Ulrich Biermann: Seit 40 Jahren ist der Niederländer Anton Corbijn mit der Fotokamera unterwegs, und seit circa 30 Jahren arbeitet er auch mit Bewegtbildern, zuerst in Musikvideofilmen, seit 2007 dann auch als Spielfilmregisseur. Am Anfang, in den 70er- und 80er-Jahren, standen grobkörnige Schwarz-Weiß-Fotos von Musikern. Die Kamera verschaffte ihm Zugang zu seinen Idolen, später gestaltete er auch ihre Plattencover und inszenierte ihre Videoclips. Für eine Fotoserie verkleidete er sich selbst als Kurt Cobain, Jimi Hendrix oder John Lennon und fotografiert sich so vor seinem Elternhaus. In einer anderen Serie fakte er Paparazzi-Schnappschüsse mit Prominenten in Alltagsposen: Björk mit Puppe am Gartenzaun, Mel Gibson bei Liegestützen, Danny De Vito einen Luftballon hochhaltend. Inzwischen hat er auch sein erstes Werbevideo gedreht, für ein Parfum, mit Natalie Portman als Braut, die im letzten Moment reiß aus nimmt. Mit "Control" über Leben und Tod des Sängers der Post-Punk Band Joy Division hat Anton Corbijn 2007 seinen ersten Kinofilm vorgelegt, es folgten "The American" mit George Clooney und "A Most Wanted Man" nach John Le Carré mit Philip Seymour Hoffman, Herbert Grönemeyer, Nina Hoss, Daniel Brühl. Heute wird Anton Corbijn, der Pfarrerssohn und Autodidakt, 60 Jahre, das Gemeentemuseum in Den Haag zeigt noch bis 21. Juni eine Retrospektive auf sein Werk "Hollands Deep", bevor im Oktober sein vierter Kinofilm bei uns erscheint, "Life" über die berühmte Fotoserie von Dennis Stock mit James Dean als Motiv. Sigrid Fischer hat mit dem Fotografen und Filmregisseur Anton Corbijn gesprochen.
Sigrid Fischer: Können Sie sich noch an Ihr erstes Foto erinnern, das Sie in professioneller Absicht gemacht haben?
Corbijn: Das weiß ich sehr genau, das war am 28. August 1972. Eine Band, die ich mochte, hat einen kleinen Open-Air-Gig in meiner Heimatstadt gegeben. Wir waren gerade erst dahin gezogen und ich kannte noch niemanden und war zu schüchtern, um zu dem Konzert zu gehen. Also habe ich die Kamera von meinem Vater mitgenommen. Denn wenn man schüchtern ist, denkt man ja immer, dass einen alle angucken und über einen reden: was macht der denn da und so. Aber wenn ich mit der Kamera auf die Bühne ginge, würden sie doch denken: der hat eine Kamera, klar geht der auf die Bühne. Und dann habe ich ein paar Fotos von der Band gemacht und sie zu einer Zeitschrift geschickt. Drei davon haben sie gedruckt und ich dachte: Wow! Ich hab den Jackpot gewonnen! Und ich wusste, was ich werden will.
Fischer: Gibt es aus all den Jahren ein Lieblingsfoto oder eins, das Ihnen am meisten bedeutet?
Corbijn: Wenn man als Studiofotograf arbeitet, hat man vielleicht ein Lieblingsfoto. Aber ich reise ja für jedes Bild irgendwohin. Und deshalb hat für mich nicht nur das fotografische Resultat eine Bedeutung, sondern die ganze Reise auch, und das unterwegs Erlebte und Empfundene. Darum kann ich ganz schwer eines meiner Fotos herausgreifen. Ich weiß schon, welches das berühmteste ist, aber das ist nicht unbedingt das, das mir am besten gefällt.
"Das Geheimnisvolle ist nicht mehr da"
Fischer: Vor 40 Jahren, als Sie angefangen haben, gab es noch kein Internet, nur drei Fernsehprogramme in Deutschland, wir lebten noch nicht mit der Bilderflut von heute. Ist die Bedeutung von Fotografie trotzdem noch so groß wie damals?
Corbijn: Das Geheimnisvolle ist nicht mehr so da wie früher, weil wir heute über so viele Informationen verfügen. Aber die Fotografie ist immer noch sehr wichtig. Schon weil es so viel davon gibt. Die wirklich schönen Fotos hängen im Museum, der Fotografie wurde nie mehr Aufmerksamkeit zuteil als jetzt. Ob sie noch die gleiche Wirkung haben kann, das weiß ich nicht. Wenn zum Beispiel heute jemand sehr besonders aussieht, landet er gleich im Internet. Deshalb ja, die Zeiten haben sich geändert. Die große Ausstellung über 40 Jahre meiner Arbeit in Den Haag, die hoffentlich auch noch nach Berlin kommt, die habe ich jetzt gemacht, weil ich denke, so wie ich dazu kam, Menschen zu fotografieren, so geht das heute nicht mehr. Also dass man mit Leuten aufwächst und die dann fotografiert, dass man überhaupt Zugang zu ihnen bekommt. Das hat sich alles sehr geändert.
Fischer: Jetzt haben Sie, Anton Corbijn, einen Film über einen Fotografen aus den 50er-Jahren gedreht, Dennis Stock, den späteren Magnum-Fotografen, der den noch nicht sehr bekannten James Dean fotografiert. Nach dieser Fotoserie sind beide berühmt geworden. Life heißt der Film, kommt im Oktober ins Kino. Da gibt es ja Parallelen zu Ihnen, Sie haben ja auch viele Künstler abgelichtet.
