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Antrittsbesuch in Brüssel
Polens Premier erwarten Themen mit reichlich Zündstoff

Der neue polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki will sich bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel um eine Verbesserung der angespannten Beziehungen zur EU bemühen. Doch die anstehenden Themen bieten reichlich Zündstoff.

Von Thomas Otto |
    09/05/2017 Der neue Ministerpräsident Polens im Mai 2017 auf dem Economic Forum in Krynica-Zdroj (damals als Finanz- und Wirtschaftsminister).
    Die umstrittene Justizreform, Flüchtlingsverteilung und das Artikel-7-Verfahren: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kommt zu Gesprächen nach Brüssel. (picture alliance / dpa / Alexey Vitvitsky)
    Zum Abendessen ist der polnische Premier Mateusz Morawiecki bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geladen. Was auf dem Menü steht, wissen wir nicht.
    Welche Themen bei dem Treffen besprochen werden, liegt hingegen nahe: Im Dezember hat die EU-Kommission zum ersten Mal ein Artikel-7-Verfahren gegen ein Mitglied ausgelöst, wegen Verstößen gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Hintergrund ist die umstrittene Justizreform in Polen, mit der sich die Regierung unter anderem mehr Einfluss auf die Ernennung und Entlassung von Richtern verschaffen will. Das betrifft nicht nur einfache Gerichte, sondern auch das Verfassungsgericht, den nationalen Justizrat und die nationale Justizschule, erklärte der Erste Vizekommissionspräsident Frans Timmermans im Dezember.
    "Das gemeinsame Muster dieser Änderungen ist, dass die regierende Mehrheit systematisch politischen Einfluss auf die Zusammensetzung, die Befugnisse, die Verwaltung und das Funktionieren dieser Behörden nehmen kann."
    Vorausgegangen war ein langer Dialog zwischen Kommission und polnischer Regierung. Darin hatte die Kommission ihre Bedenken in Sachen Rechtsstaatlichkeit dargelegt – in der Hoffnung auf eine gütliche Einigung. Die gibt es bisher nicht, weshalb Morawiecki den Umbau des Justizsystems in einem Interview an Neujahr noch einmal rechtfertigte:
    "Wir haben doch noch bis heute im Obersten Gericht Richter, die aus der Zeit des Kriegsrechts stammen. Die strafwürdige, schändliche Urteile über Funktionäre der Gewerkschaft Solidarnosc gesprochen haben. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen, denn ich habe mich ja damals auch für ein demokratisches, unabhängiges Polen eingesetzt."
    Am Ende eines Verfahrens nach Artikel 7 könnte als Ultima Ratio der Entzug des Stimmrechts im Rat für Polen stehen. Das gilt aber als unwahrscheinlich, hatte doch Ungarns Viktor Orban stets sein Veto für diesen Fall angekündigt. Bei Morawieckis erstem Auslandsbesuch als Premier, den er Viktor Orban abstattete, war davon allerdings keine Rede mehr – was auch den anwesenden Journalisten auffiel.
    Auch wenn das Verfahren gegen Polen wie ein Elefant im Raum steht: Das heutige Abendessen sei kein monothematisches Treffen, darauf legte Junckers Kommissionssprecher Margaritis Schinas gestern Wert.
    Auch Flüchtlingsverteilung könnte Thema sein
    Umstritten ist auch die Frage der Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU, gegen die sich auch Polen wehrt. Dabei hatten sich die EU-Staaten mit Mehrheitsbeschluss darauf geeinigt. Da Polen sich, genauso wie Ungarn und Tschechien, standhaft geweigert hatte, Griechenland und Italien zu entlasten und Flüchtlinge aufzunehmen, läuft auch in dieser Angelegenheit ein Verfahren gegen das Land. Bei seinem jüngsten Besuch in Budapest sagte Morawiecki in einer Pressekonferenz mit Viktor Orban: Gemeinsame lehne man eine Flüchtlingsverteilung nach Quoten ab, denn das verletze die Souveränität der Staaten.
    In der Diskussion darum, wie man Druck auf Polen oder Ungarn ausüben könnte, damit diese wieder die Grundwerte der EU respektieren, war auch die Idee diskutiert worden, Zahlungen aus EU-Töpfen mit der Einhaltung von Grundwerten zu verknüpfen. Erst gestern hatte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel diese wieder erwähnt, denn: Die Frage, wie die nächste Finanzperiode der EU gestaltet werden soll, wird gerade heftig diskutiert.
    Genug Themen, die reichlich Zündstoff bergen. Jean-Claude Juncker ist daran gelegen, eine Spaltung der EU in Ost und West zu vermeiden. In seiner Rede zur Lage der EU im September hatte er klar gemacht:
    "Europa muss mir beiden Lungenflügeln atmen. Mit dem Östlichen und dem Westlichen. Ansonsten unser Kontinent in Atemnot gerät."
    Juncker sucht auch nach verbindenden Elementen
    Eine der Ideen, wie Brüssel den jüngeren EU-Mitgliedern im Osten entgegenkommen könnte, ist das Thema ungleiche Qualität bei Lebensmitteln. Hier will die Kommission prüfen, wie einheitliche Standards durchgesetzt werden können. Als verbindendes Element hatte Juncker außerdem den Euro genannt:
    "Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet, dann soll er mehr sein, als die Währung einiger ausgewählter Länder. Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein."
    Vergangene Woche hatte eine Gruppe polnischer Wirtschaftsexperten in einem offenen Brief gefordert, dass auch Polen nun Vorbereitungen treffen sollte, um den Euro einzuführen. Polen ist zur Einführung verpflichtet, wenn es die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Allerdings hatte Premier Morawiecki im März 2017 – damals als Finanzminister – noch von einer Einführung in zehn oder zwanzig Jahren gesprochen.