Archiv


Antworten für eine moderne Welt

Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte - für die einen veraltete Disziplinen ohne wirtschaftlichen Nutzwert. Für den Philosophen Odo Marquard weit mehr. Sie antworten auf die moderne Welt, die durch die Naturwissenschaften entstanden ist. Campus und Karriere interviewte den Philosophen im Ruhestand einen Tag vor seinem 75. Geburtstag.

    Geisteswissenschaften: Wortgefechte ohne neue Erkenntnisse, gigantische Textproduktions-Institutionen, ohne Nutzwert in dieser modernen Zeit? Im Gegenteil, erklärte der emeritierte Giessener Professor Odo Marquard. "Je moderner die moderne Welt wird, desto unvermeidlicher werden die Geisteswissenschaften." Zur Erläuterung dieser These hat Marquard schon 1985 seine These von der "Unvermeidlichkeit der Geisteswissenschaften" aufgestellt.

    Demnach sind die modernen Naturwissenschaften darauf angewiesen, dass die Menschen auf der Welt überall "gleich" werden. Ganz einfach deshalb, weil die Ergebnisse der Naturwissenschaften universell überprüfbar sein müssen. So kommt ein Prozess in Gang, in dem die Subjekte aneinander angeglichen werden. "Beim Menschen ist das aber schwierig. Kulturen und Religionen sind ganz unterschiedlich", erklärte Marquard. Genau hier müssen die Geisteswissenschaften laut Marquard ansetzen: Sie ermöglichen das Verständnis kultureller Unterschiede.

    Die Literatur- und Sprachwissenschaften oder auch die Kunstgeschichte sind hierfür besonders geeignet, urteilte Marquard. Denn sie leisten noch etwas: Sie kompensieren die Effekte einer zunehmend beschleunigten Welt. "Es ist kein Zufall, dass in unserer Zeit so viele Museen entstehen", diagnostizierte Marquard. Sie schaffen eine Kultur der Langsamkeit, eine 'Kontinuitätskultur' - auf die wir angewiesen sind: "Sonst würden wir nicht leben können!"

    Was bedeutet das für eine moderne Universität? Sollten Studenten vor ihrem Fachstudium erst einmal ein eher geisteswissenschaftliches studium generale absolvieren, vielleicht an einer Artistenfakultät wie im Mittelalter? Davon hielt Marquard wenig: "Studienabschnitte, erst das eine, dann das nächste, und so weiter - das verlängert das Studium." Am Sinn und Zweck der Geisteswissenschaften könne das aber nicht rütteln.