"Il Giustino" ist ein pseudohistorisches Drama, in dessen Mittelpunkt Kaiser Justinian I., der Grosse, steht. Justinian I., der als einfacher Landmann begann und dann eine militärische Laufbahn absolvierte, führte als letzter römischer Kaiser in Byzanz im 6. Jahrhundert zahlreiche erfolgreiche Kriege gegen die Vandalen, die West- und Ostgoten, die Slawen und Perser und stellte damit das römische Weltreich wieder her. Auch hier dient der geschichtliche Hintergrund einmal mehr als Grundlage für eine Reihe von Liebesintrigen, Bühneneffekten und schließlich einem Happy End. Vivaldi zeigt sich auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft und gestaltet das Libretto mit einem untrüglichen Gespür für die formen- und melodienreiche musikalische Umsetzung dramatischen Geschehens.
Schauplatz des 1. Aktes ist der kaiserliche Palast in Konstantinopel, in dem die Krönung des Herrschers von Byzanz, Anastasio, mit der Kaiserin Arianna gefeiert wird. Die festliche Stimmung wird jedoch getrübt durch die Nachricht, dass das Heer von Vitaliano die Stadt belagert und der Tyrann von Kleinasien nur zu einem Frieden bereit wäre, wenn Arianna seine Frau würde. Kaiser und Kaiserin lehnen das Angebot ab und rüsten zum Krieg. Derweil wechselt der Schauplatz auf das Land, wo der einfache Landmann Giustino, ein Bruder Vitalianos, von einer militärischen Karriere träumt . Hören Sie hier diesen ersten Auftritt von Giustino, gesungen von der Mezzo-Sopranistin Francesca Provvisionato. * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi - aus der Oper "Il Giustino”: Aria: Giustino "Bel riposo de'mortali" Zur Zeit der Entstehung von Vivaldis "Il Giustino" im Jahre 1724, wurden auch die weiblichen Partien der Oper in Rom dem päpstlichen Edikt gemäss, nur von Männern gesungen. In der Aufnahme von Alan Curtis gibt es nur noch eine männliche Rolle, die des Tyrannen Vitaliano, hier gesungen von dem Tenor Leonardo De Lisi. Vitaliano gelingt es zunächst , Kaiserin Arianna gefangen zu nehmen. Sie bleibt jedoch ihrem Gatten treu und weigert sich standhaft, - auch wenn es ihrem Volk Frieden bringen würde -, sich seinem Werben hinzugeben. Der Tyrann lässt sie darauf hin an einen Felsen ketten und sie der Gier eines Fleisch fressenden Seeungeheuers aussetzen. Seine Wutarie gerät allerdings ein wenig zu verhalten. * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi - aus der Oper "Il Giustino”: 1. Akt, 9. Szene: Arie Vitaliano "Vanne sì, superba, va" Giustino, der Protagonist in Vivaldis Oper, hat sich inzwischen, mit der Unterstützung Leocastas, der Schwester des Kaisers Anastasio, vom einfachen Landmann zum erfolgreichen Kriegsherrn gewandelt. Zusammen mit Anastasio muss er jedoch im Sturm Schiffbruch erleiden und die beiden landen wundersamerweise gerade dort, wo Arianna dem Furcht erregenden Ungeheuer ausgeliefert ist, welches jedoch sofort von Anastasio erlegt werden kann. Nachdem der Sturm sich gelegt hat, machen sich die Gefährten auf den Weg nach Hause und Vitaliano findet den Felsen leer vor. Anastasio trägt schließlich den Sieg davon und feiert im Palast die Gefangennahme des Tyrannen und preist ebenso Giustinos Anteil am Sieg. Dieser wiederum bittet in der folgenden Arie darum, den Triumph vollkommen machen zu können, in dem er die verbleibende feindliche Streitmacht besiegt. * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi - aus der Oper "Il Giustino” 2. Akt, 6. Szene: Arie Giustino "Su l'altar di questo nume" Bevor der Tyrann endgültig besiegt ist und die beiden Paare Anastasio und Arianna sowie Giustino und Leocasta wieder vereint sind, gibt es noch eine Reihe von persönlichen Verwicklungen, die durch den General Amanzio initiiert wurden, der Anastasios Eifersucht anstachelte und so den erfolgreichen Giustino aus dem Weg schaffen wollte.
Die Fassung von Vivaldis Oper "Il Giustino", die Alan Curtis und Il Complesso Barocco jetzt auf CD veröffentlichten, hat eine Länge von etwas über zwei Stunden und sie stellt keine Gesamtaufnahme dar. Im beiliegenden Textheft stellt Curtis "Einige Betrachtungen über angemessenes Kürzen" an, die nach heutigen Gesichtspunkten jedoch sehr zweifelhaft sind. Die Eingriffe in die Partitur erscheinen oft willkürlich, und Arien zu streichen, weil sie die Handlung nicht vorantreiben würden, entbehrt nach allen Gesichtspunkten der historischen Aufführungspraxis, völlig der Grundlage. Welche Oper hätte da schon das Recht auf eine vollständige Aufführung? Da wäre es vielleicht in diesem Falle besser gewesen, nur einen Querschnitt mit den Höhepunkten der Oper zu veröffentlichen. Curtis beruft sich bei seiner Version dabei auf den Komponisten, dem auch das Libretto des Grafen Nicolò Beregan, das zuvor schon von Legrenzi und Albinoni vertont worden war, zu "weitschweifig" gewesen sei und er deshalb die Handlung straffte, ganze Partien wie zum Beispiel die männliche Sopran-Partie des Andronico wegließ, die des Polidarte aber beibehielt. Polidarte ist bei Vivaldi mit einer einzigen Arie vertreten, die Curtis allerdings als routine-mässige "Aria all'unisono" bezeichnet. "Ich meine", so Curtis, "wir erweisen Vivaldi einen Dienst, in dem wir sie streichen, ebenso wie mit anderen Kürzungen." Die Zeit willkürlicher, persönlich geprägter, verstümmelnder Eingriffe in die Partitur schienen vermeintlich längst der Vergangenheit anzugehören, eine solche kühne Auffassung heute noch in der Alten Musik-Szene zu vertreten, ist wohl mehr als verpönt. Der Hörer kann sich so kein eigenes Bild über die gesamte Oper machen und ist auf die Fassung des Dirigenten angewiesen, der dem Werk ebenso wenig wie dem Publikum zu vertrauen scheint. Dass auch die Rezitative zusammengestrichen wurden, dazu wird sich nicht geäußert. Eine solche bevormundende Einstellung trübt den Genuss dieser ersten Einspielung, die ansonsten niveauvoll und stilistisch überzeugend musiziert und mit guten Sängern besetzt ist, wenn auch die Partie des Protagonisten mit der Mezzosopranistin Francesca Provvisionato etwas schwach besetzt ist. Brillant hingegen sind Marina Comparato als Anastasio und Dominique Labelle als Arianna. Hier zum Abschluss diese beiden Sopranistinnen mit dem Liebesduett aus der vorletzten Szene des 3.Aktes. * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi - aus der Oper "Il Giustino” 3. Akt, 7. Szene: Duett Anastasio- Arianna In unserer heutigen Sendung DIE NEUE PLATTE stellten wir Ihnen das musikalische Drama "Il Giustino" von Antonio Vivaldi in einer Neuaufnahme mit Il Complesso Barocco unter der Leitung von Alan Curtis vor, erschienen bei Virgin Veritas im Vertrieb der EMI.