen.
    Im zweiten Band "Der Pilot und der Mensch" finden sich Fragmente zu "Südkurier" und "Nachtflug", Briefe an Mentoren und Kritiker, Dokumente sowie Essays zum literarischen Ethos und zur Herausforderung Technik – Fragen also, die Saint-Exupéry auch sonst beschäftigten. Keiner der Texte war in dieser Form zum Druck vorgesehen, und das ist auch gelegentlich zu merken: hier eine nicht zu entziffernde Stelle im Manuskript, dort eine nicht ganz stringente Argumentation. Dennoch sind es prägnante, ja stellenweise ausgesprochen schöne Texte.
    Das Vergnügen wird allerdings geschmälert durch die manchmal wunderliche Übersetzung. Es gibt Stellen, die im Original völlig klar sind, auf Deutsch aber verworren klingen. Das gilt vor allem für den Essay-und-Fragmente-Band. Was, beispielsweise, soll man sich unter einem "industriellen, kommerziellen und auf menschlicher Ebene unvergleichlichen Erlebnis" vorstellen?

    Schludrig und willkürlich übersetzt

    Manche Umständlichkeit oder unidiomatische Wendung erklärt sich durch übertriebenes Festhalten an Lexik und Syntax des Originals, doch auch Schludrigkeiten und Willkürakte kommen vor. Vergleichsweise amüsant sind da noch Redundanzen wie "zeitweilige Pause" und "kontinuierliche Beharrlichkeit" oder unbeabsichtigter Nonsens wie: "Ich kann natürlich nicht sagen, wer es war, aber sagen kann ich es."
    Solche Ungeschicklichkeiten sind besonders schmerzlich dort, wo Saint-Exupéry über Stilfragen nachdenkt, wie in dem Vortrag "Der Pilot". Seine Polemik gegen den einst berühmten Schriftstellerkollegen Paul Morand, dem er Willkür und mangelnde Präzision vorwirft, verliert an Glaubwürdigkeit in einer Übersetzung, die von solchen Mängeln selbst nicht frei ist.

    Von Ratlosigkeit zeugen leider auch Stellen, wo es ums Fliegen geht. Einmal, bei einem Start unter schwierigen Bedingungen, droht Saint-Exupérys Maschine in der deutschen Version "ins Trudeln" zu geraten. Im Original ist vom Absacken die Rede, vom Zurückfallen auf die Startbahn – von einem Spiralsturz keine Spur. Trudeln klingt halt immer gut, wenn es ums Fliegen geht.
    Und dann gibt es Stellen wie die folgende aus dem Fragment "Heute Abend habe ich mein Flugzeug besucht":
    "Selbst in der Unschärfe der Nacht scheinen die Sandwellen Bahnen zu säumen. Ich hatte mir eine präzise Erinnerung an dieses Leben bewahrt, wo wir immer von einem Schatz redeten, was sich auch gar nicht besser ausdrücken lässt als durch diesen Begriff vom in der Nähe verborgenen Schatz, zu dem auch enge Freundschaft gehört oder ein Unbekannter, der, aus dem Sand kommend, sich einem nähert."
    Wer jetzt nur Bahnhof verstanden hat, dem sei gesagt: An Saint-Exupéry liegt es nicht.
    Antoine de Saint-Exupéry:
    Der Pilot und der Mensch
    , 157 Seiten, 14,90 Euro
    Manon, Tänzerin, 107 Seiten, 9,90 Euro
    Aus dem Französischen von Annette Lallemand
    Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2009