Corbijn: Genau, das war auch mein Zugang zu dem Film, ein Fotograf, der jemanden fotografiert, der in der Öffentlichkeit steht. Das mache ich ja seit 40 Jahren. Ob Maler, Schriftsteller, Models oder Schauspieler... Dennis Stock ist interessant, weil er kein Porträtfotograf war. Ich kann mich mit seiner Arbeit sehr identifizieren. Als ich angefangen habe, habe ich das genauso gemacht: Menschen in ihrer Umgebung fotografiert. Auch das historische Element darin, man sieht sehr viel von den 50er-Jahren in seinen Bildern. Wenn man nur Porträts macht, geht das verloren.
Fischer: Warum wird ein bestimmtes Foto, wie das von James Dean am Times Square, das wohl jeder kennt auf der Welt, warum wird so ein Foto Kult? Können Sie das nachvollziehen?
Corbijn: Ja, das ist schon erstaunlich. Denn wenn man es sich mal ansieht, wirkt es ziemlich chaotisch, man kann den Grund gar nicht erkennen, warum es ein Kult-Foto ist. Offensichtlich ist es bei Menschen, die jung sterben so, dass alles vor ihrem Tod eine andere Dimension bekommt. Außerdem wirkt dieses Foto auf mich wie Jazz. Mitte der 50er haben Leute seiner Generation einiges verändert, man hat nicht mehr die Musik der Eltern gehört, sondern Jazz und Rock'n'Roll. Alles das strahlt dieses Foto aus. Und deshalb spricht es so viele Leute an.
Fischer: Und wer weiß: Ohne Regen hätte es vielleicht nie diese Wirkung gehabt.
Corbijn: Das ist oft so: Ideale Situationen ergeben nicht unbedingt ideale Fotos. Das habe ich selbst oft genug festgestellt.
"Beim Film erkenne ich den Vorteil des Digitalen"
Fischer: Anton Corbijn, irgendwann sind Sie zum Bewegtbild übergegangen, die Liste Ihrer Musikvideos ist unglaublich lang, von Art of Noise über Depeche Mode, U2, Johnny Cash, Nirvana, bis Coldplay und Arcade Fire. Waren die Musikvideos dann auch der erste Schritt hin zum Filmemachen?
Corbijn: Ich bin nicht sicher, ob ich vom Musikvideoregisseur zum Filmregisseur geworden bin. Das sind wirklich zwei unterschiedliche Welten. Bei mir kam das eher zufällig zustande. Man fand die Geschichten in meinen Musikvideos gut und dachte, ich sollte Filme drehen. Ich habe das nie gedacht und alle Drehbücher, die mir zugeschickt wurden, abgelehnt. Ich fühlte mich nicht kompetent. Erst als die Geschichte über Ian Curtis kam, den Frontman von Joy Division, war das anders, denn ich kannte Ian und diese emotionale Verbindung würde mich qualifizieren für den Film, vielleicht mehr als andere Regisseure. Also das war alles ungeplant. Mir geht es darum, eine neue Sprache zu entdecken, mit der ich Geschichten erzählen kann. Das ist Film für mich.
Fischer: Wie stehen Sie in beiden Medien - also Fotografie und Film - zur digitalen Technologie?
Corbijn: Das sehe ich bei Film und Fotografie unterschiedlich. Beim Film erkenne ich den Vorteil des Digitalen sofort. Weil man auch mit wenig Licht sehr vieles einfangen kann. Es spart einfach ganz praktisch die aufwendige Lichtsetzung. Und man kann es auch sehr leicht wie Film aussehen lassen, das wollen die Leute ja interessanterweise, dass digital Gedrehtes trotzdem wie Film aussieht. Genau wie sie wollen, dass CDs wie Vinyl klingen. Das ist schon merkwürdig. Sie werfen die Dinge weg und wollen sie trotzdem als Maßstab haben. Aber in der Fotografie bevorzuge ich das Analoge. Ich fotografiere nach wie vor alles analog. Das Einzige, was ich inzwischen anders mache, ist, dass ich die Negative einscanne und sie dann digital nachbearbeite. Also der ganze Dunkelkammerprozess findet jetzt im Computer statt. Und so kombiniere ich das Beste aus beiden Welten. Ich finde analoge Fotografie einfach immer noch wunderschön und auch mein Denken entspricht ihr. Ich wollte ja den Fotografenberuf nie geregelt ausüben, sondern es war immer ein Abenteuer für mich: rausgehen, Bilder machen und wenn man zurückkommt erst mal gar nicht wissen, was man auf dem Film hat. Diese Spannung ist interessant, man weiß nicht, ob man es vermasselt hat oder ob dabei etwas Großartiges herausgekommen ist. Und das nicht Perfekte gehört für mich auch immer dazu.
Fischer: Sie können immer sehr bekannte Schauspieler für Ihre Filme gewinnen, George Clooney, Philipp Seymour Hoffman, Robin Wright, oder auch Robert Pattinson als Dennis Stock, vielleicht hat es ja mit dem Fotografen Anton Corbijn zu tun, der einen besonderen Blick auf die Menschen hat?
Corbijn: Ja, vielleicht denken sie erst so, und haben es hinterher bereut, ich weiß es nicht. Aber natürlich hat jeder andere Erwartungen an mich, genau wie ich auch, ich muss sehen, wie ein Schauspieler arbeitet, und einige sind da sehr speziell. Aber genau das gefällt mir ja daran. Ich habe mit dem Filmemachen ja erst spät in meinem Leben angefangen und viel Neues entdeckt. In der Fotografie weiß ich sehr genau, zu was ich fähig bin, beim Film nicht.
Fischer: Also könnte es auch mal schief gehen?
Corbijn: Scheitern ist immer möglich. Als Option lasse ich das nicht gelten, aber möglich ist es.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.