Doris Schäfer-Noske: Der italienische Schriftsteller Antonio Tabucchi wurde immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Sein wohl bekanntester Roman ist "Erklärt Pereira" aus dem Jahr 1994. In Deutschland war Antonio Tabucchi schon vorher bekannt durch den früheren Cheflektor und heutigen Geschäftsführer des Hanser-Verlags, Michael Krüger. Frage: Herr Krüger, Sie haben Antonio Tabucchi dem deutschen Lesepublikum bekannt gemacht. Wie sind Sie denn auf ihn gestoßen?
Michael Krüger: Damals erschien ein kleines Buch von ihm, das hieß "Indisches Nachtstück" und war eine eigentümliche Reise durch die Welt bis nach Indien, in dem sozusagen alle romantischen, aber auch alle, wie man damals sagte, postmodernen Elemente seiner Kunst zusammenfanden. Und ich kannte den Namen schon als Herausgeber der Werke von Fernando Pessoa, die damals auch bei uns zu erscheinen begannen, und interessierte mich damals für das Nachtstück, und das wurde auch ein ziemlich großer Erfolg, ist dann später sogar verfilmt worden und in kleinen Kinos lange gelaufen. Aber es war ein Autor für sehr wenige Leser, bis dann plötzlich sein berühmtestes Buch "Sostiene Pereira" erschien, "Erklärt Pereira", 1993/94, in dem er eben seine lebenslange Liebe zu Portugal – er wohnte ja in Pisa und in Portugal – zusammengefasst hat. Dieser Pereira erklärt seinem Publikum die Welt, und das ist die Welt um 1938 in Portugal, also die Zeit des Salazar-Regimes. Daraus ersieht man auch, dass Tabucchi eben ein großer antifaschistischer Denker war und auch in den letzten Jahren immer wieder Stellung bezogen hat, nicht zuletzt massiv gegen die Herrschaft von Berlusconi. Es gibt ein sehr schönes Buch von ihm, das mir jetzt wieder eingefallen ist, als ich von seinem Tod hörte, nämlich "Tristano stirbt", wo er jemand, einen Autor, einen Schriftsteller an sein Sterbebett holt, ruft und ihm sein Leben erzählt. Und das Letzte, was ich von Tabucchi gehört habe, war eben, dass er Freunde um sein Sterbebett in Portugal versammelt hat, um ihnen noch einmal sein Leben zu erzählen.
Schäfer-Noske: Was wird denn von ihm bleiben?
Krüger: Ich glaube, mit Sicherheit werden seine Bücher über Pessoa bleiben, denn Pessoa ist sozusagen zwar der am meisten übersetzte, aber am wenigsten wirklich gelesene portugiesische Schriftsteller und ein sehr komplizierter Schriftsteller, den er wunderbar kommentiert hat. Ganz sicher werden bleiben von seinen etwa 100 Erzählungen 20, 30 ganz geniale Erzählungen, in denen er eben immer dieses Verhältnis von Literatur und Leben thematisiert hat. Ich glaube auch, dass "Sostiene Pereira" bleiben wird, "Erklärt Pereira", weil das doch ein gültiges Buch über die Auseinandersetzung mit dem Faschismus ist. Unter den Literaten wird mit Sicherheit auch "Tristano stirbt", der kleine Roman, und die Novelle "Das Indische Nachtstück" bleiben.
Schäfer-Noske: Dieses Thema im indischen Nachtstück ist ja ein Thema, das öfter bei ihm aufgetaucht ist: Eine Suche nach einem vermissten Freund in dem Fall, und im Endeffekt mündet das Ganze dann in eine Suche nach sich selbst.
Krüger: Ich glaube, das ist so ein Thema, das ihm durch Fernando Pessoa gekommen ist. Fernando Pessoa hat ja bekanntlich unter fünf verschiedenen Namen publiziert und nicht nur publiziert, sondern eben auch unter verschiedenen Identitäten publiziert und war sozusagen der Prototyp dessen, der auf der Suche nach sich selber ist. Ich glaube, diese Art, dass man sagt, in einem stecken viele potenzielle Möglichkeiten und nicht nur eine, für die man sich dann entscheidet, um irgendwie ein bürgerliches Leben zu führen – aber was machen die anderen, verstecken die sich, kommen die doch mal zum Vorschein, sind das nur Träume -, diese ganze Suche nach der Frage, wer man eigentlich ist und was man auf dieser Welt tut und warum man es so tut und nicht anders, das war das Lebensthema von ihm und das kommt in allen seinen Büchern auf eine ganz unmittelbare Weise zum Ausdruck.
Schäfer-Noske: Das war Michael Krüger, Geschäftsführer des Hanser-Verlags, zum Tod des italienischen Schriftstellers Antonio Tabucchi.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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"Es ist ein weißer Totalitarismus" - Autor Antonio Tabucchi über Italien unter Berlusconi *
Michael Krüger: Damals erschien ein kleines Buch von ihm, das hieß "Indisches Nachtstück" und war eine eigentümliche Reise durch die Welt bis nach Indien, in dem sozusagen alle romantischen, aber auch alle, wie man damals sagte, postmodernen Elemente seiner Kunst zusammenfanden. Und ich kannte den Namen schon als Herausgeber der Werke von Fernando Pessoa, die damals auch bei uns zu erscheinen begannen, und interessierte mich damals für das Nachtstück, und das wurde auch ein ziemlich großer Erfolg, ist dann später sogar verfilmt worden und in kleinen Kinos lange gelaufen. Aber es war ein Autor für sehr wenige Leser, bis dann plötzlich sein berühmtestes Buch "Sostiene Pereira" erschien, "Erklärt Pereira", 1993/94, in dem er eben seine lebenslange Liebe zu Portugal – er wohnte ja in Pisa und in Portugal – zusammengefasst hat. Dieser Pereira erklärt seinem Publikum die Welt, und das ist die Welt um 1938 in Portugal, also die Zeit des Salazar-Regimes. Daraus ersieht man auch, dass Tabucchi eben ein großer antifaschistischer Denker war und auch in den letzten Jahren immer wieder Stellung bezogen hat, nicht zuletzt massiv gegen die Herrschaft von Berlusconi. Es gibt ein sehr schönes Buch von ihm, das mir jetzt wieder eingefallen ist, als ich von seinem Tod hörte, nämlich "Tristano stirbt", wo er jemand, einen Autor, einen Schriftsteller an sein Sterbebett holt, ruft und ihm sein Leben erzählt. Und das Letzte, was ich von Tabucchi gehört habe, war eben, dass er Freunde um sein Sterbebett in Portugal versammelt hat, um ihnen noch einmal sein Leben zu erzählen.
Schäfer-Noske: Was wird denn von ihm bleiben?
Krüger: Ich glaube, mit Sicherheit werden seine Bücher über Pessoa bleiben, denn Pessoa ist sozusagen zwar der am meisten übersetzte, aber am wenigsten wirklich gelesene portugiesische Schriftsteller und ein sehr komplizierter Schriftsteller, den er wunderbar kommentiert hat. Ganz sicher werden bleiben von seinen etwa 100 Erzählungen 20, 30 ganz geniale Erzählungen, in denen er eben immer dieses Verhältnis von Literatur und Leben thematisiert hat. Ich glaube auch, dass "Sostiene Pereira" bleiben wird, "Erklärt Pereira", weil das doch ein gültiges Buch über die Auseinandersetzung mit dem Faschismus ist. Unter den Literaten wird mit Sicherheit auch "Tristano stirbt", der kleine Roman, und die Novelle "Das Indische Nachtstück" bleiben.
Schäfer-Noske: Dieses Thema im indischen Nachtstück ist ja ein Thema, das öfter bei ihm aufgetaucht ist: Eine Suche nach einem vermissten Freund in dem Fall, und im Endeffekt mündet das Ganze dann in eine Suche nach sich selbst.
Krüger: Ich glaube, das ist so ein Thema, das ihm durch Fernando Pessoa gekommen ist. Fernando Pessoa hat ja bekanntlich unter fünf verschiedenen Namen publiziert und nicht nur publiziert, sondern eben auch unter verschiedenen Identitäten publiziert und war sozusagen der Prototyp dessen, der auf der Suche nach sich selber ist. Ich glaube, diese Art, dass man sagt, in einem stecken viele potenzielle Möglichkeiten und nicht nur eine, für die man sich dann entscheidet, um irgendwie ein bürgerliches Leben zu führen – aber was machen die anderen, verstecken die sich, kommen die doch mal zum Vorschein, sind das nur Träume -, diese ganze Suche nach der Frage, wer man eigentlich ist und was man auf dieser Welt tut und warum man es so tut und nicht anders, das war das Lebensthema von ihm und das kommt in allen seinen Büchern auf eine ganz unmittelbare Weise zum Ausdruck.
Schäfer-Noske: Das war Michael Krüger, Geschäftsführer des Hanser-Verlags, zum Tod des italienischen Schriftstellers Antonio Tabucchi.
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